Kirchhof-Steuerpläne "Er wird nur einen Sommer lang tanzen"

Bundeskanzler Schröder nennt sein Konzept "illusorisch", auch bei Angela Merkel ist von der direkten Umsetzung seiner Vorstellungen keine Rede mehr: Die Steuerpläne von Paul Kirchhof geraten immer stärker unter Beschuss.

Die SPD verstärkt ihre Angriffe auf den Steuerexperten im Wahlkampfteam der Union, Ex-Verfassungsrichter Paul Kirchhof. "Das Konzept ist illusorisch, das scheint sich auch in der Union langsam festzusetzen", kritisierte Bundeskanzler Schröder am Montag in Eisleben. Es bedeute Mehrausgaben von 40 Milliarden Euro. Außerdem benachteilige es jene Beschäftigten, die in Schichten arbeiten oder zur Arbeit pendeln müssten. "Die müssen dann finanzieren, was oben drauf gegeben werden soll", sagte Schröder.

Die SPD-Spitze hat die Union aufgefordert, unverzüglich Klarheit über ihre steuerpolitischen Pläne zu schaffen. Die Konzepte der Opposition passten nicht zusammen mit den Vorstellungen ihres Steuerexperten im Wahlkampfteam, Paul Kirchhof. Das sagte Wirtschaftsminister Wolfgang Clement vor einer SPD-Präsidiumssitzung in Berlin. Er verwies darauf, dass alle Länder-Finanzminister der Union Kirchhofs radikale Umbaupläne als nicht finanzierbar abgelehnt hätten.

"Geschwätziger Professor"

SPD-Fraktionsvize Ludwig Stiegler warf der Union in einem Fernseh-Interview vor, mit der Nominierung Kirchhofs von ihren Plänen für eine Mehrwertsteuererhöhung ablenken zu wollen. Bei N-TV sagte Stiegler: "CDU und CSU wollen natürlich von ihrer Mehrwertsteuererhöhungsnummer ablenken. Da kommt es ganz recht, dass dieser geschwätzige Professor auftritt und allerlei Unsinn erzählt." Er habe allen Wahlkämpfern der SPD geraten, den Menschen klar zu machen, was die Union im Falle eines Wahlsiegs umsetzen will. "Wenn die Menschen erst einmal kapiert haben, was in Kirchhofs Kopf vorgeht, dann werden sie sich mit Grausen abwenden", so Stiegler. "Ein Arbeiter im bayerischen Wald" etwa werde sich an den Kopf fassen und fragen, warum er die gleichen Steuersätze zahlen solle wie beispielsweise der Chef der Deutschen Bank. "Dieser geschwätzige Professor ist ein Theoretiker, der sich in die Politik verirrt hat. Er wird gar nichts bewegen, er wird nur einen Sommer lang tanzen", fügte Stiegler hinzu.

Eichel: Keine Rede von Konsolidierung mehr

Als "unglaublich" bezeichnete Finanzminister Hans Eichel die Steuerdiskussion in der Union. Von einer Haushaltskonsolidierung sei dort überhaupt nicht mehr die Rede. Die Union verweise nur noch vage auf das Jahr 2009. Eichel erinnerte daran, dass Deutschland schon 2007 mit Strafzahlungen in dreistelliger Millionenhöhe rechnen müsse, falls das Defizitkriterium von drei Prozent weiter verfehlt wird.

Merkel nennt Kirchhof einen "Visionär"

Nach den Irritationen um die künftige Steuerpolitik hat die Unionsspitze unterdessen ihrem Finanzexperten Paul Kirchhof geschlossen den Rücken gestärkt. Grundsätzlich zeigte sich Kanzlerkandidatin Angela Merkel offen für die radikalen Steuerpläne des ehemaligen Verfassungsrichters. Nach einer Sitzung der CDU- Spitzengremien betonte sie aber, dass bei einem Wahlsieg zunächst in einem ersten Schritt das Regierungsprogramm umgesetzt werden müsse. Wenn es danach Spielräume gebe, könne man weitergehende Ziele verfolgen.

"Ich sehe da überhaupt gar keine Widersprüche", sagte die CDU- Vorsitzende zu angeblichen Differenzen zwischen Kirchhofs Plänen und dem Wahlprogramm der Union. Kirchhof habe erklärt, dass er auf Basis des Regierungsprogramms mitarbeite. Dieses sei ein erster und gewaltiger Schritt in Richtung seiner Visionen für ein einfacheres Steuerrecht.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Das Steuerkonzept des parteilosen Rechtsprofessors geht bei einem Einheitssteuersatz von 25 Prozent und der Abschaffung aller Steuerprivilegien über das Unions-Programm hinaus. Dieses sieht zum 1. Januar 2007 Sätze zwischen 12 und 39 Prozent vor. Zudem soll eine "Vielzahl" Ausnahmen gestrichen oder eingeschränkt werden.

Auch Steuerzahlerbund kritisiert Kirchhof

Nach Darstellung des Steuerzahlerbundes führt Kirchhofs Konzept unterm Strich zu keiner Entlastung der Bürger. Dieser habe sein Modell als aufkommensneutral bezeichnet, sagte Präsident Karl Heinz Däke. Niedrigeren Tarifen und höheren Grundfreibeträgen stehe der Wegfall aller Ausnahmen gegenüber. Däke sprach sich erneut gegen ein "blindes Streichen" von Ausnahmen aus. Von der Steuer zu befreien seien unter anderem Vorsorgeaufwendungen.

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