Zwei Tage sind vergangen, seit die drei Ampelmänner im Kanzleramt vor die Öffentlichkeit traten, um zu verkünden: Der Haushalt für 2024 steht – stabil, formschön und verfassungskonform. Haushaltskrise? Beendet!
Nur, stimmt das überhaupt?
Zwei Tage später sind noch immer mehr Fragen offen als beantwortet. Zwei Tage später kann man den gemeinsamen Auftritt von Kanzler Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner auch ganz anders bewerten: als eine mutige Behauptung, wenn nicht gar als großen Bluff.
Da standen drei Ampelmänner, die behaupteten, die Quadratur des Kreises geschafft zu haben. Die behaupteten, sie würden alle Haushaltslöcher stopfen, niemanden in seiner Not allein lassen, weder Bürger noch die Wirtschaft, erst recht nicht die Ukraine. Die behaupteten, zu allem Überfluss dabei natürlich die Schuldenbremse einzuhalten. Und falls nicht? Irgendwas mit "Überschreitensbeschluss".
Doch noch immer darf in der Öffentlichkeit vor allem gerätselt werden, worauf sich Kanzler, Vize und Vizevize in ihrer langen Nacht wirklich geeinigt haben. Einen detaillierten Plan, zumindest ein klares Konzept hat die Koalition bisher nicht vorgelegt. Nach den endlos langen Koalitionsausschussnächten gab es bisher wenigstens ein gemeinsames Papier, das in Umrissen die Einigung skizzierte. Das ist dieses Mal anders: Die Dreierrunde selbst hat nichts Schriftliches hinterlassen. Bis auf ein paar sogenannte Argumentationshilfen, hektisch erstellt in Parteizentralen und beteiligten Ministerien, ist kein gemeinsames Beschlusspapier bekannt. Hier eine Zahl, dort ein Ziel, nirgends ein definitiver Plan.
Vorhang zu, alle Fragen offen? Am deutlichsten zeigt sich das Problem an den folgenden fünf Punkten:
Notlage – wie noch mal?
Es fängt schon beim ganz Grundsätzlichen an, bei der Frage, ob die Schuldenbremse nun eingehalten oder im Notfall doch gelockert wird – aber wirklich nur im Notfall und ausschließlich zur Unterstützung der Ukraine. Oder wie war das jetzt genau? Olaf Scholz hat sicher nicht zufällig das griffige Wort "Haushaltnotlage" vermieden und dafür den umständlichen Technokratenbegriff "Überschreitensbeschluss" gewählt. In der Sache bliebe es natürlich dasselbe: Die Regierung ruft die Notlage aus, was ihr ermöglicht, mehr Kredite aufzunehmen, als die Schuldenbremse eigentlich erlaubt.

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Für Scholz tritt dieser Fall dann ein, wenn sich die Lage an der ukrainische-russischen Front dramatisch verschlechtert. Oder wenn die USA beschließen, die Unterstützung der Ukraine einzustellen. Offenbar ist der Kanzler bereit, in dieser Situation die deutschen Zahlungen massiv zu erhöhen. Ob das juristisch haltbar ist, würde sicher erneut vom Bundesverfassungsgericht entschieden. Ebenso spannend ist eine andere Frage: Ob die Koalitionspartner die Einschätzung des Kanzlers teilen. Das wird sich zeigen, wenn der Moment gekommen ist.
Bis auf Widerruf gilt die Bremse, was ein führender Sozialdemokrat einen rein "performativen Gewinn" für den FDP-Chef Lindner nannte. Frei übersetzt heißt das: Es sieht vielleicht für den Moment nach einem Sieg für Lindner aus, früher oder später erklären wir aber sowieso die Haushaltnotlage. Oder doch nicht? Der Entscheidung über diese Frage haben die Koalitionäre in die Zukunft verschoben – den Streit darüber auch.
Die Fluthilfe für das Ahrtal: ein Prüfauftrag – und Testballon?
Auch bei den Finanzhilfen für die Flutopfer im Ahrtal konnten sich die Koalitionäre allenfalls darauf verständigen, ihren Zwist zu vertagen – eine Einigung in der Sache erzielten sie nicht. Die Streitfrage: Sollen 2,7 Milliarden Euro zur Bewältigung der Hochwasserkatastrophe von 2021 durch einen erneuten Notlagenbeschluss aufgebracht werden, also durch eine Lockerung der Schuldenbremse?
