Grünen-Chefin Roth "Es gibt keine Akzeptanz für die PKK"

Die PKK verübt aus dem Nordirak heraus Anschläge in der Türkei, die türkische Regierung hat 100.000 Soldaten an der Grenze aufmarschieren lassen: Es droht ein bewaffneter Konflikt. stern.de sprach mit Grünen-Chefin Roth über die Lage - und die Position der CDU zur Türkei.

Frau Roth, die PKK will die Türkei in einen militärischen Konflikt drängen - und die Türkei lässt sich offenbar drängen. Was nun?

Ich bin vehement gegen eine Intervention der türkischen Armee. Würde sie in den Nordirak eindringen, würde sie die einzige Region des Landes destabilisieren, in der es einigermaßen ruhig ist. Aber es ist im Moment schwierig für die türkische Regierung, ruhig und besonnen zu reagieren. Ich war vor einer Woche in der Türkei - der Druck der nationalistischen Kräfte ist so groß, wie ich es seit Jahren nicht mehr erlebt habe.

Der türkische Premier Tayyib Erdogan trifft am Montag US-Präsident George Bush. Offenbar will sich Erdogan ein "okay" für einen Militärschlag abholen.

Die USA müssen an einer konstruktiven, friedlichen Lösung mitarbeiten. Und der türkischen Regierung muss klar sein, dass eine Intervention nicht mit dem Völkerrecht zu vereinbaren ist. Ein Militärschlag würde das Verhältnis der Türkei zu seinen Nachbarländern und zur EU massiv verschlechtern.

Teile der Union sehen in dem Säbelrasseln der Türkei einen weiteren Grund, warum das Land kein Mitglied der EU werden kann. Teilen Sie diese Position?

Ich habe auch gelesen, was der selbst ernannte "CSU-Außenminister" Markus Söder da wieder von sich gegeben hat: Er ist sich für kein Argument gegen den EU-Beitritt der Türkei zu blöde. Tatsächlich ist die Position der Union doppeldeutig. Seit Jahrzehnten sagt sie offiziell "Ja" zu einer Annäherung der Türkei an die EU. Aber wenn es ernst wird, definiert sie die EU als christliches Abendland, zu der die Türkei angeblich nicht passt. Diese Position ist mies und falsch. Sie hat in der Vergangenheit nur die Militaristen, Anti-Europäer und Anti-Demokraten in der Türkei gestärkt. Das wollen wir nicht. Die Türkei braucht eine klare politische Perspektive. Die heißt: Macht weiter mit euren Reformen, dann habt ihr auch einen Anspruch auf die Mitgliedschaft in der EU.

Die kurdische PKK hat den Konflikt mit ihren Anschlägen in der Türkei erst heraufbeschworen. Haben Sie Verständnis für die Aktionen der PKK?

Überhaupt nicht! Wie könnte ich Verständnis haben, wenn die PKK türkische Soldaten umbringt und Busse attackiert, in denen auch Kinder sitzen? Die PKK sucht die Gewalt und die Konfrontation, um ihre eigene Existenz zu rechtfertigen. Damit besorgt sie das Geschäft der Militaristen in der Türkei gleich mit. Ich habe Sorge, dass beide Seiten wieder in das alte Blockdenken verfallen und einen schmutzigen Krieg beginnen, der nur Leid, Tod und Trauer bringt.

Was muss geschehen, um einen Krieg zu verhindern?

Die kurdische Führung im Nordirak muss ernst machen mit Ankündigung, gegen die PKK-Kämpfer vorzugehen. Und die türkische Seite muss ihre Blockade gegen die nordirakische Kurdenführung beenden. Außerdem müssen die Kurden endlich zu ihrem Recht kommen, auch in der Türkei. Es geht um ihre Sprache, um ihre Schulen, um ihre Kultur, um ihre Medien. Der Besuch des türkischen Präsidenten Abdullah Gül in den Kurdengebieten war ein wichtiges Zeichen. Dieser Weg der Aussöhnung muss weiter beschritten werden.

... um in ferner Zukunft doch ein eigenständiges Kurdistan zu entwickeln?

Separatismus und Abspaltung sind keine Lösung, das wissen auch die Kurden im Nordirak. Ein eigenständiges Kurdistan hätte Feinde auf allen Seiten - den Iran, Syrien und die Türkei.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

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Hat sich die deutsche Außenpolitik bislang hinreichend um die Kurden im Nordirak gekümmert?

Nein, hat sie nicht. Mir ist die Abwesenheit der deutschen Politik im Nordirak vollkommen unverständlich. Im Gegensatz zu anderen Ländern hat Deutschland dort keine konsularischen und kulturellen Vertretungen. Ich verstehe nicht, warum die Deutschen nicht viel präsenter sind und beim Wiederaufbau mithelfen. Der Nordirak ist eine Region, die eine positive, stabilisierende Ausstrahlung auf das gesamte Land entwickeln kann.

Für den kommenden Sonntag sind Demonstrationen von Kurden in Berlin angekündigt. Welche Rolle spielt der Konflikt für die deutsche Innenpolitik?

Bei uns leben drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln, und die Konflikte im Heimatland spiegeln sich auch bei uns. Ich kann mich noch sehr gut an die Zeiten erinnern, als Türken und Kurden hier gewaltsam aufeinander los gegangen sind. Die Ereignisse am vergangenen Wochenende in Berlin haben ja gezeigt, dass der Konflikt bereits bei uns angekommen ist. Auch deshalb müssen wir alles tun, um diesen Konflikt politisch zu lösen.