Grünen-Chefin Claudia Roth Ein Abschied unter Tränen

Mehr als elf Jahre stand sie an der Spitze der Grünen. Nun hat sich Claudia Roth auf dem Parteitag der Grünen aus ihrem Amt als Parteivorsitzende verabschiedet. Ihre Nachfolgerin steht bereits fest.

Begleitet von der Musik ihrer einstigen Band Ton Steine Scherben hat sich Grünen-Chefin Claudia Roth am Samstag aus der Parteiführung verabschiedet. Minutenlang applaudierten die rund 800 Delegierten auf dem Parteitag in Berlin ihrer scheidenden Parteivorsitzenden. "Ich will keine Tränen seh'n", rief die nach mehr als elf Jahren scheidende Parteichefin Claudia Roth den Genossen zu - und hielt sich selbst nicht daran.

Die 58-jährige hat die Partei unter anderem durch ihr Engagement für Flüchtlings- und Menschenrechte geprägt. Bei ihrer Verabschiedung auf dem Parteitag zeigten die Grünen in einem Film wichtige Stationen ihres Wirkens. Die einstige Managerin der Rockband Ton Steine Scherben, die oft Kleidung in schrillen Farben trägt und ihre Haare umfärbt, sang bei der Liedzeile eines Solos von Sänger Rio Reiser sogar selbst mit: "Es ist vorbei, bye-bye..." Beendet ist Roths politisches Wirken aber keineswegs: Sie wurde erneut in den Bundestag gewählt und von ihrer Fraktion bereits für den Posten der Vizepräsidentin des Bundestages nominiert.

In ihrer Abschiedsrede auf dem Parteitag rief Roth denn auch den Delegierten zu: "Lasst uns kämpfen für das, wo wir hinwollen." Politik müsse nicht "mausgrau" sein und die Grünen seien auch keine "Spießerpartei". Sie versicherte: "Wir sind cool, wir sind bunt und hoffentlich auch manchmal schrill - sonst wird's nämlich verdammt langweilig." Zum Abschluss ihrer Ansprache zitierte sie dann noch eine Liedzeile der Band Tote Hosen: "Die Zeit mit euch war wunderschön. Es ist wohl besser jetzt zu gehn, wir können keine Tränen sehn. Schönen Gruß und auf Wiedersehn."

Entscheidung über neuen Parteivorstand

Die bayerische Landesvorsitzende Theresa Schopper sagte, Roth habe sich "zu einem Eisbrecher für konservative Männer" entwickelt. "Du bist auf der Skala Leidenschaft immer mit der vollen Punktzahl."

Auch Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke trat nach elf Jahren ab. Sie hinterlasse eine Partei, "die absolut selbstbewusst und kämpferisch nach so einer Wahlniederlage aufsteht und mit dem Fuß aufstampft", sagte sie. Jetzt fühle sie sich auch befreit.

Als Nachfolgerin von Claudia Roth ist am frühen Abend auf dem Grünen-Parteitag die frühere saarländische Umweltministerin Simone Peter, 47, gewählt worden. Sie erhielt 75,9 Prozent der Stimmen. Grünen-Chef Cem Özdemir ist mit 71 Prozent der Stimmen in seinem Amt bestätigt worden. Gegen den Parteichef, der 2012 mit 83 Prozent gewählt worden war, stimmten 20 Prozent, sieben Prozent enthielten sich und auf den weithin unbekannten Gegenkandidaten Thomas Austermann entfielen zwei Prozent der Stimmen.

In seiner kämpferischen Bewerbungsrede ging der 47-Jährige auf Vorwürfe ein, er habe während des Wahlkampfes kein Gegengewicht gegen den Spitzenkandidaten und Parteilinken Jürgen Trittin gebildet und zudem nicht deutlich genug für die Realos Position bezogen: Auch ihm habe manchmal der Mut gefehlt, "mit einer eigenen Position mal auf die Schnauze zu fallen oder eine Abstimmung zu verlieren".

Offenheit für neue Koalitionen

Zuvor hatte der Parteitag mit großer Mehrheit eine strategische Neuausrichtung beschlossen: Um wieder an die Macht zu kommen, wollen sich die Grünen künftig offen nach allen Seiten zeigen. Für Rot-Grün habe es bei der zurückliegenden Bundestagswahl zum dritten Mal nicht gereicht, nun müssten andere Optionen möglich sein, "sei es Rot-Grün-Rot oder Schwarz-Grün", heißt es in dem Beschluss.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Und weiter: "In unserer Partei müssen wir die bestehende Blockade überwinden, damit alle auch alle Optionen mittragen können." Als Lehre aus dem Wahlkampf müssten es die Grünen wieder schaffen, eine realistische Machtoption zu erarbeiten. Zuvor lehnte die Versammlung einen Realo-Änderungsantrag ab, der die Pläne für höhere Steuern ausdrücklich als "Fehler" bezeichnete, auf den das schlechte Wahlergebnis zurückzuführen sei.

Die Grünen wollen selbst keine Initiative für Sondierungsgespräche mit SPD und Linken ergreifen. Ein Antrag, der Gespräche mit dem Ziel einer rot-rot-grünen Regierung oder einer rot-grünen Minderheitsregierung unter Tolerierung der Linken forderte, fiel durch. Angesichts der Koalitionsverhandlungen von Union und SPD sei dafür jetzt der falsche Zeitpunkt, sagte der neue Fraktionschef Anton Hofreiter.

Göring-Eckardt gibt klares Ziel vor

In der rund vierstündigen Diskussion über die Konsequenzen aus der Wahlniederlage schwor Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt ihre Partei darauf ein, in den nächsten vier Jahren "unser Ergebnis zu verdoppeln". Die Grünen hatten bei der Wahl am 22. September nur 8,4 Prozent erreicht, 2009 kamen sie auf 10,7 Prozent.

Der hessische Fraktionschef Tarek Al-Wazir forderte: "Wir dürfen nie wieder Wahlkampf mit dem Holzhammer machen." Eigenständigkeit könnten die Grünen nicht beschließen, "die muss man als Haltung haben".

DPA · Reuters
cob/DPA/AFP/Reuters

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