Kanzler Scholz und seine SPD streben das an, Finanzminister Lindner und seine FDP sehen den Plan mindestens skeptisch. Der Formelkompromiss lautet nun: Das Vorhaben wird erstmal geprüft und darauf abgeklopft, inwieweit ein "Überschreitensbeschluss" verfassungsrechtlich möglich ist. Eine wiederholte Klatsche aus Karlsruhe will man offenkundig vermeiden. Wohl auch deswegen soll parallel das Gespräch mit der Union gesucht werden, ob die einen solchen Beschluss mittragen – oder erneut vor das Verfassungsgericht ziehen würde.
Gemessen am Gesamtvolumen des Haushalts 2024 (mehr als 450 Milliarden Euro) stellen die Fluthilfen geradezu einen Kleckerbetrag dar, der sich wohl auch aus dem Kernetat stemmen lassen würde. Der Verdacht liegt deshalb nahe, dass Scholz ein Exempel statuieren möchte: Indem die Ahrtal-Hilfen per "Überschreitensbeschluss" aufgebracht werden, könnte der Kanzler beweisen, dass eine gut begründete Notlage immer noch gezogen werden kann. Nach der (K)Einigung der Koalitionäre wies Scholz demonstrativ darauf hin, dass das Grundgesetz "ausdrücklich" vorsehe, dass Kreditobergrenzen zur Bewältigung von Naturkatastrophen und außergewöhnlichen Notsituationen angehoben werden könnten. So, so.
Fliegen wird teurer – alles klar? Überhaupt nicht.
Das Fliegen innerhalb Deutschlands soll teurer werden. Als Teil des Haushaltskompromisses plant die Bundesregierung offenbar, Subventionen im nationalen Luftverkehr zu streichen. Also alles klar? Überhaupt nicht. Wie genau die Subventionen wegfallen sollen, darüber scheint es zwischen den Koalitionären keine Einigkeit zu geben.
In Robert Habecks Wirtschaftsministerium heißt es, die Regierung wolle eine Kerosinsteuer einführen. Eine solche ist schon lange ein Anliegen der Grünen, der nationale Flugverkehr ist davon bislang ausgenommen. Die Branche zeigte sich denn auch direkt entsetzt: "Die staatlichen Standortkosten in Deutschland sind bereits jetzt die höchsten im europäischen Vergleich", sagte Jost Lammers, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft. "In dieser Situation verteuert die Bundesregierung mit dem nationalen Alleingang einer innerdeutschen Kerosinbesteuerung den Zubringerverkehr zu deutschen Drehkreuzen und verschiebt damit Verkehre ins europäische und internationale Ausland."
Nur stimmt das überhaupt? In Lindners Finanzministerium denkt man eher an einen anderen Mechanismus: die Luftverkehrssteuer. Diese müssen die Unternehmen pro Passagier für jeden Flug entrichten. Im Moment ist die Steuer aber an die Einnahmen aus dem Emissionshandel gekoppelt. Je höher letztere, desto geringer fällt der Steuersatz aus. Künftig soll dieser Absenkungsmechanismus entfallen, heißt es in einem Papier aus dem Ministerium zur Haushaltseinigung. In der Vergangenheit hat der Bundesrechnungshof bereits dessen Abschaffung empfohlen. Denn die Absenkung verursache Steuermindereinnahmen für den Haushalt und stehe "klimapolitischen Lenkungszielen" entgegen. Wie es am Ende kommt? Das scheint derzeit noch komplett offen.
Investitionen in die Infrastruktur der Bahn – woher noch mal genau?
Es ist eine der wenigen klaren Ansagen der Regierung: Die 12,5 Milliarden Euro, die im Klima- und Transformationsfonds für die Sanierung der Deutschen Bahn vorgesehen waren, fallen weg. Sie sollen irgendwie kompensiert werden. Der Plan ist, die Generalsanierung des Netzes im kommenden Jahr zu starten: 4000 Kilometer Schiene müssen bis 2030 modernisiert werden. Nur auf welchen Umwegen das vorgesehene Geld nun genau mobilisiert werden soll – das ist bislang leider alles andere als klar.
