Was wird auf dem am Wochenende bevorstehenden Dreikönigstreffen in Stuttgart das interessanteste politische Ereignis sein? Der Auftritt von Parteichef Guido Westerwelle wie im vergangenen Jahr, bei dem der sich mit dem Satz wichtig machte, er sei die "Freiheitsstatue der Republik?" Wohl kaum. Die Besucher des FDP-Treffens werden vor allem ihre Uhren im Blick haben: Wie viel Beifall bekommt Wolfgang Gerhardt, wenn er begrüßt wird? Je länger der Ex-Parteichef beklatscht wird, desto schlechter sieht der amtierende FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle aus.
Führungskraft nahe null
Es war natürlich kein Zufall, dass Gerhardt nach langer Schweigsamkeit sich unmittelbar vor dem traditionellen Treffen der Liberalen mit einem Paukenschlag zu Wort meldete. "Man kann nicht als One-Man-Show kurz vor der Bundestagswahl Kaninchen aus dem Hut zaubern", warnt Gerhardt Parteichef Westerwelle. Und wenn der frühere Parteichef dem neuen Parteichef vorwirft, der Partei gelinge es nicht, die Wähler emotional zu erreichen, so ist das eine öffentliche Klatsche, wie man sie in der Politik selten erlebt. Dass Westerwelle aufgefordert wird, wie durch Gerhardt geschehen, "die liberalen Kernthemen wie Marktwirtschaft, Bildung, Außenpolitik, Bürgerrechte besser als bisher zu repräsentieren und das Potenzial voll auszuschöpfen", dann ist die Führungskraft des Vorsitzenden nahe null beschrieben.
Gerhardt musste in seinem sogenannten Strategiepapier den Namen Westerwelle gar nicht erst nennen. Wenn er unter dem Titel "Für Freiheit und Fairness" schreibt: "Das alles verlangt nach politischer Führung, die Orientierung ausstrahlt und das gesellschaftliche Klima prägt" - dann hätte er ins Zeugnis für Westerwelle auch kurz schreiben können: Setzen, eine schlappe Fünf!
Gehardt sagt, was viele denken
Nun muss bedacht sein, dass mit dem Kritiker Gerhardt ein FDP-Mann daherkommt, der noch eine alte Rechnung mit Westerwelle offen hat. Der hat ihn erst aus dem Parteivorsitz, dann aus dem Amt des Fraktionschefs der Liberalen im Bundestag gekegelt. Fein ging es dabei unter den Parteifreunden wahrlich nicht zu, eher mit Hinterlist und Tücke, so weit es Westerwelle betrifft. Da hatte Gerhardt noch einen gut, und er hat die Chance genutzt, dass er inzwischen auf dem bequem gepolsterten Stuhl des Vorsitzenden der parteinahen Naumann-Stiftung sitzt. Dort verfügt er über tüchtige Spin-Doktoren, da kann er preiswert durch die Welt reisen und verfügt zudem über reichlich Geld, um parteinahe Aktivitäten zu finanzieren. Kein schlechter Job. Das macht sympathisch in der Partei.
Doch so einfach, dass Gerhardt eben noch immer nicht seine Entmachtung verdaut habe und kleinliche Rache übe, kann es sich Westerwelle nicht machen. Denn Gerhardt hat sehr präzise ausgesprochen, was sehr viele in der FDP denken. Die Partei wird in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, von Westerwelle einmal abgesehen. Er hält alle wichtigen Reden im Bundestag. Er ist, nach dem Abgang von Friedrich Merz, mit Abstand der beste Redner von Union und FDP. Dahinter allerdings kommt wenig bis nichts. In den Medien sind zum Beispiel die Parteioldies Gerhart Baum, Burkhart Hirsch oder Otto Graf Lambsdorff präsenter als aktive FDP-Politiker.
