Bisher wird in Deutschland bei den Corona-Impfungen auf reine Freiwilligkeit gesetzt. Allerdings ergab eine in der vergangenen Woche veröffentlichte Umfrage, dass nur die Hälfte des Pflegepersonals zu einer solchen Impfung bereit ist. Vor diesem Hintergrund forderte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder eine Debatte über eine Impfpflicht für Pflegekräfte in Alten- und Pflegeheimen. "Wir müssen uns überlegen, ob wir für die besonders hochsensiblen Bereiche, das sind die Alten- und Pflegeheime, den Schutz besonders erhöhen", sagte Söder am Dienstagmorgen im ZDF-"Morgenmagazin". Wenn man höre und lese, dass sich dort wenige Pflegekräfte impfen lassen wollten, müsse man darüber diskutieren. "Der deutsche Ethikrat sollte sich damit beschäftigen", sagte Söder.
Aber wäre eine solche Impfpflicht gesetzlich überhaupt möglich? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Könnte der Staat eine Impflicht einführen?
Ja, im Infektionsschutzgesetz (IfSG) im Paragraph 20 Absatz 6 heißt es: "Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates anzuordnen, dass bedrohte Teile der Bevölkerung an Schutzimpfungen oder anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe teilzunehmen haben, wenn eine übertragbare Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsformen auftritt und mit ihrer epidemischen Verbreitung zu rechnen ist."
Für eine solche Maßnahme muss jedoch ausdrücklich der Bundesrat zustimmen. Das Gesetz kam beispielsweise im vergangenen Jahr zum Tragen. Damals beschlossen Bund und Länder einen Nachweis der Masernimpfung für Kleinkinder, wenn diese öffentliche Kindertagesstätte oder Schule besuchen. Das Infektionsschutzgesetz gilt seit 2001.
Die Masern-Impfpflicht gilt auch für alle Gesundheitsberufe und Mitarbeiter in Praxen und Kliniken, Mitarbeiter in Gemeinschaftseinrichtungen und Bewohner von Flüchtlingsunterkünften, die nach 1971 geboren wurden. Alle vor dem 1. Januar 1971 Geborenen sind ausgenommen. Ihnen wird unterstellt, eine Immunität qua Masernerkrankung erworben zu haben. Praxis- und Klinikchefs, aber auch die Leiter von Gemeinschaftseinrichtungen sind verpflichtet, jede Person ans örtliche Gesundheitsamt zu melden, die den Masernschutz nicht nachweisen kann.
Auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes könnte also auch eine Corona-Impfpflicht für Pflegekräfte in Alten- und Pflegeheimen eingeführt werden. Das Gesetz erlaubt es auch, dass Arbeitgeber in bestimmten Fällen nach dem Impfstatus der Beschäftigten fragen. Wolfram Henn, Humangenetiker und Mitglied des Deutschen Ethikrates, ist aber der Meinung, dass man erst darüber nachdenken sollte, wenn langfristige Erfahrungen mit dem Impfstoff vorliegen. "Und das wäre eben nicht auf der staatsrechtlichen, sondern der arbeitsrechtlichen Ebene denkbar und nach meiner persönlichen Auffassung möglich, dass Arbeitgeber, sprich Klinikträger, verlangen, dass klinisches Personal in ganz besonderen Risikolagen dann auch geimpft werden müsste", sagte er in einem Gespräch mit dem MDR.
Ist eine generelle Impfpflicht für alle Bürger möglich?
Gehe es um eine generelle Impfpflicht, müsse es schon "um die Gesundheit des gesamten Volkes gehen", gibt Rechtsanwalt Christian Solmecke in einem Interview mit der "Ärztezeitung" zu bedenken. "Es muss darum gehen, ein Virus auszurotten. Das wäre das Ziel einer Impfpflicht. Und dann können auch mit solchen Zielen auch Grundrechte eingeschränkt werden." Dann wäre es auch möglich das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit einzuschränken. "Es darf jedoch kein anderes, leichteres Ziel geeignet sein, das Virus auszurotten als mit so einer Impfpflicht."
Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages teilt diese Einschätzung. 2016 der Dienst zu dem Schluss, dass "eine Impfpflicht für bedrohte Teile der Bevölkerung [...] einen Eingriff in das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit" darstellen könne, dieser "verfassungsrechtlich jedoch gerechtfertigt erscheinen kann". Explizit heißt es: "Die Einführung einer generellen Impfpflicht würde die Schaffung einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage erfordern, die mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar sein müsste. Ein solcher Eingriff wäre verhältnismäßig, sofern damit ein legitimes Ziel verfolgt wird und der Eingriff ferner geeignet, erforderlich und angemessen ist."
Impfpflicht durch die Hintertür?
Eine Art "Impfpflicht durch die Hintertür" könnte es geben, wenn Geimpfte spürbare Vorteile gegenüber den Nachgeimpften genießen werden. So sieht der Entwurf der noch nicht vom Bundeskabinett beschlossenen "Musterquarantäneverordnung" vor, dass Geimpfte und COVID-19-Genesene nach einer Rückkehr aus Risikogebieten nicht mehr der Test- und Quarantänepflicht unterliegen. Einzelne Bundesländer haben eine solche Ausnahme schon vorausgreifend beschlossen, darunter Sachsen-Anhalt.
Auch Privatunternehmen könnten Sonderregeln für Geimpfte einführen. Aufgrund der Privatautonomie gibt es im privaten Recht kein Verbot zur Diskriminierung von Nicht-Geimpften. Kein Restaurant darf Menschen etwa wegen ihrer Herkunft abweisen, ein Diskriminierungsverbot von Nicht-Geimpften ist allerdings bislang nicht gesetzlich geregelt.