Kommunalwahl in Bayern Roter Fels in schwarzer Brandung

  • von Georg Wedemeyer
Am 2. März schreiten die bayerischen Wähler zur Kommunalwahl. Doch während die CSU-Granden leise zweifeln, ob nach Stoiber weiter alles so gut laufen wird, kann Münchens SPD-Dauer-Oberbürgermeister Ude locker bleiben. stern.de gratuliert schon jetzt und lüftet sein Erfolgsgeheimnis.

Der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude ist ein Phänomen: Mitten im pechschwarzen Bayern regiert der 61-jährige SPD-Mann seit 15 Jahren ununterbrochen und völlig unangefochten eine Millionenstadt. Bei der ansonsten allmächtigen CSU gibt es keinen einzigen, der daran glauben, ja auch nur davon träumen würde, König Ude vom Münchner Thron stoßen zu können. Dabei fährt die CSU bei Bundes- und Landtagswahlen auch in München regelmäßig mehr Stimmen ein als die SPD. Doch den Ude Christian schafft keiner. Vor sechs Jahren hat er mit 64,5 Prozent gewonnen. Glatte 4 Prozent mehr als Stoiber in seinen besten Tagen. Am 2. März tritt Ude zur Wiederwahl an.

Die Schlüssel zum Erfolg

Geheimnis eins ist die früh entwickelte

Entschlossenheit gepaart mit gezieltem Fleiß

: "Die nackte Wahrheit ist: Ich habe mir schon mit sieben Jahren vorgenommen, Oberbürgermeister zu werden", sagt Ude. Schuld war ein Lehrer, der mit Klein-Christians Rechen- und Schreibkünsten nicht zufrieden war: "Dann werd' halt Oberbürgermeister", soll der Pauker geraunzt haben, "da musst Anzapfen können, sonst nix."

Im Allgemeinen gilt Ude nicht als Klarsichthüllenfetischist und Aktenfresser. Bei Haushaltsdebatten schläft er schon mal ein, und sein jährlicher mehrwöchiger Urlaub auf Mykonos ist ihm heilig. Doch die hochehrwürdige Prozedur zur Eröffnung des Oktoberfestes mit dem erlösenden Ruf "Ozapft is!" hat Ude immer ernst genommen. Vor dem ersten Mal 1993 hat er sogar heimlich fleißig geübt. So blieb ihm das Schicksal seines Vorvorgängers Erich Kiesl erspart. Kiesl war der bislang einzige CSU-OB Münchens. Er hatte einst zwar das Bierfass gekonnt angezapft, dann aber erst den Ruf vergessen und schließlich nur ein "Izapft os!" herausgebracht. Verspottet und affärenbelastet haben ihn die Münchner nach nur einer Amtszeit wieder in die Wüste geschickt. Jahre später wurde Kiesl gar wegen Betrügereien zu Haft und Geldstrafe verurteilt. Eine tragische Hypothek, die bis heute jeden CSU-Kandidaten belastet.

Zweites Geheimnis:

Humor

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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. Über Ude hat noch keiner gespottet, außer Ude selbst. Ein 12-Jähriger hat den OB einst um ein Autogramm gebeten. Ude: "Ich war richtig stolz, dass der mich kannte." Doch der Bub wollte nicht nur eines, er wollte zwei, drei und beim fünften hat Ude schließlich nachgefragt, warum so viele. "Was glauben Sie wie viel Ude ich brauch' für einen Klinsmann?", lautete die Antwort. Als Medienprofi - schließlich war er früher mal Journalist - weiß Ude natürlich, dass solche Kleinode des Alltags nur dann ihre Wirkung haben, wenn man sie auch fleißig weitererzählt. Im Gegensatz zu vielen seiner politischen Artgenossen gelingt ihm das auch stets mühelos in druckreifem Deutsch, ohne Manuskript, ohne jedes "Äh".

Was uns unmittelbar zum nächsten Geheimnis führt: Immer in der Vorhand bleiben. Wer über sich selbst spottet, nimmt anderen den Wind aus den Segeln. Wer rechtzeitig (re)agiert, behält die Initiative. Als vor dem momentanen Wahlkampf in Teilen der angeblich stets gut informierten Münchner Gesellschaft Gerüchte kolportiert wurden, Ude sei schwul und führe nur eine Pro-forma-Ehe - seine Frau ist sieben Jahre älter und brachte sechs Kinder mit in die Ehe, und hat er nicht stets die Schirmherrschaft für den Christopher Street Day übernommen? Und mit der Rosa Liste koaliert? - verkündete der OB unaufgefordert öffentlich den erstaunten Münchner Normalbürgern: "Ich bin hetero, und das ist auch gut so."