Das hat viel damit zu tun, dass Westerwelle ungern andere gut aussehen lässt. Es gibt Talente in der FDP-Fraktion wie den Haushälter Otto Fricke oder den Gesundheitspolitiker Daniel Bahr. Der Rest ist weithin blasse Hose, vom wirtschaftspolitischen Urgestein eines Rainer Brüderle mal abgesehen. Ein Trauerspiel ist vor allem FDP-Generalsekretär Dirk Niebel. Er beherrscht allenfalls die Kunst, in jedes hingehaltene Mikro einen politischen Satz mit dem Wert der Banalität ohne Versprecher zu sprechen.
FDP kennt nur Steuerpolitik
Darüber hinaus hat er programmatisch nichts zu bieten. Baum lästert gegenüber stern.de: "Der existiert als Programmatiker gar nicht. Wenn man bedenkt, wie Karl-Hermann Flach, ein Günther Verheugen oder auch ein Guido Westerwelle diese Rolle ausgefüllt haben, dann könnte man weinen." Kritik in dieselbe Richtung äußert indirekt Niebels Vorgängerin Cornelia Pieper. Sie sagt: "Uns fehlt es manchmal an einer emotionalen und verständlichen Vermittlung unserer Botschaften." Die FDP spreche zu wenige Menschen in allen Schichten der Bevölkerung mit ihrem Programm an.
In der Tat ist die FDP auch aus der Sicht interner Kritiker viel zu einseitig auf den Punkt Steuerpolitik verengt. Es gibt, so Baum, einfach keine umfassende liberale Philosophie unter dem Vorsitzenden Westerwelle. Wie denke die Partei daran, mit dem Verarmungsproblem der Bundesrepublik umzugehen? Wo diskutiere die FDP die Frage der globalen Gerechtigkeit? Wo stehe sie denn in der Klimapolitik, einem Thema, bei dem die Liberalen einmal führende Kraft gewesen sind?

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
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Es gibt die Debattenkultur, die einmal charakteristisch für die FDP gewesen ist, längst nicht mehr. Der Vorsitzende bestimmt, wo es langgehen soll und die Fraktion kuscht. Alle wollen sie für den Fall einer erneuten Regierungsbeteiligung nach der Bundestagswahl 2009 Karriere machen und nicken brav alles ab, was Westerwelle will. Zu vielen fehlt der Mut zur Kontroverse. Gemotzt wird allenfalls hinter eng vorgehaltener Hand. Als der FDP-Europapolitiker Jorgo Chatzimarkakis vor einigen Monaten Gedanken über eine Fusion von FDP und Grünen vorlegte, wurde er unverzüglich von Westerwelles Vasallen niedergemacht.
Stromlinie im Sinne des FDP-Chefs ist vor allem angesagt. "Wir tun so", sagt einer der Kritiker, "als ob wir gar nicht mehr wiedergewählt werden wollen." Geschlossenheit macht eine liberale Partei nicht attraktiv. Das sei wie beim Fußball, warnt Brüderle: "Politik ist eben auch ein Mannschaftsspiel, und wer das nicht bedenkt, wird nicht gewinnen."
Noch ist die Attacke Gerhardts keine Personaldiskussion. Wer soll Westerwelle im Augenblick schon ersetzen? Aber die kommenden Landtagswahlen und das Abschneiden der FDP dabei werden seinen künftigen Stellenwert beziffern. Kämen die Liberalen in Hamburg und Bayern, wo sie seit 1994 nicht mehr im Landtag sitzen, wieder in die Parlamente und kehren sie in Hessen in die Regierung zurück und bleiben sie in Niedersachsen an der Macht, dann ist Westerwelle zunächst einmal der Größte. Aber er muss achtsam sein.
Gerhardts überraschende Ankündigung, er wolle 2009 noch einmal für den Bundestag kandidieren, ist nicht nur so dahergeredet. Das ist die Ankündigung: Ich will weiter eine Rolle spielen. Auf die Hinterbank setze ich mich nicht. Denn wenn Westerwelle es 2009 nicht schafft, seine Partei endlich wieder in eine Regierung zu bringen, in welche auch immer, dann dürften seine Tage an der FDP-Spitze gezählt sein.