Friedrich Merz kann eigentlich nicht klagen. Schließlich ist ihm nach drei Jahren und zwei verlorenen Stichwahlen doch noch ein Comeback gelungen – mit einem Wumms, der nicht zuletzt Ralph Brinkhaus zur Kapitulation zwang.
Die CDU hat Merz mit einem Mandat zum Durchmarsch ausgestattet. Das unzweideutige Ergebnis von 94,62 Prozent beim Digital-Parteitag ließ Brinkhaus praktisch keine andere Wahl, als dem 66-Jährigen seinen Posten als Unionsfraktionschef zu überlassen. Andernfalls hätte ein Machtkampf auf offener Bühne gedroht, den Brinkhaus in der aktuellen Merz-Begeisterung mit schweren Blessuren verloren hätte.
Merz hat nun praktisch alles, was er wollte. Und darin liegt schon das erste Problem des neuen Parteichefs, dessen erster Arbeitstag heute mit der Bekanntgabe der Briefwahlergebnisse offiziell begonnen hat.
Friedrich Merz steht vor großen Baustellen
Die Verbindung von Partei- und Fraktionsführung bietet Chancen und Risiken. Merz hat nun die größtmögliche Bühne für eine Oppositionspartei, aber auch keine Ausreden mehr: Geht etwas schief, ist er verantwortlich. Das Scheinwerferlicht ist auf ihn gerichtet. Schuldzuweisungen, wie etwa gegen das Establishment seiner Partei, sind nun Makulatur – schließlich gehört er jetzt dazu. Merz galt lange Zeit als einer der schärfsten Kritiker der Politik von Langzeit-Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Nun muss er liefern und zeigen, dass er es besser kann. Kann Merz die Erwartungen nicht erfüllen, könnte ihm ein ähnlich tiefer Fall wie seinen Amtsvorgängern drohen.
Der lange Kampf gegen Merkel: Das politische Leben von Friedrich Merz in Bildern

Viel Schonzeit dürfte ihm dabei nicht bleiben, schon jetzt muss die CDU die Regierung inhaltlich stellen. Aktuell im Ringen um eine allgemeine Corona-Impfpflicht oder im Umgang mit Russland, künftig um die großen Ampel-Pläne wie den Mindestlohn oder Klimaschutz. Als größte Oppositionspartei wird von CDU zwar Kritik erwartet, aber auch Alternativen aufzuzeigen. Ist sie dabei zu krawallig, könnte sie als unseriös wahrgenommen werden. Ist sie zu seicht, käme sie als zahnloser Tiger daher. Merz' Vorteil: Er war bereits Unionsfraktions- und Oppositionschef, als Gerhard Schröder (SPD) eine rot-grüne Koalition anführte, weiß also, wie Oppositionsarbeit funktioniert. Merz' Nachteil, wie er ihn selbst formulierte: "Unsere Schubladen sind leer", sagte er im Gespräch mit dem "Spiegel". "Wir müssen jetzt wieder selber denken."
Denn nach 16 Jahren in Regierungsverantwortung ist die CDU inhaltlich ausgebrannt. Bei "relevanten Themen offenbart die Partei programmatische Defizite und großen Nachholfbedarf", heißt es in einer internen Wahlanalyse, aus der etwa die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" zitierte. Ein Wiederaufstieg sei möglich, aber auch eine "Implosion der Partei nach dem Vorbild anderer christdemokratischer Parteien in Europa". Der programmatische Markenkern der CDU sei "abgeschliffen".
Neben dem Kurs gibt es auch bei den Köpfen einen Handlungsbedarf. In den vergangenen Jahren habe die Partei zu wenig daran gearbeitet, bestimmte Themen mit konkreten Personen zu besetzen, sagte Merz im "WAZ"-Interview. Das sei ein "Erfolgsrezept der CDU" gewesen. "Ich bin jetzt in einem Alter, wo ich vom ersten Tag an darüber nachdenken muss, wer diejenigen sind, die in den nächsten zehn bis 20 Jahren folgen", so Merz, der unter anderem angekündigte, seine Stellvertreter mit Themenschwerpunkten zu betrauen, in denen diese dann konkrete inhaltliche Positionierungen erarbeiten sollen.
Die Kombination hat zur Konsequenz, dass sich immer weniger für die Politik der Union begeistern können. Das zeigt nicht nur das historisch schlechteste Wahlergebnis der Union bei einer Bundestagswahl (24,1 Prozent). Die CDU verliert Parteimitglieder und Wähler in jeder Altersgruppe. Wofür CDU wählen? Eine Antwort auf diese Frage soll Carsten Linnemann finden. Merz hat dem früheren Chef des Wirtschaftsflügels der Union die Führung der Grundsatz- und Programmkommission übertragen. Bis 2024 soll ein neues CDU-Grundsatzprogramm ins Werk gesetzt werden. "Ob stabile Renten oder Mindestlohn, Olaf Scholz hatte eine Erkennungsmelodie", sagte Linnemann kürzlich im "Spiegel". "Wir brauchen auch eine. Nur so werden wir wieder Wahlen gewinnen."
Und die ersten Wahlen stehen schon bevor. Zunächst die Landtagswahl im Saarland (27. März), wenig später in Schleswig-Holstein (8. Mai) und Nordrhein-Westfalen (15. Mai). In allen drei Ländern regiert ein Christdemokrat, entsprechend viel gibt es zu verlieren. Für Merz sind die Wahlen eine erste belastbare Bewährungsprobe. Das aktuelle Stimmungsbild lässt erahnen, dass die Urnengänge für die Amtsträger zumindest keine Selbstläufer werden dürften, wenngleich Umfragen immer mit Vorsicht zu betrachten sind und sich den letzten Tagen noch viel ändern kann. So ist etwa im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen derzeit alles offen, wie eine aktuelle Erhebung zeigt. Heißt aber auch: CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst droht, Stand jetzt, die Abwahl.
Friedrich Merz, der neue starke Mann in der CDU, hat noch einige Kraftanstrengungen vor sich.
Quellen: "Der Spiegel", "Frankfurter Allgemeine Zeitung", "Westdeutsche Allgemeine Zeitung", mit Material der Nachrichtenagentur DPA