Alles hängt an den Polen. An Lech Kaczynski, dem Präsidenten, und an "Veto-Jaruslaw" (FAZ), dem Ministerpräsidenten, dem Zwillingsbruder. Verzichten die Polen im Streit um die Stimmanteile auf ihr Veto, wird der Gipfel ein Erfolg. Für die EU. Und für Angela Merkel, die deutsche Kanzlerin und EU-Vorsitzende. Bleiben die Zwillinge beim "Nein", ist die Gruppentherapie mit 27 am Ende, dann dürften einige Mitglieder des Clubs die Faxen dicke haben und es darauf anlegen, einen eigenen, neuen europäischen Laden aufzumachen. Und Merkels wohl größtes außenpolitisches Projekt bislang wäre gescheitert. Für ihre außenpolitische Bilanz wäre das zwar kein Desaster, weil die Deutschen die EU nach Meinung fast aller Beobachter und Kenner hervorragend gesteuert haben. Aber es wäre ein erster Fleck auf einer bislang makellosen außenpolitischen Bilanz der Kanzlerin.
Die Stimmung hat sich aufgeheizt
Dabei ist es derzeit, auch unmittelbar vor Beginn des Gipfels, sehr schwer einzuschätzen, was das Ergebnis der Verhandlungen sein wird, die vermutlich bis in die frühen Morgenstunden des Samstag gehen werden. Die Stimmung vor dem Gipfel hat sich seit Wochen aufgeheizt, im Kern verkürzt auf die "Polenfrage", auf das Duell zwischen Berlin und Warschau. Ein wenig erinnert die Stimmung an das legendäre WM-Gruppenspiels Deutschland gegen Polen: Die Polen waren damals eigentlich in der Defensive, eigentlich waren die Deutschen im Vorteil. Aber das entscheidende Tor wollte einfach nicht fallen - bis David Odonkor, Jürgen Klinsmanns Trumpf, diese legendäre Flanke von rechts schlug und Neuville das Siegtor schoss. Auch wenn der Vergleich in vielerlei Hinsicht hinkt: Auch in Brüssel ist das Spiel bis zur letzten Minute unentschieden. Und es ist völlig offen, ob Merkel so etwas wie einen Odonkor aus dem Hut zaubern kann.
Der beschwerliche Weg zur Reform
Verhandlungsgrundlage ist ein zwölfseitiger Vorschlag der Deutschen. Das Papier beinhaltet eine abgespeckte Version der Verfassung. Im Kern stehen darin nur noch jene Vorschläge, die unbedingt umgesetzt werden müssen, wenn die EU mit ihren 27 Mitgliedern künftig handlungsfähig sein soll. Ein ständiger "Präsident" soll geschaffen werden, der den bislang alle sechs Monate wechselnden Vorsitz ersetzt, es soll eine Art Außenminister geben, mit eigenem diplomatischen Dienst, und, am allerwichtigsten, in Zukunft soll es im Ministerrat ein neues Abstimmungsverfahren geben: Das Prinzip der "doppelten Mehrheit" sieht vor, dass für eine Mehrheit 55 Prozent der EU Mitglieder notwendig sind und dass die zustimmenden Staaten 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren müssen. Die EU-Grundrechts-Charta ist so in den Entwurf eingeflickt, dass sie als rechtsverbindlich gelten würde. Segnet der Europäische Rat, also der Gipfel, nun den deutschen Vorschlag ab, bedeutet das nicht, dass der schon umgesetzt wird, sondern dass eine Regierungskonferenz diese Vorschläge noch in diesem Jahr in Form bringen soll. Schon in der zweiten Hälfte dieses Jahres, unter dem Vorsitz der Portugiesen, könnte ein weiterer Gipfel den daraus entstehenden Vertrag abzeichnen - und die EU-Staaten könnten ihn ratifizieren. Europa ist kompliziert.
Briten wollen Außenminister nicht Außenminister nennen
Hinsichtlich des deutschen Vorschlags gibt es unendlich viele Begehrlichkeiten. Die Briten etwa sperren dagegen, die Grundrechtscharta rechtlich verbindlich zu machen. Auch, dass der EU-Außenminister sich "Außenminister" nennen soll, passt London nicht. Alles, was nach einem europäischen Staat aussieht, lehnen auch Niederländer und Tschechen ab, etwa eine eigene offizielle Hymne, eigene Symbole. All das. Dennoch gilt. Im Kern sind alle - bis eben auf Polen - bereit, nachzugeben. Denn seit den negativen Referenden in Frankreich und in den Niederlanden steckt die EU in einer Krise, ist sie gelähmt. Gelingt jetzt nicht die Reform, hat sich klar erwiesen, dass es mit 27 einfach nicht geht. Dann werden sich einige abspalten und sagen: Dann machen wir es eben allein. Die EU würde zu einem immer loseren Verbund verkommen. Weil so viel auf dem Spiel steht, sind alle zu Kompromissen bereit. Nur: Sollten die Deutschen den Polen maßgeblich entgegenkommen, werden auch alle anderen wieder ihren Teil einfordern. Dann ist an ein sinnvolles Ergebnis nicht mehr zu denken.
Ein Spiel um Alles-oder-Nichts
Welchen Spielraum Merkel hat, das Ergebnis zu beeinflussen, ist ebenfalls schwer zu sagen. Einen Odonkor, einen, den Trumpf, hat sie wahrscheinlich nicht auf Lager. Dabei haben Merkel und ihre Regierung den Gipfel hervorragend vorbereitet. Der deutsche EU-Vorsitz hat im vergangenen Jahr mehr geschafft, als man von ihm erwarten konnte. Hieß es im Januar noch, dass man bestenfalls einen Fahrplan für eine neuen Anlauf zur Verfassung hinkriegen könne, geht es nun auf diesem Gipfel schon inhaltlich um alles. Diesen Ablauf hat Merkel bei der "Feierlichen Erklärung" zum 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge im März in Berlin geschickt eingefädelt. Insofern ist es für die Deutschen eigentlich ein Riesenerfolg, dass man jetzt in Brüssel schon Tacheles reden kann, ans Eingemachte gehen kann. Man wird Merkel ein Scheitern des Gipfels also nicht anlasten können. Auch die Vorbereitung der Verhandlungen war wohl überlegt und geschickt. Aber das alles hilft Merkel am Ende wenig. In Brüssel wird nun nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip gespielt. Geben die Polen nach, ist Merkel "Miss Europe", scheitert er, wird das Ergebnis ihre außenpolitische Bilanz überschatten. Entscheidend für den Gipfel könnte sein, ob es Merkel gelingt, der polnischen Regierung zu vermitteln, wie isoliert sie mit ihrer anti-deutschen Haltung und ihrer Blockade-Pose in Europa ist, wie sehr sie Europa schaden könnte, wie sehr sie sich selbst schaden könnte. Und dass es nicht hilft, die Kriegsopfer der Vergangenheit mit einem Stimmanteil im EU-Ministerrat der Zukunft zu verrechnen, wie es Jaroslaw Kaczysnki nun getan hat. Wie gesagt: Alles hängt an Polen.