Kommentar Partei der Hasenfüße

Der Zustand der Sozialdemokraten ist erbärmlich. Nur 20 Prozent erreichen sie in der Politumfrage des stern. Eine Volkspartei ist die SPD so nicht mehr. Verantwortlich dafür ist eine falsche strategische Haltung gegenüber der Linkspartei und eine miserable Führung. Bei beidem muss die SPD einen Schnitt wagen.

Eine Volkspartei hat den Anspruch zu regieren. Eine Volkspartei hat den Anspruch, die Regierenden zu stellen. Eine Volkspartei hat den Anspruch, die Interessen großer Teile der Bevölkerung zu repräsentieren, das große Ganze im Blick zu haben, nicht nur die Einzelinteressen einer eng begrenzten Klientel. Eine Volkspartei schafft es, Widersprüche in sich zu vereinen, Extreme, so sie sich noch im Rahmen der Verfassung bewegen, aufzusaugen, und darauf ein machbares Programm zu entwickeln. Eine Volkspartei bekommt bei Wahlen, wenn es gut läuft, die absolute Mehrheit, wenn es schlechter läuft, irgendetwas zwischen 30 Prozent und 45 Prozent.

Die SPD ist bald keine Volkspartei mehr. Deutlichstes Zeichen dafür sind die fatalen Umfragewerte. In der jüngsten Forsa-Umfrage des stern stürzt sie auf 20 Prozent. Auf 20 Prozent! Den Atem Oskar Lafontaines kann Kurt Beck jetzt schon spüren. Damit erhält die Partei die Quittung für eine desaströse strategische Ausrichtung und schwaches Personal. Beides wird den Maßstäben, die für eine Volkspartei gelten müssen, nicht mehr gerecht.

Die Tabuisierung der Linken ist ein Fehler

Zunächst die Strategie. Wer an die Macht will, braucht Optionen. Die ehemalige Volkspartei SPD verzichtet auf Optionen. Eine Koalition mit der Linkspartei erlauben die SPD-Granden in den Ländern, im Bund schließen sie Rot-Rot-Grün kategorisch aus. Die Linkspartei wird tabuisiert - offiziell nicht wegen Oskar Lafontaine, sondern wegen der historischen Verstrickung der SED-Nachfolger und der programmatischen Unvereinbarkeit.

Diese Haltung ist ein Fehler. Die Sozialdemokraten berauben sich einer realen Koalitionsmöglichkeit. Gleichzeitig machen sie die Linkspartei durch die Tabuisierung nur attraktiver für enttäuschte SPD-Wähler. Dabei wäre ein offener, kritischer Dialog mit der Linkspartei, wie ihn etwa Gesine Schwan glaubwürdig pflegt, für die SPD geboten. Programmatisch müssen sich die Genossen nicht scheuen, die Luftblasen der Linken könnten sie in der Konfrontation auf offenem Felde locker und publikumswirksam platzen lassen.

Den Mut, die Linken trotz aller Bedenken anzufassen, muss die SPD dafür allerdings schon aufbringen, frei nach Franz Josef Strauß selig. Der hatte gesagt, dass es rechts von der CSU keine demokratisch legitimierte Partei geben dürfe. Das gleiche muss für die SPD auf der Linken gelten. Den Wählern, die ihr den Rücken in Richtung Lafontaine gekehrt haben, könnte sie so zudem signalisieren, dass sie ihre Sorgen, Probleme, Ängste Ernst nimmt. Die Tabuisierung der Linkspartei dagegen signalisiert der Ex-Klientel der SPD nur eines: Euren Protest nehmen wir nicht ernst.

Ein Heer von Hasenfüßen

So aber ist die SPD schwitzend in der Defensive, nämlich in der strategischen Ypsilanti-Falle. Jede Annäherung an die Linke kann zu Recht als Wortbruch gegeißelt werden, aber eine offene Konfrontation fällt dadurch flach. Die SPD, einst stolze Volkspartei, steht da wie ein Heer von Hasenfüßen.

Aber eine gute Strategie ist ein Ergebnis von kluger Führung - und gerade daran mangelt es der SPD. Sie hat schlicht keine überzeugenden Köpfe. Kurt Beck ist spätestens nach seinem Fauxpas vor der Hamburg-Wahl und seinem Kokettieren mit einer Linkspartei-Liaison in Hessen unglaubwürdig. Zudem ist er durchsetzungsschwach. Weder bei der Bahnreform noch bei der Position der Partei zur Präsidentenwahl konnte er seinen Willen durchsetzen. Gegen den Strippenzieher Franz Müntefering hat er keine Chance. Im Amt kann er sich nur halten, weil es in der Partei scheinbar keine Alternativen gibt. Den Wähler wird das allerdings nicht scheren. Deshalb muss Beck eigentlich gehen - und die SPD muss sich entscheiden, wer sie glaubwürdig in eine neue Richtung führen kann - und diese Richtung auch beibehält. Zur Wahl stehen der Alt-Schröderianer und Neu-Politiker Frank-Walter Steinmeier und das Parteigeschöpf Andrea Nahles. Dabei wäre Nahles die bessere Wahl, denn so sehr sie sich auch von Oskar Lafontaine betrogen fühlt, so hemdsärmelig und volksnah dürfte sie auch in die Auseinandersetzung mit ihm gehen. Konsequent wäre es entsprechend, sie zur Kanzlerkandidatin zu küren.

Im Kern muss die SPD ihre Hasenfüßigkeit ablegen, Mut beweisen, auch einmal einen gefährlichen Weg gehen. Die Nominierung Gesine Schwans war diesbezüglich ein wohltuender Schritt. Es müssen weitere folgen. Und die Zeit drängt. Denn die Wähler haben schon jetzt gemerkt, dass die SPD sich selbst nicht mehr zutraut, eine Volkspartei zu sein.