Bauern-Protest "Beschämend, grotesk, erbärmlich": So kommentiert die Presse die Blockadeaktion gegen Robert Habeck

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hält sich ein Telefon ans Ohr
Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen militante Demonstrierende, die Vize-Kanzler Robert Habeck am Donnerstagabend aufgelauert hatten
© Tobias SCHWARZ / AFP
Die Protestaktion von einigen Bauern gegen Robert Habeck an einer Fähre in Schleswig-Holstein sorgt über die Parteigrenzen hinweg für Kritik. Auch in der Presselandschaft werden deutliche Worte gefunden.

Von "Umsturzfantasien" hat Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) gesprochen, nachdem eine Aktion von Bauern gegen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck eskaliert war. Am Donnerstag hatten Polizeiangaben zufolge 250 bis 300 Bauern aus Protest gegen die geplante Streichung von Subventionen für die Landwirtschaft einen Fähranleger im schleswig-holsteinischen Schlüttsiel blockiert und Habeck am Verlassen eines Schiffs gehindert. Der Grünen-Politiker blieb aus Sicherheitsgründen auf der Fähre und fuhr zurück zur Hallig Hooge, wo er Urlaub gemacht hatte.

Erst bei einem zweiten Versuch konnte die Fähre anlegen und Habeck ans Festland bringen, nachdem die Demonstranten abgezogen waren. Die Aktion sorgte parteiübergreifend für scharfe Kritik. Zuvor hatte die Bundesregierung mitgeteilt, sie nehme einen Teil ihrer Kürzungspläne im Agrarbereich zurück. So kommentiert die Presse den Vorfall.

Blockade von Robert Habecks Fähre: Besser keine Schlüsse auf den Zustand der Demokratie ziehen

"Rhein-Zeitung" (Koblenz): "Im Licht der Scheinwerfer von Schlüttsiel wird am Ende leider wieder deutlich, wer dafür die Verantwortung trägt. Robert Habeck? Ja, aber nicht als Erster. Christian Lindner? Ja, aber auch er nicht zuvorderst. Es ist Olaf Scholz. Hätten wir einen Kanzler, der zu den Menschen sprechen könnte oder das wenigstens wollte – unsere Debatten liefen anders. So aber klafft an der Spitze der Regierung ein schwarzes Loch, das in Zeiten unbestritten vielfach notwendigen Wandels verheerender kaum wirken könnte. Jedes Kind mit einem Malkasten weiß, welche Farbe entsteht, wenn zu (Grell-)Rot, Blau-Gelb und Grün noch Schwarz gemischt wird: Dunkelbraun."

"Lausitzer Rundschau" (Cottbus): "Beschämend, grotesk, erbärmlich: Zu Recht wird so der Aufmarsch von rund 300 Bauern an einem Fähranleger in Nordfriesland bezeichnet, die Vizekanzler Robert Habeck am Verlassen des Schiffes hinderten. Doch sollte man die Attacken der Wenigen nicht zu hoch hängen. Es ist übertrieben, vom Handeln dieser kleinen Gruppe Rückschlüsse auf den Zustand der Demokratie in diesem Land zu ziehen. Die überwiegende Mehrheit weiß, dass politischer Diskurs ein Austausch von Argumenten ist und die Bundesregierung als Teil einer parlamentarischen Demokratie nicht von oben herab nach Lust und Laune Gesetze erlässt."

"Leipziger Volkszeitung": "Die Bauern und ihre Funktionäre sollten innehalten und darüber nachdenken, wie weit sie diesen Konflikt noch treiben wollen. Der vorliegende Kompromiss ist so schlecht nicht. Und dass die Landwirtschaft mehr für den Klimaschutz tun muss, ist unbestritten. Der Bauernpräsident Joachim Rukwied, der sich zu Recht von den Ereignissen rund um Wirtschaftsminister Robert Habeck vom Fährhafen und Verstößen gegen die demokratische Grundordnung distanziert hat, sollte Druck aus dem Kessel lassen – und die angekündigten Proteste in der kommenden Woche absagen."

Protest von Landwirten: Bauernverband zu Blockade-Aktion gegen Habeck: "Das geht gar nicht"
Bauernverband zu Blockade-Aktion gegen Habeck: "Das geht gar nicht"

"taz" (Berlin): "Wenn Demonstranten dermaßen in die Privatsphäre von Politikern eindringen, wird es bald schwierig, überhaupt noch Menschen zu finden, die diesen Job übernehmen. Auch für Politiker gilt das Recht auf Menschenwürde. Dazu gehört, dass sie ein einigermaßen ungestörtes Privatleben führen können.
 Anders als die Klimaaktivisten von der 'Letzten Generation' bei ihren Straßenblockaden traten die Bauern in Schleswig-Holstein aggressiv auf. Was hätten sie wohl mit Habeck gemacht, wenn sie ihn in die Finger bekommen hätten? 
Die Bauern müssen aufpassen, dass ihre Proteste gegen die Kürzungen von Agrarsubventionen nicht immer weiter in rechtsradikale Gefilde abgleiten. Bei vielen Demonstrationen in diesen Wochen wurden Galgen, Fahnen einer gewalttätigen Bewegung aus den 1920er Jahren und bei Rechtsextremen beliebte Slogans wie 'Volksverräter' gesichtet. Die Veranstalter wie der Deutsche Bauernverband sollten mit Ordnern dafür sorgen, dass so etwas nicht mehr vorkommt." 

"Frankfurter Allgemeine Zeitung": "Die radikale Minderheit, die sich gegen Habeck richtete, fühlt sich – der Vergleich drängt sich auf – als Letzte Generation der Landwirtschaft. Aufgestaute Wut ist auch hier mit apokalyptischer Ideologie erfüllt, aber auch mit Systemkritik, die allerdings eher an die AfD erinnert als an Klimakleber. Darauf zielte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, als er 'feuchte Träume vom Umsturz' hinter den Protesten vermutete. Die Affäre zeigt insofern, wie gespalten die deutsche Bauernschaft ist – und welchen Anteil die Politik daran hat."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

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"Die Glocke" (Oelde): "Dem Ansinnen der Landwirtschaft, bessere Bedingungen für den Berufsstand durchzusetzen, haben diese Chaoten einen Bärendienst erwiesen. Der Bauernverband muss alles dafür tun, während der Aktionswoche solche Gruppierungen auszuschließen. Gelingt das nicht, muss er die Proteste im eigenen Interesse beenden."

"Kölner Stadt-Anzeiger": "Was sich am Fähranleger von Schlüttsiel gegen Wirtschaftsminister Robert Habeck gebildet hat, war ein Mob. Die politische Diskussion über Subventionen für Landwirte wandelte sich in eine persönliche Bedrohung der Gesundheit Habecks. Damit unterscheidet sich der Auflauf von anderen Bauernprotesten, sei es mit abgeladenem Mist vor Rathäusern oder Trecker-Blockaden. Es ist ein Tabubruch, die Folge einer aufgeheizten Rhetorik in der politischen Auseinandersetzung. Einer Rhetorik, die jetzt beendet werden muss. Gewaltfantasien gegen Politikerinnen und Politiker dürfen auch nicht indirekt befeuert werden. Das Gefasel von einem erhofften Umsturz gehört dazu – politische Mehrheiten ändern sich durch Wahlergebnisse. Gewählt werden kann, wer sich an die demokratischen Spielregeln hält."

DPA
mkb