Ein geflügeltes Wort lautet: "Man muss mit den Menschen in einer Sprache sprechen, die sie verstehen." Dabei geht es weder um Fremdsprachenkenntnisse noch darum, ob das jeweilige Gegenüber intellektuell vielleicht nicht in der Lage ist zu begreifen, was man sagt. Es geht vielmehr darum, eine gemeinsame Basis, eine gemeinsame Sprachebene zu finden. Diese gemeinsame Ebene scheint zwischen Regierung und Bevölkerung im Laufe der Corona-Pandemie verloren gegangen zu sein. Das ist alles andere als trivial. Denn das, was Merkel, Söder und die Ministerpräsident:innen der Länder zum Krisenmanagement sagen, erweckt den Eindruck, dass wir – trotz jüngster Fortschritte – womöglich nicht mehr gemeinsam und mit aller gemeinsamer Kraft gegen das Virus vorgehen.
Die Menschen brauchen Antworten, die Regierung lernt noch
Vom "Impfgipfel" hatten die Menschen nach all der Zeit im Lockdown Antworten erwartet; Merkel dazu in der ARD: "Es war nur ein Gespräch", und: "Wir haben etwas gelernt". Wenn es Betroffenen darum geht, dass die Vergabe der Impftermine chaotisch verläuft, spricht die Kanzlerin von "einem Gerüst, an dem wir uns orientieren können" und davon, dass die Gruppen nun geordnet seien, die geimpft werden könnten. Wenn danach gefragt wird, warum Impfzentren arbeitsbereit sind, aber der Impfstoff weiterhin weitgehend fehlt, dann sagt Merkel: "Im Großen und Ganzen ist nichts schiefgelaufen."
Noch viel länger warten Eltern und ihre Kinder auf handfeste Maßnahmen und Konzepte für einen funktionierenden Schulunterricht – was anhaltend für Streit in den Lockdown-Runden im Kanzleramt sorgt. Und ebenso lange fragen sich Ladenbesitzer, Friseure oder Inhaber kleiner Firmen in ernster Furcht um ihre Existenz, warum beispielsweise "November-Hilfen" eigentlich "November-Hilfen" heißen, wenn sie allzu häufig nicht einmal bis Anfang Januar geflossen sind – bei weiter laufenden Fixkosten, versteht sich. Ganz zum Schluss dräut dann noch CSU-Chef Markus Söder, wie nach dem Impfgipfel wieder geschehen, "Lockerungen sehe ich skeptisch" und dass die wahre Geduldsprobe jetzt erst komme.
Farbe zu bekennen, braucht deutliche Worte
Zugegeben, viele der Probleme fallen gar nicht in die Zuständigkeit des Bundes. Doch ist es nicht gerade die Kanzlerin, die immer wieder mit allem Recht von einer beispiellosen Herausforderung für das Land spricht?! Wäre deshalb nicht doch mehr, ja außergewöhnliche Kreativität der obersten Krisenmanager dringend nötig, ungewöhnliche Lösungswege zu finden? Ebenso die Bereitschaft, sich für die konkreten Schwierigkeiten zumindest zuständig zu fühlen? Es hilft schließlich wenig, die Komplexität der Probleme wortreich zu beschreiben, wie das Merkel in der ARD-Sendung wieder gemacht hat, wenn es vor Ort an den grundlegenden Dingen hapert.
"Farbe bekannt" hätte die Kanzlerin, hätte sie die Probleme und Fehler bei der Impfstoff-Beschaffung klipp und klar zugegeben und damit den Willen verbunden, dass man es von nun an besser machen wird. "Farbe bekannt" hätte Angela Merkel, wenn sie eingeräumt hätte, dass es falsch war, eine hohe Zahl an Impfdosen anzukündigen, ohne von Anfang an uns allen zu vermitteln, dass es viele Monate brauchen wird, bis der Stoff hergestellt, verteilt und verimpft ist. "Farbe bekannt" hätte Merkel, hätte sie gesagt, dass die drückenden Probleme vor Ort, die Belange der direkt Betroffenen künftig mehr in den Fokus der Regierung rücken müssen. Das zu sagen, an diesem Zeitpunkt der Pandemie, hätte etwas von gemeinsamer Sprache gehabt.
Natürlich kann sich die Kanzlerin nicht um alles und jeden kümmern. Doch die Folgen der Pandemie treffen letzten Endes den Einzelnen und die Einzelne. Von einer womöglich tödlichen Infektion ganz zu schweigen.