Kommentar Die großen Ideen der FDP

  • von Hans Peter Schütz
Offenbar hat die FDP begriffen, dass sie mit ihrem "Ein-Punkt-Programm" für Besserverdiener schlechte Chancen bei der nächsten Bundestagswahl hat. Jetzt setzt die Partei auf Versprechen für alle. Mehr Bildung, mehr soziale Gerechtigkeit, mehr Bürgerrechte

Es wird im nächsten Jahr noch einen besonderen FDP-Wahlparteitag geben. Aber wie die Liberalen 2009 programmatisch in die Bundestagswahl gehen, das hat ihr Parteichef Guido Westerwelle bereits jetzt auf dem Münchner Bundesparteitag markant fixiert.

Was bei der CDU/CSU noch vollkommen im Dunkeln der politischen Sprachlosigkeit der Kanzlerin Angela Merkel liegt, was bei der SPD noch weithin umstritten ist zwischen Linken und Rechten, was die Linkspartei gar nicht als Kennzeichen ihres Kurses beschreiben will und die Grünen auch noch nicht eindeutig formuliert haben - bei der FDP ist der künftige Kurs beschrieben.

Thematische Verengung

Deprimierend lange hat sich die FDP politisch als Ein-Punkt-Partei präsentiert, die am liebsten mit dem Ruf nach Steuersenkung und der Formel "Mehr Netto vom Brutto" durch die politische Landschaft marschierte.

Westerwelle scheint endlich begriffen zu haben, dass diese thematische Verengung ihr Wählerpotential im einstelligen Bereich einbetonieren würde. Die großartige Ideenwelt, die umfassende Philosophie des traditionsreichen deutschen Liberalismus war auf bestem Wege, zu einer armseligen gedanklichen Veranstaltung abgespeckt zu werden.

Zu lange geschwiegen

Die unter dem rot-grünen Bundesinnenminister Otto Schily und dem schwarz-roten Nachfolger Wolfgang Schäuble dramatisch vorangetriebenen Einschränkungen bei den Bürgerrechten sind Westerwelle endlich mal wieder mehr als nur einen Nebensatz wert gewesen.

Zu lange hatte auch seine Partei zu dem Vorwurf geschwiegen, wer für die Erhaltung der Bürgerrechte und des Datenschutzes eintrete, sei ein Sicherheitsrisiko. Nicht vergessen darf man, dass die FDP einst dem großen Lauschangriff zugestimmt hat.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Zurück in die Bildungspolitik

Offensiv scheint die FDP endlich auch einmal wieder in die deutsche Bildungspolitik zurückkehren zu wollen. Wer will denn noch ernsthaft bestreiten, dass die soziale Herkunft der Kinder letzten Endes über ihre Bildungschancen entscheidet. Von Chancengleichheit am Beginn des Lebens kann längst keine Rede mehr sein. Oft ist es schlicht so, dass nur jene noch zu einem Studienplatz kommen, deren Eltern ihnen eine Privatschule finanzieren konnten.Gute Bildung ist längst kein allgemeines Bürgerecht mehr.

Und ebenso erfreulich ist es, dass die Steuersenkungspartei FDP offenbar begriffen hat, dass Steuerpolitik nicht ohne sozialpolitisches Gewissen betrieben werden darf. Ein faires Steuersystem muss mit einem fairen Sozialsystem verknüpft werden. Wer dies tut, wird nicht länger hinnehmen, dass die steuerlichen Grundfreibeträge von Erwachsenen und Kindern unterschiedlich sind.

Es stimmt ganz genau, wenn gesagt wird: Familienpolitik beginnt beim Steuerrecht. Mehr Netto vom Brutto, das ist so gesehen dann sogar eine soziale Forderung.

Wilder Wunsch nach Macht

Vorerst offen ist bei dieser beachtlichen programmatischen Erweiterung der FDP allerdings, ob sie am Tage künftiger Koalitionsgespräche von den Entscheidungsträgern um Guido Westerwelle und von ihm selbst als gültiger Wertmaßstab beachtet wird.

Oder ob am Ende dann doch der wilde Wunsch der Machtbeteiligung nach fast einem Jahrzehnt Opposition alle programmatischen Vorsätze wieder vom Verhandlungstisch fegt.

Das wird vor allem ein harter Test für Westerwelle selbst, der sich in den vergangenen Jahren leider sehr oft als politischer Wendehals präsentiert hat. Denn sollten die Liberalen dann wieder nicht an der Bundesregierung nach dem Wahltag 2009 beteiligt sein, dann dürfte sich auch seine Zeit an der Spitze der FDP sehr schnell dem Ende nähern.