Berlin vertraulich! Sittenpolizei und Sprachunterricht

  • von Hans Peter Schütz
Achtung, Peter Struck: Von Herbert Wehner lernen, heißt siegen lernen. Vor allem bei Abstimmungen in der SPD-Fraktion. Andere haben bereits dazu gelernt: Baden Württembergs Ministerpräsident Oettinger zum Beispiel. Er besuchte einen Sprachkurs - für Hochdeutsch.

Zu rügen ist ein Fall parlamentarischer Zensur ganz bemerkenswerter Art im Bundestag. Da hatte sich die FDP-Abgeordnete Cornelia Pieper während der Debatte über Gentechnologie und den Schutz der Menschen vor gentechnisch veränderten Pflanzen sehr darüber echauffiert, dass ausgerechnet Verbraucherschutzminister Horst Seehofer die Diskussion schwänzte. Pieper wütend: "Was macht der Bundeslandwirtschaftsminister am Internationalen Frauentag, wenn im Bundestag über ein Gentechnikgesetz diskutiert wird? Er gehört eigentlich hierher." Da erscholl, weithin vernehmbar, der Zwischenruf: "Er sortiert seine Gene!" Grüne und SPD-Abgeordnete kugelten vor Lachen schier von ihren Sitzen. Aber: Im ausgeschriebenen Protokoll der Sitzung taucht der Zwischenruf nicht mehr auf, nur noch "Heiterkeit" wird vermerkt. Cornelia Pieper schwört, dass der Zwischenruf so laut war, dass auch die Protokollanten ihn ganz genau gehört haben mussten. Wer aber hat ihn dann streichen lassen? Doch nicht Seehofer? Oder gibt es im Bundestag neuerdings eine Art Sittenpolizei? Die Bundestagsmitarbeiterin Susanne F., die sich als Betroffene getroffen hätte fühlen können, hat über den zensierten Zwischenruf jedenfalls herzlich gelacht.

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Haben Sie in jüngerer Zeit den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger im Fernsehen reden hören? Zum Beispiel nach der ersten Beratungsrunde der zweiten Föderalismus-Kommission, die zu leiten er zusammen mit dem Sozialdemokraten Peter Struck die Ehre hat. Da sprach der Mann, der bisher so trefflich den Schwaben-Spruch "Wir können alles außer Hochdeutsch" bewies und zudem die Hälfte seiner politischen Botschaften vernuschelte, ein ganz passables Hochdeutsch, gut akzentuiert außerdem. Des Rätsel Lösung: Oettinger hat in aller Stille Sprechunterricht genommen. Nicht schlecht der Erfolg - oder schwäbisch gesagt: Ä bissle besser schwätzt er jetzt scho!

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Hans Peter Schütz

Worüber redet das politische Berlin, wenn die Kameras ausgeschaltet sind? stern-Autor Hans Peter Schütz hört hin und notiert wöchentlich den neuesten Tratsch aus der Hauptstadt - exklusiv auf stern.de lesen Sie seine Kolumne "Berlin vertraulich!"

Keiner hat sich so schwer getrennt von Amt, Aktenträgern und Dienstwagen wie der Sozialdemokrat Otto Schily. So konnte man noch Ende vergangenen Jahres auf der Internetseite des Ex-Ministers lesen: Seit Oktober 1998 Bundesminister des Inneren. Interessierten Berlin-Besuchern riet er "auf jeden Fall" zum Besuch in seinem Ministerium. Jetzt endlich ist die Seite renoviert. Jetzt heißt es zu Schily: "Ordentliches Mitglied im Auswärtigen Ausschuss; stellv. Mitglied im Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union und Bundesinnenminister a.D." Seine nur sporadische Anwesenheit bei Fraktionssitzungen bleibt allerdings unerwähnt.

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Mit sechs Geschäftsflugzeugen, vermutlich auf Mietbasis, will die Flugbereitschaft der Bundesregierung dem trotz aller Diskussionen um den klimaschädlichen CO2-Ausstoß erheblich gewachsenen Flug-Bedarf der Bundesminister Rechnung tragen. Damit sollen veraltete "Challenger"-Jets ausgemustert werden, die immer mal wieder mit Pannen unangenehm überraschen. Mehr und weiter fliegen können - über 11.000 Kilometer ohne Zwischenstop - ist das Ziel. Das passt nicht ganz zum vom Kabinett für sich beschlossenen Grundsatz der Klimaneutralität aller Dienstreise-Bewegungen. Vor allem deshalb nicht, weil die favorisierten Typen ("Global Express" und "Gulfstream V") nach Expertenansicht keinesfalls den neuesten Umweltstandards genügen. Dafür bieten sie, laut Herstellerempfehlung, im Innenraum "Luxus pur". Devise: Wenn schon nicht klimafreundlich, dann wenigstens bequem reisen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

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Immer wieder ärgert sich der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck über die hohe Zahl der Abweichler bei Probeabstimmungen in der Fraktion. Die spricht sich natürlich herum und vermittelt immer wieder den Eindruck, mit der Disziplin der Genossen sei es nicht weit her. Die kommende Abstimmung über die Unternehmensteuerreform, die vor allem den SPD-Linken nicht passt, wird einmal mehr zur inneren Zerreißprobe werden. Alte Genossen, die noch Herbert Wehner an der Fraktionsspitze erlebt haben, raten Struck daher zum Erfolgsrezept des ehemaligen "Zuchtmeisters." Der habe bei der Auszählung der Stimmen in der Fraktion stets weggesehen und verdrossen in Akten geblättert. Danach erklärte er: "Es gab 37 Gegenstimmen." Wie viele es tatsächlich waren, war Wehner egal. Er waren immer 37.