Nach den umstrittenen Äußerungen von Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin hat sich Bundespräsident Christian Wulff politische Handlungsanweisungen zum Thema Integration verbeten. Das Staatsoberhaupt werde dazu in seiner Rede zur deutschen Einheit am 3. Oktober "ebenso klar Stellung nehmen wie in seiner Vereidigungsrede am 2. Juli", kündigte der Sprecher des Bundespräsidenten, Olaf Glaeseker, am Wochenende an. Er kritisierte: "Die Aufforderung dazu lässt jeden Respekt vor dem Amt vermissen". Der Bundespräsident habe sich "entschieden, die politische Agenda nicht von Provokationen und Buchvorstellungen bestimmen zu lassen".
Zuvor hatte Grünen-Fraktionschefin Renate Künast Wulff aufgefordert, in der Integrationsdebatte deutlich Stellung zu beziehen. "Seit Wochen tobt in der Republik eine aufgeregte und schrille Integrationsdebatte, in der es nicht an Versuchen fehlt, Ressentiments und Vorurteile gegen ganze Bevölkerungsgruppen zu schüren. Aber wo ist der Bundespräsident?", sagte die Grünen-Politikerin mit Blick auf die umstrittenen Thesen Sarrazins zur fehlenden Integrationsbereitschaft von Muslimen. Auch vermisse sie einen "Aufruf zur Achtung und Toleranz gegenüber allen Religionen" sowie einen "Appell an die Gesellschaft und an die Migranten gleichermaßen, Integration als Pflicht und Herausforderung anzunehmen". Wulffs Schweigen zu all diesen Fragen sei beschämend. Wulff hatte in seiner Antrittsrede als deutsches Staatsoberhaupt im Bundestag angekündigt, die Integration zu einem Schwerpunkt seiner fünfjährigen Amtszeit zu machen.
Auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) äußerte indirekt Kritik an Wulff. "Die Art, wie einige Leute aus unserem Lager in der Sarrazin-Debatte agiert haben", sei "sicher nicht hilfreich" gewesen, sagte Herrmann dem "Münchner Merkur" auf die Frage, ob es richtig war, dass Wulff ebenso wie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Sarrazin hart angegangen haben. Auch kritisierte er Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU): "Ich verstehe nicht, warum der Bundesinnenminister jetzt vor Rechtspopulismus in der Union warnt."
De Maizière hatte seine Partei vergangene Woche ermahnt, ein "bloßes Nachplappern der Thesen von Herrn Sarrazin" zur Integrationspolitik wäre "ganz falsch". Die Union müsse Unzufriedenheit in der Bevölkerung wahrnehmen und bekämpfen, anstatt sie zu verstärken.
Sarrazin hatte mit Äußerungen zur angeblichen Integrationsunwilligkeit und vererbten Dummheit von Muslimen große Empörung ausgelöst. In seinem neuen Buch warnt der ehemalige Berliner Finanzsenator und SPD-Politiker vor dem Untergang Deutschlands durch die überproportionale Vermehrung Ungebildeten, Migranten und Sozialschmarotzer.
Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), beklagte unterdessen erhebliche Defizite bei den Integrationskursen und forderte von Ausländerbehörden und Jobcentern mehr Einsatz. "Etliche Ausländerbehörden drücken den Neuzuwanderern zwar ein Faltblatt in die Hand und weisen auf die verpflichtende Kursteilnahme hin. Wenn nichts passiert, wird das ein Jahr später, wenn die Aufenthaltsgenehmigung verlängert wird, noch einmal wiederholt - das ist es nicht gerade, was ich unter Kümmern verstehe", sagte Böhmer. Auch die Jobcenter müssten eine viel stärkere Verpflichtung zu den Kursen aussprechen. Das passiere jedoch viel zu wenig.
233 Millionen Euro gibt die Bundesregierung in diesem Jahr für die Integrationskurse aus. Das für deren Umsetzung zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge musste dennoch im Juli dieses Jahres aus finanziellen Gründen eine Zulassungssperre für freiwillige Teilnehmer erteilen. Bundesweit warten derzeit 20.000 Migranten darauf, zu den Kursen zugelassen zu werden.
Grünen-Fraktionsvize Josef Winkler schlug vor, der Solidaritätszuschlag für den Aufbau Ost solle ab 2011 schrittweise in einen "Integrations- und Bildungssoli" verwandelt werden. Ein Teil der Einnahmen des Solidaritätszuschlags solle ab dem nächsten Jahr in bundesweite Programme für bessere Bildung und Sprachförderung von Migranten fließen. Das eröffne die notwendigen finanziellen Spielräume, um Defizite in Absprache mit den Ländern umfassend zu beheben. "Eines der Ziele muss es sein, die Zahl der Schulabbrecher unter den Einwanderern bis 2015 zu halbieren", sagte der Grünen-Politiker.