Gesundheitsminister Philipp Rösler will die Finanzierung des Gesundheitssystems nicht mit der Brechstange umstellen, sondern "behutsam" und "in kleinen Schritten". Mit diesen Worten warb der FDP-Politiker vor der ersten Sitzung der Regierungskommission zur Gesundheitsreform an diesem Mittwoch für sein Projekt in der "Bild am Sonntag". Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, in dieser Wahlperiode werde die Regierung "evolutionäre, keine revolutionären Veränderungen vornehmen". Sie sprach sich für eine Entkoppelung von Gesundheits- und Arbeitskosten aus.
Nach Informationen der Potsdamer "Märkischen Allgemeinen" sehen Röslers Pläne vor, für die gesetzliche Krankenversicherung 2011 eine zusätzliche Kopfpauschale von voraussichtlich 29 Euro im Monat einzuführen. Dieser einkommensunabhängige Festbetrag müsste von jedem Versicherten neben den Beiträgen gezahlt werden. Zugleich solle aber der 2005 eingeführte Zusatzbeitrag der Arbeitnehmer in Höhe von 0,9 Prozent wieder entfallen. Abgesehen von der Kopfpauschale würden die verbleibenden, einkommensabhängigen Beiträge für die Krankenkassen dann wieder paritätisch von Arbeitgebern und Arbeitnehmern finanziert.
Röslers Sprecher sagte, solche "Spekulationen" würden nicht kommentiert. Er verwies auf die Regierungskommission, die am Mittwoch ihre Arbeit aufnehmen wird. Diese werde sich damit befassen, "wie der Einstieg in ein neues Finanzierungssystem gestaltet werden soll". Dazu gehöre auch der geplante Sozialausgleich für sozial Schwache.
Kostengünstiger Sozialausgleich
Die zusätzliche Kopfpauschale von 29 Euro soll dem Bericht der "Märkischen Allgemeinen" zufolge mit einem steuerfinanzierten Sozialausgleich verknüpft werden. Dieser solle deutlich weniger als fünf Milliarden Euro kosten, hieß es. Da von der Umstellung auf die Pauschale vor allem gut Verdienende profitieren würden, seien zum Ausgleich eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze oder eine Anhebung der Steuersätze auf hohe Einkommen denkbar.
Die Union warnte davor, sich schon jetzt auf Zahlen für die geplante einkommensunabhängige Gesundheitsprämie zu fixieren. Der gesundheitspolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Jens Spahn, sagte, die Union gehe offen in die Verhandlungen der Regierungskommission. "Von zu viel Vorfestlegungen im Detail, noch bevor die Kommission das erste Mal getagt hat, halte ich nichts." Es gebe viele Modelle, die man sich in Ruhe ansehen werde.
Die Opposition reagierte auf die Spekulationen um die Kopfpauschale mit Kritik. Grünen-Fraktionschefin Renate Künast erklärte, monatlich 29 Euro wären für die FDP nur der "Einstiegspreis". Die gesundheitspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Martina Bunge, warf Rösler "Salamitaktik" vor. Eine kleine Kopfpauschale solle die Versicherten "an die ungerechte und unsolidarische Finanzierung der Krankenversicherung gewöhnen".
In der "BamS" schrieb Rösler, niemand dürfe überfordert werden. "Auch deshalb bekommt die Solidarität ein noch stärkeres Gewicht: Starke Schultern werden mehr tragen müssen. Und weil der Ausgleich alle Einkünfte berücksichtigt, wird er deutlich gerechter." Das heutige System werde von Kritikern als planwirtschaftlich bezeichnet: "Tatsächlich kommt das Geld oft nicht da an, wo es hingehört."
Dies wolle man ändern, indem wettbewerblichere Strukturen geschaffen werden sollten. "Wir sorgen dafür, dass die Bedürfnisse der Patienten mehr in den Mittelpunkt gerückt werden. Die Gesundheitsprämie kann hier einen wertvollen Beitrag leisten. Sie ermöglicht es, das System effizienter zu machen", meinte der Minister.
Krankenkassen droht riesiges Minus
Die Kanzlerin sagte der "Sonntag Aktuell", wenn man steigende Gesundheitskosten weiter allein paritätisch an die Arbeitskosten kopple, dann belaste man die Arbeitsplätze. Merkel verteidigte die Pläne für die Kopfpauschale und argumentierte, ein automatischer Sozialausgleich würde mehr Gerechtigkeit schaffen.
Wie die "Märkische Allgemeine" weiter berichtet, droht nach Berechnungen des Gesundheitsministeriums im kommenden Jahr ein Defizit der gesetzlichen Krankenkassen von rund elf Milliarden Euro. Sollte dieses Minus allein mit den bestehenden Instrumenten ausgeglichen werden, müssten demnach sowohl die individuellen Zusatzbeiträge der einzelnen Kassen als auch der reguläre Beitragsatz von jetzt 14,9 Prozent deutlich angehoben werden.