Meinung Die Union muss mit der Linken kooperieren

Friedrich Merz und die Linke
© stern-Montage: Foto: ddp
Friedrich Merz will mit dem alten Bundestag die Schuldenregeln lockern. Das ist verlogen und unseriös. Stattdessen sollte er sein Verhältnis zur Linken der Realität anpassen. 

Die SPD will es. Die CDU-Ministerpräsidenten wollen es. Und auch der designierte Kanzler Friedrich Merz weiß schon länger, dass er nicht darum herumkommen wird. Er wollte es nur nicht vor der Bundestagswahl laut sagen.

Denn Tatsache ist: Deutschland kann die Herausforderungen der nächsten Jahre nicht bewältigen, ohne mehr Kredite aufzunehmen, als aktuell das Grundgesetz erlaubt. 

Denn die nächste Bundesregierung wird nicht die Militärausgaben verdoppeln, die Löcher im Sozialsystem stopfen und in die Infrastruktur investieren können, ohne deutlich mehr Schulden aufzunehmen. Selbst wenn die Wirtschaft wieder stark anzöge: Es würde nicht reichen.

Der Staat braucht mehr Geld

Deshalb wird entweder die Schuldenbremse gelockert oder neues sogenanntes Sondervermögen beschlossen werden müssen. Für beides ist es nötig, das Grundgesetz zu ändern, wofür es wiederum einer Zweidrittel-Mehrheit des Bundestags bedarf. 

Und genau hier liegt das Problem. Zwar ist es wahrscheinlich, dass sich die absehbare Koalition aus Union und SPD mit den Grünen einigen würde. Doch das reicht nicht mehr aus. 

AfD und Linke haben derart stark zugelegt, dass sie zusammen über 216 der 630 Sitze verfügen. Das ist mehr als ein Drittel. 

Damit verfügen die beiden Parteien gemeinsam über eine sogenannte Sperrminorität. Sie können jede Verfassungsänderung und die Wahl von Verfassungsrichtern blockieren.

Ein fatales Manöver

Oder geht es doch anders? Soll der alte, noch bestehende Bundestag das Grundgesetz ändern, solange Union, SPD und Grüne noch eine Zweitdrittel-Mehrheit besitzen? Das wäre aus drei Gründen fatal.

Erstens ist ja die CDU in die Wahl mit der Ansage gegangen, die Schuldenbremse einzuhalten. Sie kann erst nach einem Kassensturz und Verhandlungen mit der SPD dieses Versprechen ohne völligen Gesichtsverlust relativieren. 

Zweitens: Das Vorgehen wäre zwar verfassungsrechtlich legal, aber nicht legitim. Ein solches Manöver würde das Vertrauen in die Parteien der Mitte zusätzlich untergraben, weil es wie Trickserei wirkte. Zudem würde das Vorurteil bestätigt, dass Politiker grundsätzlich nie das sagen, was sie meinen – sondern nur das, was ihnen opportun erscheint.

Und drittens fehlt schlicht die Zeit. Eine solch wichtige und langfristig wirksame Entscheidung muss gut vorbereitet sein. Alles andere wäre unseriös – und das Gegenteil von konservativ. 

Friedrich Merz muss auf die Linke zugehen

Nun ist es natürlich so, dass AfD und Linke ideologisch an unterschiedlichen Enden des politischen Spektrums liegen. Eine aktive Zusammenarbeit darf als ausgeschlossen gelten.

Doch die Gemeinsamkeit von Linkspartei und AfD ist: Beide werden sich, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, in Fundamentalopposition zu einer unionsgeführten Regierung befinden. Ein Nein ist damit der natürliche und legitime Reflex.

 

Ein Kanzler Merz hat also gar keine andere Wahl, als auf eine der beiden Parteien zuzugehen. Dass dies die AfD sein kann, verbietet nicht nur die sogenannte Brandmauer, sondern ebenso der wahrscheinliche Koalitionspartner SPD. Auch die Grünen werden keine gemeinsame Abstimmung mit Rechtsextremisten zulassen.

Bleibt die Linke. SPD und Grüne, die auf Länderebene mit der Partei koalieren, hätten mit einer gemeinsamen Mehrheitsbildung für mehr Schulden kein Problem. Etwas anderes ist das für die CDU, die 2018 auf einem Bundesparteitag einen Abgrenzungsbeschluss gefasst hat: Es dürfe weder mit der AfD noch mit der Linken eine Zusammenarbeit geben.

Die Verrenkungen der CDU

Diese de-facto-Gleichsetzung war von Beginn an politisch, aber auch strategisch falsch. Denn sie forderte der CDU in den nächsten Jahren immer neue Verrenkungen ab. 

Im Februar 2020 führte das Dogma dazu, dass in Thüringen gemeinsam mit der AfD der FDP-Ministerpräsident gewählt wurde. Nach diesem Desaster war es plötzlich möglich, dass die CDU im Landtag den Linke-Ministerpräsidenten Bodo Ramelow zurück ins Amt ließ und danach dessen rot-rot-grüne Minderheitsregierung zumindest partiell und zeitweilig tolerierte.

Im vergangenen Herbst wurde es richtig absurd. Erst beschloss in Thüringen die CDU einen Koalitionsvertrag mit der SPD und der Linke-Abspaltung BSW. Danach ließ sich Unionschef Mario Voigt mithilfe von Linken zum Ministerpräsidenten wählen.

Es herrscht längst ein pragmatischer Umgang miteinander 

Wenig später hielt es Michael Kretschmer ähnlich in Sachsen. Nachdem die Sondierungsgespräche mit dem BSW gescheitert waren, musste er sich ohne ausreichende Mehrheit der Ministerpräsidentenwahl stellen. Dank Stimmen von BSW und Linker konnte er seine CDU-SPD-Minderheitsregierung bilden. 

Auch in den nächsten Jahren wird die CDU in Thüringen und Sachsen auf Stimmen der Linken und deren populistischen Spin-Off BSW angewiesen sein. Jenseits gelegentlicher Kampfrhetorik herrscht längst ein pragmatischer Umgang miteinander.

Merz muss also nichts anderes tun, als die föderal erprobte Praxis im Bundestag zu kopieren. Selbst wenn die Linke keinem erneuten Sondervermögen für die Bundeswehr zustimmen würde: Ein Fonds für Infrastruktur, der dann der Koalition die Möglichkeit gäbe, im Haushalt Mittel zugunsten der Armee umzuschichten, wäre wohl ein akzeptabler Kompromiss. Gleichzeitig könnte die Schuldenbremse generell gelockert werden.

Die Linke war die SED – aber die CDU eine Blockpartei

Die Linke ist keine Partei, mit der die CDU koalieren will, schon gar nicht auf Bundesebene. Dasselbe gilt auch umgekehrt. Das passt niemals zusammen. 

Das schließt aber nicht aus, dass es in einigen, zentralen Fragen eine Zusammenarbeit geben kann. Knapp 35 Jahre nach dem Ende der DDR lässt sich die Linke nicht mehr auf ihre SED-Vergangenheit reduzieren, zumal die östliche CDU selbst eine gerne verdrängte Blockparteigeschichte besitzt.

Wenn es um die Sicherheit und den Wohlstand Deutschlands geht, muss die Union endlich etwas tun, was in der Politik immer angeraten ist: die Wirklichkeit zur Kenntnis nehmen.

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