Die Vorhand war immer Udes Prinzip. Wenn Eigenheimbesitzer gegen die Ausweisung von neuem Baugrund protestieren wollten, hatte er schon vorher ein "Bündnis für Wohnungsbau" ins Leben gerufen. Proteste gegen einen Moschee-Neubau konterte er unter Einbeziehung der Kirchen mit einem "Bündnis für Toleranz". Zur Bekämpfung von Stau und Verkehrslärm nimmt er den ADAC und BMW mit ins Boot. Kalkulierter Nebeneffekt: Wer dabei ist, übernimmt einen Teil des Konfliktpotentials. Der schwarze Peter bleibt nicht allein bei der SPD.

Auf der Rückhand ist Ude nicht so brillant. Von einer Anti-Hochhaus-Kampagne ("Kein Gebäude Münchens darf höher sein als die Frauenkirche") wurde er kalt erwischt. Seinem Kampf für eine "Weltstadt München" mit Wolkenkratzern wenigstens außerhalb des mittleren Stadtringes erteilten die Münchner per Bürgerentscheid eine Abfuhr. Genau so, wie sie ihn zu einem millionenteuren Ausbau dieses Ringes zwangen. Aber nachhaltig geschadet haben ihm diese Niederlagen nicht. Da hat er Glück, dass der Münchner Seele stets Recht behaltende Siegertypen ein Graus sind. Allein regieren konnte Ude ohnehin noch nie. Seinen persönlichen 65 Prozent stehen bei den Stadtratswahlen im besten Fall um die 40 Prozent für seine Partei gegenüber. Immer war er auf einen Koalitionspartner angewiesen und immer waren das die Grünen. München wird von Deutschlands ältester Rot-Grün-Koalition regiert.

Dass das so lange geklappt hat, liegt an Geheimnis Nummer vier: Realitätssinn. Ude weiß, dass die SPD in München niemals die absolute Mehrheit schaffen würde. Konsequenz: Man muss dem Koalitionspartner seine zehn Prozent gönnen. Regelmäßig Montagmorgens treffen sich die Koalitionäre im OB-Zimmer des Münchner Rathauses und stecken ihre Terrains ab. Die Grünen dürfen bei Energiefragen und Verkehr punkten, die SPD bei Wirtschaft, Sicherheit und Wohnungsbau. Mögliche Konflikte werden vorab besprochen, die Phase des öffentlichen Streits einkalkuliert und hingenommen, obwohl die Lösung eigentlich schon ausgehandelt ist. Effekt: Beide können sich profilieren und befriedigen ihre Klientel. Niemand verliert das Gesicht.

Für Udes Realitätssinn spricht auch, dass er nie in Versuchung kam, sich als SPD-Ministerpräsidentenkandidat gegen Stoiber aufzureiben. "Auf dem Land hätte ich Großstadtmensch keine Chance", sagt Ude.

Raffinesse, Realitätssinn und Machtkalkül mögen zwar notwendige Bedingungen für Christian Udes Erfolg sein. Hinreichend erklären können sie ihn nicht. Da ist noch Geheimnis Nummer fünf, eine Mischung aus

Prinzipientreue und Mut

. Als die Steuergeschenke der rot-grünen Schröder-Regierung die Einnahmen der Kommunen und damit auch Münchens einbrechen ließen, wurde er einer ihrer schärfsten Kritiker. 2005 wählte man ihn dafür zum Präsidenten des deutschen Städtetags.

Als die Bayern SPD, beeindruckt von dem "Laptop und Lederhose"-Erfolgsrezept der CSU, noch glaubte, für das High-Tech-Projekt Transrapid sein zu müssen, blieb Ude unbeeindruckt. Für ihn war der Schwebe-Vorstadtzug schon immer nur "hirnrissige Geldverschwendung". Als andere Bürgermeister es modern fanden, ihre Stadtwerke und Wohnungen an Privatfirmen zu versilbern, sprach Ude unbeirrt von der Pflicht zu "kommunaler Daseinsfürsorge". Und als bei der sogenannten Sicherheitskonferenz in seiner Stadt zum Irak-Krieg gerüstet wurde, ging Ude auf die Straße, um dagegen zu protestieren.

Neben jener Sicherheitskonferenz gibt es eigentlich nur ein Münchner Ereignis, bei dem Ude sich unwohl und "fehl am Platze" fühlt. Ja, er wird dabei sogar regelmäßig von Zehntausenden ausgebuht und ausgepfiffen. Das passiert immer dann, wenn der FC Bayern Deutscher Fußballmeister wird und sich die Mannschaft auf dem Münchner Rathausbalkon den Fans präsentiert. Die Etikette verlangt, dass auch der Hausherr "unser OB" dabei wenigstens kurz zugegen ist. Aber nur ganz kurz, denn Ude ist "Sechziger", also Mitglied beim Lokalrivalen 1860 München, was da unten auf dem Marienplatz jeder weiß und ihm niemand verzeiht.

thog/spi