Eigentlich sieht es gar nicht so schlecht aus, mindestens den Umständen entsprechend ganz okay. Das könnte man jedenfalls meinen, wenn man derzeit auf die wichtigsten Parameter der Pandemie schaut: Hospitalisierungsrate, Inzidenz, Todesfälle – alles rückläufig. Die Inzidenz geht seit Anfang des Monats kontinuierlich zurück, auch das Divi-Register für die Belegung der Intensivstationen zeigte zuletzt einen leichten Knick nach unten. Die vierte Welle, so sieht es aus, bricht. Alles gut also?
Leider stimmt das nur auf den ersten Blick. Denn hierzulande sind immer noch die meisten Infektionen und Fälle auf die Delta-Variante des Coronavirus zurückzuführen. Die nächste Mutante aber steht leider schon in den Startlöchern, wie Bundeskanzler Olaf Scholz zurecht bemerkt hat. Die Omikron-Variante, zuerst in Südafrika festgestellt, wird – so sagen es Experten voraus – sehr bald das Infektionsgeschehen in Deutschland bestimmen. Vielleicht schon in wenigen Wochen, so der Regierungschef. Zwar ist die noch sehr neu und unerforscht, erste bedrohliche Trends zeichnen sich aber schon ab. Die Geschwindigkeit, mit der sich die Mutation ausbreitet, übertreffe alle ihre Vorgänger-Varianten. In den USA und Großbritannien etwa hat Omikron in extrem kurzer Zeit das Infektionsgeschehen quasi übernommen.
Bund und Länder verschärfen mitten in die abflachende Kurve hinein
Und dabei spielt es wohl auch kaum eine große Rolle, ob Omikron seine Wirte nun milder oder stärker trifft als andere Varianten. Selbst bei leichten Verläufen droht dem Expertenrat der Regierung zufolge ein Zusammenbruch der kritischen Infrastruktur, also Feuerwehr, Polizei und Co. könnten ausfallen. Denn, wenn viele Leute zeitgleich erkranken, hat das massive Auswirkungen, selbst wenn – und das ist noch ein großes wenn – Menschen im Schnitt weniger schlimm erkranken. Es würden immer noch viel zu viele ausfallen, auf den Intensivstationen oder Friedhöfen enden.
Vorausgesehen hatten Experten in bald zwei Jahren Pandemie schon so manche unschöne Entwicklung. Was dieses Mal anders ist: Die Regierenden hören zu und reagieren sofort. Kontaktbeschränkungen sind unbeliebte Maßnahmen. Doch anstatt sich um die eigenen Beliebtheitswerte zu scheren, handeln Bund und Länder entschlossen. Und das auch noch mitten in die abflachende Kurve hinein, also dann, wenn das ohnehin Unbeliebte noch schwieriger zu verkaufen ist.
Großbritannien zeigt, was Omikron bedeutet – so ist die Corona-Lage in Europa

Neu-Infektionen pro Tag: 88.000, Tendenz steigend
Impfquote: 75 Prozent
Das Vereinigte Königreich ist eines der am stärksten von der Corona-Pandemie betroffenen Länder Europas. Die hochansteckende Omikron-Variante ist dort inzwischen stark verbreitet. Frankreich schließt bereits seine Grenze zur britischen Insel und auch in Deutschland fordert der Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz, Bayerns Ressortchef Klaus Holetschek, Reisebeschränkungen für Großbritannien. "Ich würde mir wünschen, dass der Bund mal genau hinschaut, wann Großbritannien Virus-Variantengebiet wird und dass bei der Einreise mit dem Flugzeug ein PCR-Test verpflichtend vorgelegt werden muss", sagte der CSU-Politiker.
Ob die Maßnahmen dennoch zu spät kommen oder womöglich nicht hart genug sind, das wird sich erst noch zeigen. Der Versuch aber ist ehrenwert. Zumindest zeigt die Politik einmal, dass sie vor die nächste Welle kommen will. Zumindest hat sie einmal versucht, zu handeln, statt nur zu (spät zu) reagieren. Sie hätte sich noch hinter den abflachenden Zahlen verstecken können, sie hätte argumentieren können, dass man Geimpfte nicht auch noch einschränken wolle. Hat sie aber nicht. Dafür gebührt ihr Respekt.