Bundesnachrichtendienst "Sauladen" und "Stasi-Methoden"

Die Affäre um die Bespitzelung von Journalisten zieht immer weitere Kreise: Jetzt hat sich ein ehemaliger Reporter des Nachrichtenmagazins "Focus" als Informant des Bundesnachrichtendienstes zu erkennen gegeben.

Die Regierung hat der Bespitzelung von Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst (BND) bei seiner Suche nach undichten Stellen im eigenen Haus einen Riegel vorgeschoben. Der ausschließlich für die Auslandsaufklärung zuständige Geheimdienst darf künftig Journalisten nicht mehr als Quellen führen oder abschöpfen, um so Agenten bei der Weitergabe von brisantem Material an Medienvertreter zu überführen.

Eine entsprechende Anweisung hat das Kanzleramt nach Informationen von Regierungssprecher Ulrich Wilhelm am Montag erlassen. "Das Bundeskanzleramt hat heute angewiesen, dass bei operativen Maßnahmen seiner Eigensicherung keine Journalisten als Quellen zu führen sind", sagte Wilhelm. Die Bespitzelung und Beschattung von Journalisten sowie die freiwillige Zusammenarbeit von Medienvertretern mit dem BND zur Ausspähung von Kollegen stieß weiter auf heftige Kritik. Diese Methoden wurden teilweise mit Praktiken der "Stasi" verglichen.

"Ständig wird da Recht gebrochen"

Unterdessen räumte der ehemalige "Focus"-Mitarbeiter Erwin Decker ein, dem BND Informationen über einen Kollegen weitergegeben zu haben. Er habe sich drei bis vier Mal mit dem damaligen BND- Sicherheitschef Volker Foertsch getroffen und ihm Details über das Privatleben des "Focus"-Redakteurs geliefert, sagte Decker dem Radiosender SWR1 Rheinland-Pfalz. Am vergangenen Freitag war bekannt geworden, dass der BND Journalisten ausspioniert und auch genutzt hat, um undichte Stellen im eigenen Haus einen Riegel vorzuschieben.

Grünen-Fraktionschefin Renat Künast warf dem Geheimdienst schweren Rechtsbruch vor. "Der Bundesnachrichtendienst hat sich nachgerade zu einem Sauladen entwickelt", sagte Künast der dpa. "Ständig wird da Recht gebrochen. (...) Wir behalten uns explizit die Werkzeuge des Untersuchungsausschusses zur Aufklärung der Vorgänge vor, wenn unsere Fragen nicht zufrieden stellend beantwortet werden", sagte sie.

Aktuelle Stunde im Bundestag gefordert

Künast wie auch andere Oppositionspolitiker forderten die Veröffentlichung des Sachverständigenberichts des ehemaligen Richters am Bundesgerichtshof, Gerhard Schäfer, in dem dieser das Parlamentarische Kontrollgremium (PKG) unterrichtet hatte.

Die frühere Justizministerin und FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberg sprach in der Chemnitzer "Freien Presse" (Montag) von "Stasi-Methoden". Dem BND sei es wie dem früheren Ministerium für Staatssicherheit um ein möglichst umfangreiches Netz von Kontrolle und Überwachung von unliebsamen Personen und Kritikern gegangen. Die Linksfraktion forderte für diesen Freitag eine Aktuelle Stunde im Bundestag. Wolfgang Neskovic, für die Linksfraktion Mitglied des PKG, forderte die Veröffentlichung des Schäfer-Berichts. 95 Prozent dieses Rapports seien nicht geheimhaltungsbedürftig, sagte der frühere Bundesrichter.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Ex-BND-Präsident Hansjörg Geiger widerspricht Zeitungen

Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach meinte im Nachrichtensender N24, Art und Umfang der Überwachung von vielen Journalisten lasse vermuten, dass der BND "hier nicht immer im Rahmen seiner Kompetenzen und seiner Aufgaben tätig war". Allerdings habe der Geheimdienst das Recht der Eigensicherung.

Wilhelm wies darauf hin, dass das PKG selbst entscheiden müsse, ob der Rapport des Sonderermittlers veröffentlicht werden kann. Eine Sondersitzung dieses Gremiums soll an diesem Dienstag stattfinden. Nach Angaben des Regierungssprechers hat das Kanzleramt dem BND eine Frist bis Ende dieser Woche gesetzt, sich zu den Vorwürfen des Berichts zu äußern.

Der frühere BND-Präsident Hansjörg Geiger bestritt, jemals einen Spitzeleinsatz gegen Journalisten veranlasst oder befürwortet zu haben. Er widersprach in der "Süddeutschen Zeitung" und in der "Berliner Zeitung" der Darstellung des ehemaligen Geheimdienstkoordinators im Kanzleramt, Bernd Schmidbauer (CDU). Dieser hatte erklärt, Geiger habe im Dezember 1996 "angeordnet", "dass ein Journalist von der Abteilung 5 eingesetzt wird, um Abflüsse aus dem BND zu klären".

DPA/Reuters