Die Revolution fällt aus. "Es gibt jetzt bei vielen eine freiwillige Selbstkontrolle", sagt Wolfgang Weng, FDP-Ehrenvorsitzender des Bezirksverbandes Stuttgart, zu stern.de. Soll heißen: Ab sofort sind Personaldiskussionen tabu, nun geht es darum, im baden-württembergischen Wahlkampf zu retten, was zu retten ist. Also dimmt auch Weng seinen Furor ab. Seine Forderung, Parteichef Guido Westerwelle möge zurücktreten, die er jüngst in einem Brandbrief erhoben hat, mag er nicht wiederholen.
Westerwelle bleibt, das hat er schon durchblicken lassen. Mindestens bis zum 27. März, 18 Uhr, wenn die Prognosen der Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz über die Bildschirme flimmern. Scheitern die Liberalen, geht die Debatte um den Parteichef noch in derselben Sekunde wieder los. Bis dahin heißt es: Klappe halten, kämpfen.
Das ist die Parole auf dem Landesparteitag der baden-württembergischen FDP in Stuttgart. "Wenn ihr Liberale seid, steht auf und kämpft!", brüllt Motivationstrainerin Birgit Homburger, Landesvorsitzende und FDP-Fraktionschefin im Bundestag, am Dienstag in den Hegel-Saal des Kongresszentrums. Bundesentwicklungshilfeminister Dirk Niebel, der im Ländle politisch beheimatet ist, fordert: "Klagt nicht, kämpft!" - und es verwundert schon ein bisschen, weshalb er nicht auch bei solchen Gelegenheiten sein Bundeswehr-Käppi trägt. Irgendwann steigt der Parolenpegel so hoch, dass sich Ermattung breit macht. "So oft wie heute habe ich das Wort 'kämpfen' noch nicht gehört", sagt der Hockenheimer FDP-Gemeinderat Michael Gelb, als er am Rednerpult steht.
Gelb weiß, dass allein mit "Kampf" kein Blumentopf mehr zu gewinnen ist. Die Personaldiskussion überlagere alles, sagt er am Dienstagabend zu stern.de, die Berichterstattung in den Medien, die Gespräche in den Betrieben, unter Freunden und an der Basis. Deswegen sei es gut, wenn sich Westerwelle beim Dreikönigstreffen dazu positioniere, wie auch immer seine Entscheidung ausfallen möge. Es gehe darum, wieder etwas Ruhe zu bekommen, um sachliche Gespräche führen zu können. Gespräche über politische Inhalte.
Es ist nur außerordentlich verzwackt mit den Inhalten. Nicht wenige Liberale klagen in Stuttgart öffentlich darüber, dass die FDP in den Diskussionen um die Atompolitik und Stuttgart 21 kaum wahrnehmbar war. Andere Themen werden anderen zugeschrieben - geradezu verzweifelt rennt Homburger in ihrer Rede gegen den Eindruck an, Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg habe die Aussetzung der Wehrpflicht im Alleingang durchgeboxt. "Wenn jemand einen Anteil daran hat, dann die FDP", empört sich Homburger. Sie selbst habe die entscheidenden Passagen im Koalitionsvertrag verhandelt. Aber das klingt in diesem Moment nur nach medialem Futterneid. Es ist für den kleinen Koalitionspartner immer schwierig, Gewinnerthemen für sich zu vereinnahmen.
Auf diesem Parteitag gelingt das eigentlich nur einem: Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle. In seinem Grußwort streichelt er die Seele der Partei, schickt der umstrittenen Landeschefin Homburger eine hemdsärmelige Solidaritätsadresse ("Ich find' dich prima"), und beschwört den Gedanken, dass die wirtschaftliche Genesung ohne die Liberalen nicht denkbar gewesen sei. Die Delegierten danken es ihm mit Standing Ovations, das ist es, was sie jetzt brauchen: Aufschwung, verkörpert von Mister Aufschwung, jenem Mann, der als Interims-Parteichef gehandelt wird, sollte Westerwelle abtreten. Endlich mal ein Licht im Keller der liberalen Perspektiven.
Natürlich äußert sich Brüderle nicht zur präkeren Situation Westerwelles. Er scheint über die Personaldebatte aber auch nicht kreuzunglücklich zu sein. Kurz vor seiner Rede läuft er an dem Tisch vorbei, an dem Rebell Weng steht. "Warum soll ich ihn bös angucken?", sagt Brüderle zu stern.de und lacht. Und Weng, der die nächsten Monate kein Rebell mehr sein will, lacht auch. Über die Resonanz seines Briefes an der Basis ist er jedenfalls zufrieden. Weng: "Bei fast allen normalen Mitgliedern heißt es: Gott sei dank hat es mal einer gesagt." Auch wenn vorerst nichts passiert. Vorerst.