Diese Zahl hat allen die Augen verdreht: Die Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) sitzen dank der guten Konjunktur auf einem Überschuss von zirka 22 Milliarden Euro, einem riesigen Haufen Geld. Und sofort beginnt der Zank, was damit geschehen soll. Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) würde gerne die Praxisgebühr abschaffen und damit die Versicherten entlasten. Die Kassen möchten das Geld am liebsten behalten, um bei der nächsten Krise nicht gleich wieder die Beiträge erhöhen zu müssen. Und die Funktionäre der niedergelassenen Ärzte fühlen sich dazu aufgerufen, jetzt mal einen tiefen Schluck aus der Honorarpulle zu nehmen. 11 Prozent mehr sollen es sein, ein Volumen von zirka 20.000 Euro pro Jahr und Praxis. Eine Forderung, die so maßlos ist, dass sie schon bizarr wirkt.
Und wenn sie das nicht bekommen? Dann wollen sie streiken. Von Montag kommender Woche an. Kampfeslüstern präsentierten Dirk Heinrich, Sprecher der Allianz der Ärzteverbände, und Andreas Köhler, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), an diesem Donnerstag in Berlin die Zahlen ihrer Umfrage. Demnach sprechen sich 75 Prozent der befragten niedergelassenen Ärzte dafür aus, ihre Praxis dicht zu machen, sollten die Kassen nicht mehr als die vom Schlichter vorgeschlagenen 0,9 Prozent Honorarerhöhung genehmigen. Wie lange der Streik dauern soll, ob es regionale Schwerpunkte gibt, wie mit Notfällen zu verfahren ist - das alles mochten weder Heinrich noch Köhler erklären. Ihre Botschaft war: Geld her oder wir lassen die Patienten zappeln. Ganz einfach.
Arzt - eigentlich ein Traumjob
Heinrich, selbst HNO-Arzt mit Praxis in Hamburg, glaubt, dass diese Aktion bei seinen Patienten auf volles Verständnis stoßen werde. Ach wirklich?
Im Gegensatz zu vielen anderen Berufsgruppen, auch akademischen, geht es den niedergelassenen Ärzten prächtig. Sie verdienen laut KBV im Schnitt 5500 Euro im Monat netto - plus etwa 1400 Euro aus Einkünften mit Privatpatienten und Zusatzleistungen. Sie können, da sie Freiberufler sind, von der Zeitschrift bis zum Toilettenpapier, ziemlich viel als Betriebsausgabe geltend machen. Angst um ihren Arbeitsplatz müssen sie auch nicht haben, in Deutschland herrscht Ärztemangel. Umfragen belegen, dass die meisten Praxisinhaber Freude an ihrem Beruf haben, Ärzte genießen ein hohes Sozialprestige. Und die Krise 2008, 2009? Ist spurlos an der Branche vorübergezogen. Eigentlich ein Traumjob.
Ungerechtigkeit der Honorarverteilung
Gleichwohl rumort es unter den niedergelassenen Ärzten, weil es extreme Gehaltsunterschiede gibt. Nach einer Aufstellung des stern verdient ein ärztlicher Psychotherapeut im Schnitt 4276 Euro im Monat brutto. Und ein Nierenspezialist, der am anderen Ende der Skala angesiedelt ist, 21.169 Euro brutto pro Monat. Laborärzten geht es oft noch viel besser. Diese Ungerechtigkeit schreit zum Himmel. Genauso wie die Ungerechtigkeit, dass ein Arzt auf dem Land wesentlich schlechter verdient und länger arbeiten muss als ein Arzt in der Stadt. Einfach deshalb, weil ein Landarzt so gut wie keine Privatpatienten hat und viele zeitraubende Hausbesuche machen muss.
Doch wer ist für diesen Zustand verantwortlich? Die KBV. Deren gesetzlicher Auftrag ist es, die flächendeckende Gesundheitsversorgung zu organisieren und die Honorare gerecht zu verteilen. Dafür müsste sie sich aber in den Konflikt mit ihrer eigenen Klientel stürzen und der einen Facharztgruppe Privilegien abnehmen, um sie der anderen zukommen zu lassen. Weniger Geld für die Apparatemedizin, mehr für die sprechende Medizin. Weniger Geld für die Stadt, mehr fürs Land. Das ist anstrengend. Viel einfacher ist es, den Konflikt in einem Bonbonregen auf Kosten der Versicherten untergehen zu lassen.
Nur ein Drittel will streiken
Offensichtlich wissen auch viele niedergelassene Mediziner, dass sie wenig Grund zur Klage haben und viele Probleme hausgemacht sind. Denn die Umfrageergebnisse, die Heinrich und Köhler am Dienstag präsentierten, sind so überwältigend nicht, wie es zunächst den Anschein hat. In Deutschland gibt es (Stichtag 31.12.2011) genau 124.685 niedergelassene Ärzte. An der Umfrage beiteiligten sich aber nur 50.666. Und von diesen sprachen sich 37.999 für Streikmaßnahmen aus. Heißt: Nur ein knappes Drittel stimmt dem Arbeitskampf definitiv zu. Zwei Drittel nicht. Anscheinend ist der Mehrheit klar, dass es zwar legitim ist, für das eigene Gehalt zu kämpfen. Aber dass die Funktionäre den Bogen völlig überspannt haben.