Köhler-Rede "Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus sind nicht aus Deutschland verschwunden"

Auszüge aus der Rede von Bundespräsident Köhler vor der Knesset.

"Diese Reise, dieser Tag und diese Stunde bewegen mich sehr. Unsere Länder haben einen langen Weg zurückgelegt, seit sich David Ben Gurion und Konrad Adenauer 1960 erstmals trafen. (...)

Dieser Weg war nicht einfach. Wir sind ihn im Wissen um die Vergangenheit gemeinsam gegangen. Wir haben Grundlagen geschaffen, auf denen wir aufbauen können. Ich möchte, dass Israel und Deutschland den Weg in die Zukunft weiter gemeinsam gehen. (...) Heute stehe ich als neu gewählter Präsident der Bundesrepublik Deutschland vor Ihnen, und ich möchte hier bekräftigen: Die Verantwortung für die Shoa ist Teil der deutschen Identität. Dass Israel in international anerkannten Grenzen und frei von Angst und Terror leben kann, ist unumstößliche Maxime deutscher Politik. Das hat mein Land immer wieder durch Taten bewiesen. Deutschland steht unverbrüchlich zu Israel und seinen Menschen." (...)

In den vergangenen sechs Tagen habe ich eine lange Reise zurückgelegt. Sie führte mich von Auschwitz über Berlin nach Jerusalem. Ich möchte Ihnen von dieser Reise berichten, denn sie war für mich auch eine Reise durch unsere gemeinsame Geschichte. Überlebende haben mich bei meinem Gang durch das Lager Auschwitz am 27. Januar begleitet. Ich bin durch das Tor gegangen. Ich habe die Baracken gesehen, die Gleise und die Rampe. Ich bin von den Gaskammern zu den Krematorien gegangen. Die Überlebenden waren an meiner Seite. Sie haben mir, dem Deutschen, an diesem Ort geholfen. Das hat mich tief bewegt. Was die Überlebenden geschildert haben, hat die Unmenschlichkeit für mich lebendig gemacht. Was wird sein, wenn sie einmal nicht mehr da sein werden? Sie müssen Teil unserer Gegenwart bleiben. Ihre Berichte dürfen nicht verloren gehen. (...)

Gestern habe ich Jad Vaschem besucht, den Ort, an dem die Erinnerung bewahrt und den Ermordeten ein Name gegeben wird. Ich habe die Stimme gehört, die die Namen der ermordeten Kinder nennt. Sie gibt den Toten jene Würde und Individualität zurück, die ihnen die Nationalsozialisten nehmen wollten. Jad Vaschem macht aus anonymen Nummern wieder einzigartige Menschen. Jad Vaschem ist ein Ort der Trauer und des Gedenkens. Jad Vashem ist aber auch ein Ort der Menschlichkeit und der Hoffnung. Ich verneige mich in Scham und Demut vor den Opfern und vor denen, die ihnen unter Einsatz ihres Lebens geholfen haben." (...)

Jede offene Gesellschaft hat auch Feinde. Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus sind nicht aus Deutschland verschwunden. Vergleiche, die die Shoa verharmlosen, sind ein Skandal, dem wir uns entgegenstellen. Wir müssen die politische Auseinandersetzung mit Rechtsextremisten und Antisemiten suchen, und wir müssen sie offensiv führen. Dabei müssen wir uns vor allem fragen, ob wir unsere jungen Menschen wirklich erreichen, ob Lehrer, Eltern und Journalisten über den Irrweg des Nationalsozialismus wirksam aufklären. Den Kampf gegen den Antisemitismus müssen wir immer neu führen. Er geht uns alle an. (...)

Ich sehe in Israel einen Partner, mit dem wir Werte und Interessen gemeinsam haben. Unsere Zusammenarbeit hat Potenzial und Zukunft. Ich bin überzeugt: Israel und Deutschland können gemeinsam vieles erreichen. Die Zusammenarbeit liegt in unser beider Interesse. Wir wissen allerdings: Die Zukunftspartnerschaft zwischen Deutschland und Israel wird sich nur in einem friedlichen Umfeld voll entfalten können. Terror und Gewalt haben in den vergangenen vier Jahren die Hoffnung der Menschen auf Frieden in weite Ferne gerückt. (...)

Der Frieden hat eine neue Chance. Die Beteiligten müssen jetzt alles daran setzen, diesen Prozess zu unterstützen. Frieden schließen können nur Israelis und Palästinenser selbst, und sie können es nur gemeinsam tun. Die ganze Welt hofft mit Ihnen, dass die vereinbarten Gespräche Fortschritte bringen. Wir alle wissen, dass es für beide Seiten dabei um Fragen von existenzieller Bedeutung geht. (...)

Ben Gurion wird der Satz zugeschrieben: ’Wer nicht an Wunder glaubt, der ist kein Realist.’ Wir brauchen solche Realisten gerade jetzt: Unter Israelis, Palästinensern und Arabern, Deutschen, Europäern und Amerikanern. Dann kann Wirklichkeit werden, was heute noch als Utopie erscheint: Frieden im Namen Osten. Shalom Haverim!"

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