Geraune ist aus der Regierung zu vernehmen, Andeutungen, Szenarien. Bundesbeteiligungen sollen angeblich verkauft werden. Aktien bei der Post oder der Telekom zum Beispiel könnten für die nötigen Milliarden sorgen. Aber in welcher Höhe? Wann? Und was genau könnte alles betroffen sein? Alles offen. Der Verkauf des eigenen Tafelsilbers ist immer eine sensible Angelegenheit. Was weg ist, ist weg. Das öffentliche Schweigen der beteiligten Ministerien dürfte auch an der Sorge liegen, strategische Fehler zu machen.
Auch die Logistik-Tochter der Bahn, Schenker, könnte dem Vernehmen nach verkauft werden. Ein Investor aus den Emiraten sei schon an einer Übernahme interessiert, heißt es. Nicht alle in der Koalition sind davon überzeugt. Schenker ist nämlich profitabel. Würde das Unternehmen verkauft, hinterließe das ein Loch in der Bilanz der Bahn, das die gewonnenen Milliarden gleich wieder verschlucken würde, jedenfalls mehr oder weniger. Ein Nullsummenspiel, so die Befürchtung mancher Kritiker. Und so ist ausgerechnet beim so wichtigen Thema der Netzsanierung noch viel Spielraum für Spekulation und Verhandlung, ob und wo die Milliarden nun aufgetrieben werden sollen. Nur eins ist klar: Die desaströse Unpünktlichkeit der Bahn muss ein Ende finden.
Wenig Kürzung – viel Luftbuchung: Die Sache mit dem Bürgergeld
Nebulös ist derzeit auch noch, wie die Ampel im Sozialbereich, dem größten Einzelhaushalt, kürzen will. Oder wie es Christian Lindner formulierte: "Der Sozialstaat muss zielgenauer gemacht werden." Angekündigt sind Einsparungen von rund 1,5 Milliarden Euro im kommenden Jahr. Diese Summe soll zum einen durch die Streichung des Bürgergeld-Bonus erreicht werden. Der Bonus wurde erst im Sommer eingeführt: Für eine berufliche Weiterbildung, die nicht auf einen Berufsabschluss zielt und mindestens acht Wochen dauert, erhalten Bezieher von Grundsicherung 75 Euro im Monat extra. Das wird es im kommenden Jahr nicht mehr geben. So weit, so klar. Doch was ist mit den Weiterbildungen, die auf einen Berufsabschluss zielen? Für die gibt es sogar 150 Euro Zuschuss. Ob dieser auch gestrichen wird, ist noch offen.
Noch vager wird es bei der geplanten zweiten Maßnahme. Indem mehr ukrainische Flüchtlinge in Arbeit vermittelt werden, soll erheblich beim Bürgergeld gespart werden. Derzeit beziehen rund 700.000 Flüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland Bürgergeld, insgesamt rund sieben Milliarden Euro pro Jahr. Nur rund 20 Prozent aller erwerbsfähigen Geflüchteten gehen tatsächlich arbeiten. In anderen europäischen Ländern ist der Anteil teils doppelt so hoch.

Das schlichte Kalkül: Mehr Geflüchtete in Arbeit bedeuten weniger Ausgaben beim Bürgergeld. Nur wie? Von einer "Verschärfung der Sanktionen" ist die Rede. Nur hat das Bundesverfassungsgericht bereits 2019 der Höhe von Leistungskürzungen enge Grenzen gesetzt. Bei wiederholten "Pflichtverletzungen", also etwa dem Nichterscheinen zu einem Termin, kann die Grundsicherung um maximal 30 Prozent gekürzt werden. Offenbar soll vor allem der psychologische Druck erhöht werden, etwa durch eine höhere "Kontaktdichte", wie es im Fachjargon heißt. Das heißt, dass ukrainische Bürgergeld-Bezieher künftig in kurzen Abständen beim Jobcenter einbestellt werden sollen. Wie die Jobcenter das angesichts der dort herrschenden Personalknappheit leisten sollen, bleibt momentan noch das Geheimnis der Ampel.
Wie geht’s nun weiter? Am 11. Januar 2024 soll es im Bundestag eine Expertenanhörung geben, am 18. Januar könnte die Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses stattfinden, wie aus Haushälterkreisen zu hören ist. Der Etat 2024 könnte demnach am 2. Februar in Bundestag und Bundesrat final beschlossen werden. Stand: jetzt. Ein straffes Programm – und doch reichlich Zeit für die Ampel-Parteien, um sich über die vielen offenen Details mächtig in die Haare zu kriegen.