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Faktencheck CDU-Chef Merz provoziert: Asylbewerber "lassen sich die Zähne neu machen" – stimmt das?

"Bundeskanzler hat Probleme, sich in eigenen Reihen durchzusetzen": Merz reagiert mit Skepsis auf Scholz-Vorschlag
Sehen Sie im Video: "Bundeskanzler hat Probleme, sich in eigenen Reihen durchzusetzen" – Merz reagiert mit Skepsis auf Scholz-Vorschlag.
Videoquelle: rtl.de

Lassen sich Asylbewerber reihenweise die Zähne neu machen? Das behauptete der CDU-Chef Friedrich Merz in einer Fernsehsendung. Ein Faktencheck.

Inhaltsverzeichnis

In einer Talksendung des Fernsehsenders "Welt" provozierte CDU-Chef Friedrich Merz mit harschen Aussagen über Asylbewerber. In der Sendung zum Thema "Migrationskrise" sagte Merz, man müsse über die Pull-Faktoren sprechen, die dazu führten, dass "über 30 Prozent der Asylbewerber aus ganz Europa nach Deutschland kommen". Pull-Faktoren meinen positive Umstände, die Migrantinnen und Migranten in ein Land "ziehen", zum Beispiel eine hohe Wirtschaftskraft, Arbeitsplätze oder Bildungsmöglichkeiten. Merz nannte in der Sendung aber einen ganz anderen Faktor: Zahnersatz. Dafür erntet er nun massive Kritik. Ist das billiger Populismus oder ist was dran an seinen Vorwürfen?

Was genau hat Friedrich Merz gesagt?

In der Sendung "Welt-Talk" sagte der CDU-Vorsitzende wörtlich: "Die werden doch wahnsinnig, die Leute, wenn die sehen, dass 300.000 Asylbewerber abgelehnt sind, nicht ausreisen, die vollen Leistungen bekommen, die volle Heilfürsorge bekommen. Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine." Der Ampel-Koalition warf er vor, nicht zu handeln: "Was Sie hier machen, ist eine Katastrophe für dieses Land."

Stimmen seine Zahlen?

In diesem Jahr hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bisher 154.000 Asylanträge bearbeitet, davon wurde gut die Hälfte angenommen. Ukrainische Geflüchtete werden bei dieser Zahl allerdings kaum erfasst, weil die überwiegende Mehrheit keinen Asylantrag stellt.

Wird der Asylantrag eines Bewerbers oder einer Bewerberin abgelehnt, haben Migranten eine Ausreisepflicht zwischen sieben und 30 Tagen. Reisen diese nicht freiwillig aus, schiebt die zuständige Ausländerbehörde diese Menschen ab. Laut der Organisation Pro Asyl reisen etwa zwei Drittel der Ausreisepflichtigen freiwillig aus.

Der Bundestag gibt auf Antwort einer kleinen Anfrage der Linken an, zum 30. Juni 2023 hätten sich rund 280.000 ausreisepflichtige Personen in Deutschland aufgehalten. Davon wurden allerdings rund 225.000 Menschen geduldet, können also nicht abgeschoben werden. Diesen Status erhält man nur unter bestimmten Voraussetzungen, wenn zum Beispiel Familien getrennt würden, eine Ausbildung angefangen wurde, Papiere fehlen oder bei schwerer Krankheit.

Was ist die gesetzliche Grundlage zur gesundheitlichen Versorgung?

Bundesinnenminister Nancy Faeser (SPD) widersprach Merz unmittelbar nach der Talksendung auf X (vormals Twitter) und warf ihm "erbärmlichen Populismus auf dem Rücken der Schwächsten" vor: "Asylsuchende werden nur behandelt, wenn sie akut erkrankt sind oder unter Schmerzen leiden." Und was steht im Gesetz?

Geregelt ist die gesundheitliche Behandlung im Asylbewerberleistungsgesetz. In Paragraf 4 zu Leistungen bei Krankheit heißt es: "Zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sind die [...] erforderlichen Leistungen zu gewähren." Eingeschränkt wird: "Eine Versorgung mit Zahnersatz erfolgt nur, soweit dies im Einzelfall aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist."

Anders sieht es jedoch nach 18 Monaten aus, der sogenannten Wartezeit: Ab dann werden Asylbewerber von den gesetzlichen Krankenkassen betreut. "Sie erhalten eine elektronische Gesundheitskarte, mit der Sie nahezu dieselben Leistungen erhalten wie gesetzlich Krankenversicherte", heißt es dazu auf der Homepage des Spitzenverbands der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).

Was sagt die Bundeszahnärztekammer?

Die Bundeszahnärztekammer teilt dem stern auf Nachfrage mit, man sei aktuell nicht überlastet durch Asylbewerber. Eine zeitweise Überlastung habe es 2015/16 gegeben, da die Versorgung von Geflüchteten damals nicht formal geregelt gewesen sei. "Das ist jetzt nicht mehr der Fall. Deshalb können wir die Kritik nicht bestätigen, beim Zahnarzt kriegt man noch sehr gut Termine." Probleme gäbe es eher durch die Stadt-Land-Verteilung von Praxen, aber nicht durch Asylbewerber.

In einer Broschüre der Bundeszahnärztekammer heißt es zur Behandlung von Asylbewerberinnen und -bewerbern: Jeder Zahnarzt müsse individuell entscheiden, welche Untersuchungen und Behandlungen durch das Asylbewerberleistungsgesetz abgedeckt seien. "Dabei kann der Behandler in einen ethischen Konflikt geraten, wenn mögliche zahnerhaltende Maßnahmen nicht finanziert werden. Unter Umständen berechtigt erst der akute Schmerzfall eine Behandlung."

Wie fallen die Reaktionen aus?

Besonders von Seiten der Grünen und der SPD erntet Merz Kritik. Erik Marquardt, Mitglied im Europaparlament für die Grünen, kritisiert via X: "Das ist schlicht gelogen und dient nur dazu, Hass gegen Asylsuchende und das Grundrecht auf Asyl zu schüren."

Aus den Reihen der Union bekommt der CDU-Chef auch Unterstützung. So stärkte der stellvertretende CSU-Vorsitzende Manfred Weber Merz den Rücken: "Wenn ich im Wahlkampf in Bayern unterwegs bin, sind dass die Themen, die die Leute interessieren und bewegen. Deshalb muss man die Themen ansprechen." Am 8. Oktober werden in Bayern und Hessen die Landtage neu gewählt.

Quellen:  Twitter, Bundeszahnärztekammer, Bundeszentrale für politische Bildung,Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Asylbewerberleistungsgesetz, Pro Asyl,Drucksache Bundestag, Informationen der Nachrichtenagenturen

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