Ein perfekter Personalwechsel: Frank-Walter Steinmeier mit 95 Prozent in jener Kategorie, die einem Kanzlerkandidaten gebührt. Franz Müntefering mit 85 Prozent dahinter, aber nicht so weit, dass dies als Schlappe ausgelegt werden könnte. Oder als Racheakt jener, die einem Kurt Beck nachtrauern. Und nullkommanull war zu erkennen, dass die SPD weiterhin von radikaler programmatischer Streiterei belastet wird, die in den vergangenen Jahren ihr Image bei den Wählern geprägt hat. Und kein Zweifel: Die Arbeitsteilung zwischen Steinmeier und Müntefering wird funktionieren, weil sie nicht auf einem Konkurrenzverhältnis fußt.
Ist sie also wieder da, die Volkspartei SPD, deren eindeutige Kennzeichen seit Jahren innerparteilicher Kleinkrieg und demoskopischer Krebsgang waren? Wohl kaum. Politik kennt keine Wunder - und es wäre eines, wenn die SPD über einen einzigen Sonderparteitag alles vergessen machen könnte, was in ihr geschah und noch immer geschieht. Jetzt wurde erst einmal Geschlossenheit aller Parteiflügel vorgeführt, weil man das neue Führungsduo ein Jahr vor der Bundestagswahl nicht beschädigen durfte. Ihre alten Probleme allerdings hat die Partei mit der neuen Führung nicht gelöst. Wie es im Innern der Partei aussieht, war unmittelbar vor dem Sonderparteitag noch einmal eindrucksvoll zu besichtigen. Den Einsatz der Bundeswehr im Innern hatten die SPD-Minister im Kabinett gebilligt, die Genossen in der SPD-Bundestagsfraktion unverzüglich in die Tonne getreten.
Der Wackelkurs gegenüber der Linkspartei wurde fortgesetzt
Die auf dem Berliner Parteitag von Steinmeier und Müntefering geforderte Geschlossenheit wurde brav demonstriert. Möglich wurde sie jedoch nur dadurch, dass die Konfliktthemen zwischen Rechten und Linken in der SPD lediglich in viel Watte verpackt angesprochen wurden. Der Kanzlerkandidat nahm das Wörtchen "Agenda 2010" nicht in den Mund, obwohl er zu ihren Vätern gehört. Der Wackelkurs gegenüber der Linkspartei - Kooperation in den Ländern möglich, im Bund nicht - wurde fortgesetzt. Und kein Wort fiel zu der deprimierenden Tatsache, dass die SPD nicht einmal mehr aus dem Abwärtstrend kommt, wenn die politische Konkurrenz - wie in Bayern - politische Patzer am Fließband produziert.
Unterm Strich der Analyse der derzeitigen SPD-Situation steht: Alle haben sich auf Disziplin verpflichten lassen. Unter der schönen Oberfläche brodeln natürlich die internen Spannungen weiter. Das ist eine gefährliche Ausgangsituation. Wie es aussieht, wird im Wahlkampf 2009 eine intensive Auseinandersetzung darüber stattfinden, wie die großen Sozialsysteme krisenfester gemacht werden, wie der heraufziehenden Wirtschaftsflaute begegnet werden und wie das Wirtschaftssystem ganz grundsätzlich politisch definiert werden soll. Union, SPD und FDP reden derzeit geradezu begeistert von der Stärkung der sozialen Marktwirtschaft, zeigen allerdings sehr unterschiedliche Wege auf, wie sie in den Zeiten der Globalisierung wetterfester gemacht werden könnte. Die globale Anpassung der sozialen Marktwirtschaft dürfte die innenpolitische Reform sein, über der sich die Bundestagswahl 2009 entscheidet. Und da ist es beim Blick auf die SPD bemerkenswert, dass ihr derzeit bester Architekt des internationalen Umbaus der Marktwirtschaft Peer Steinbrück heißt - und bisher alles andere als der Liebling der Partei war.