Jahresbericht zur Bundeswehr Mangel und Missstand an allen Fronten

Der Sanitätsdienst ein Desaster, immer mehr psychische Störungen, Strukturen wie von vorgestern: Der Wehrbeaufragte Reinhold Robbe zeichnet ein schlimmes Bild vom Zustand der Bundeswehr.

Dass sein Bericht nicht gerade positiv ausfallen würde, liegt in der Natur der Sache. Der Jahresbericht des Wehrbaufragten des Bundestages ist dazu da, Missstände in der Armee aufzuzeigen. Doch in diesem zeichnet Einhold Robbe ein besonders schlechtes Bild von der Truppe. Der SPD-Mann prangert zahlreiche gravierende Mängel aus völlig unterschiedlichen Bereichen an. In dem Report, den Robbe am Dienstag Bundestagspräsident Norbert Lammert übergab, flossen rund 5700 Eingaben von Soldaten ein und die Erkenntnisse, die Robbe selbst bei Truppenbesuchen gewann. Er ist fast 100 Seiten stark.

Robbes Aussagen zufolge leiden immer mehr Soldaten wegen des Afghanistan-Einsatzes unter schweren psychischen Belastungen. So wurden im vergangenen Jahr 466 Soldaten wegen posttraumatischer Belastungsstörungen behandelt. Damit habe sich die Anzahl der Erkrankten im Vergleich zu 2008 fast verdoppelt, heißt es im Jahresbericht 2009. Fast 90 Prozent der erkrankten Soldaten gehörten zur Internationalen Schutztruppe Isaf in Afghanistan.

Zwar ist auch die Zahl der Soldaten in Afghanistan gestiegen, aber der Wehrbeauftragte führt auch die "kriegsähnlichen Verhältnisse" in der Region Kundus als Grund für die Verschärfung des Problems an. Nach wie vor ungeklärt ist zudem die Dunkelziffer psychisch erkrankter Soldaten. "Nach meinen Erkenntnissen werden in der Truppe psychische Erkrankungen nach wie vor als stigmatisierend empfunden und von den Betroffenen insbesondere aus Angst vor persönlichen Nachteilen nicht offenbart", betont Robbe.

"Klares Versagen" des Sanitätsinspekteurs

Persönliche Nachteile haben in unverändertem Ausmaß auch weibliche Soldaten und Homosexuelle. Diskriminierung bleibt ein großes Problem in der Truppe. Robbe klagt über "Vorfälle, die antiquierte und mit Vorurteilen belastete Anschauungen offenbaren". Im Januar 2000 hatte der Europäische Gerichtshof mit einem Urteil Frauen den Dienst an der Waffe erlaubt. Im vergangenen Jahr leisteten durchschnittlich 16.495 Frauen bei der Bundeswehr ihren Dienst. Ihr Anteil an den Berufs- und Zeitsoldaten stieg im Vergleich zum Jahr 2008 von 8,4 auf 8,7 Prozent. Robbe erhielt nach eigenen Angaben erneut Zuschriften, in denen es auch um Diskriminierung von Soldaten wegen Homosexualität ging.

Besonders hart wurde Robbe in seiner Wortwahl, als es um die Zustände im Sanitätsdienst der Bundeswehr ging. Hier habe sich die Situation sogar von Jahr zu Jahr verschlechtert. Er warf der Sanitätsführung, insbesondere dem verantwortlichen Inspekteur, ein "klares Versagen" vor. "Es gibt nicht wenige Experten in der Bundeswehr die davon sprechen, dass dieser Inspekteur die Sanität regelrecht vor die Wand gefahren habe", sagte Robbe. Mehr als 120 Ärzte hätten 2009 gekündigt, derzeit fehlen laut Robbe 600 Militärärzte.

Schlechte Ausrüstung in Afghanistan

Während die Missstände in der medizinischen Abteilung der Truppe in dieser Form neu sind, beschäftigten Klagen über die schlechte Ausrüstung der Bundeswehr schon Robbes Vorgänger. So rügen die Soldaten in Afghanistan unter anderem, dass es zu wenig geschützte Fahrzeuge gebe. "Die ohnehin angespannte Situation verschärft sich, sobald Fahrzeuge nach Unfällen oder Anschlägen ausfielen, weil für diese Fahrzeuge kein Ersatz verfügbar war", heißt es in dem Bericht. Neben einer zu geringen Anzahl von Fahrzeugen hätten die Soldaten auch darüber geklagt, dass bestimmte Fahrzeuge nicht für den Einsatz im Gefecht geeignet seien. Der Wehrbeauftragte macht auch die veraltete Planung für den Einsatz von Material und Personal für den bedenklichen Zustand verantwortlich.

Für die Soldaten selbst hatte der Wehrbeauftragte ein großes Lob parat. Sie leisteten trotz der Probleme einen großartigen Job und kompensierten die Mängel mit einem "unglaublichen Improvisationstalent" und mit kameradschaftlicher Unterstützung. Diese ließen die Soldaten auch ihrem zuletzt berühmtesten Kameraden zuteil werden: Oberst Georg Klein, der den umstrittenen Luftangriff von Kundus zu verantworten hat. Er habe in den Streitkräften "keine einzige Stimme" vernehmen können, die sich nicht mit Klein solidarisch gezeigt habe, schreibt Robbe. Die Reaktionen hätten von menschlicher Sympathie über Verständnis für eine schwierige und folgenreiche Entscheidung bis hin zu Respekt gereicht. Bei dem Bombardement waren am 4. September 2009 bis zu 142 Menschen getötet oder verletzt worden, darunter viele Zivilisten. Ein Untersuchungsausschuss des Bundestags klärt derzeit die Hintergründe auf.

Ernüchterndes Fazit

Robbes Fazit fällt geradezu desaströs aus: In den deutschen Streitkräften gebe es eine unübersichtliche Führungsstruktur, zu viel Bürokratie, Reibungsverluste und die bereits erwähnte veraltete Planung. In vielen Bereichen sei die Bundeswehr noch nicht in der "Einsatzrealität" angekommen. Eine Modernisierung der Streitkräfte sei unverzichtbar.

Es war der letzte Jahresbericht für den aktuellen Wehrbeauftragten. Die fünfjährige Amtszeit des SPD-Politikers läuft im Mai aus. Als Nachfolger für Robbe ist der FDP-Politiker Hellmut Königshaus nominiert.

DPA/ben DPA

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