Am Stuttgarter Hauptbahnhof haben die Außenarbeiten zum Abriss des Nordflügels begonnen. Ein Bagger entfernte am Freitagmorgen das Vordach des Gebäudes. Dabei soll es am Freitag nach dpa-Informationen zunächst bleiben. Die Arbeiten sind Teil des umstrittenen Milliardenbauprojekts Stuttgart 21.
In den frühen Morgenstunden waren verschiedene Baufahrzeuge auf das Gelände gebracht worden. Die Polizei sicherte die Baustelle dabei mit rund 30 Beamten und erteilte nach eigenen Angaben vier Demonstranten, die das Vorhaben mit einer Sitzblockade behindern wollten, einen Platzverweis.Der Streit über den Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs ist durch ein kritisches Gutachten weiter angeheizt worden. Das Milliardenvorhaben "Stuttgart 21" bringe keine großen Vorteile und störe andere wichtige Bahnprojekte, heißt es in der Studie des Umweltbundesamts (UBA), die der Nachrichtenagentur AFP am Donnerstag vorlag. Statt den geplanten Tiefbahnhof zu bauen solle der bestehende Kopfbahnhof beibehalten werden.
Die 180 Seiten starke Studie zur Finanzierung des Schienenverkehrs in Deutschland verweist darauf, dass der Kopfbahnhof durchaus "leistungsfähig" sei. Selbst die Deutsche Bahn (DB) gehe intern davon aus, dass bis 2025 "keine besonderen Engpässe des Knotens zu befürchten" sind. Zudem könne die Kapazität des Bahnhofs durch weitere Einfahrten noch gesteigert werden.
Der geplante Durchgangsbahnhof beseitigt der Studie zufolge "kein Nadelöhr" sondern schaffe neue Engpässe, weil es künftig nur noch acht statt 17 Bahnsteiggleise vorgesehen sind. Da außerdem die Verzahnung mit dem S-Bahn-Verkehr erheblich verstärkt werden soll, könne "jede geringfügige Verspätung das gesamte System an den Rand des Kollapses bringen".
Der Studie zufolge dürften die Kosten für das Gesamtvorhaben statt der geplanten sieben Milliarden Euro auf bis zu elf Milliarden Euro steigen. Dies führte zu einem "Kannibalisierungseffekt" bei ungleich bedeutsameren Ausbauvorhaben für den umweltverträglichen Güterverkehr wie etwa der Rheintalbahn. Dort werde einer der "wichtigsten Schienenkorridore in Europa" durch falsche Prioritätensetzung weit über die Landesgrenzen hinaus gebremst.
Die Verlegung des Stuttgarter Bahnhofs unter die Erde sowie eine neue Trasse nach Ulm gelten als das größte Infrastrukturprojekt Europas. Die Befürworter des Projekts verweisen auf kürzere Reisezeiten, rund 4000 neue Arbeitsplätze und bis zu acht Milliarden Euro Folgeinvestitionen, etwa wenn auf den rund 100 Hektar Gleisanlagen, die nun in bester innerstädtischer Lage abgerissen werden, neue Wohn- und Geschäftshäuser entstehen.
In der Bevölkerung ist das Bauvorhaben höchst umstritten. Seit Wochen demonstrieren immer wieder tausende Gegner des Projekts. Am vergangenen Montag versammelten sich nach Polizeiangaben mehr als 5000 Menschen am Stuttgarter Hauptbahnhof. Die Gegner des Milliardenvorhabens sprachen sogar von knapp 10.000 Teilnehmern. Am Freitag ist bei einer weiteren Protestaktion die Umzingelung des Bahnhofs mit einer Menschenkette geplant.
Die Projekt-Gegner mussten unterdessen eine weitere juristische Niederlage hinnehmen. Das Oberlandesgericht Stuttgart lehnte einen Eilantrag auf einen Stopp der Abrissarbeiten vor wenigen Tagen ab.

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!
Umweltbundesamt-Präsident Jochen Flasbarth sagte der "Süddeutschen Zeitung" vom Donnerstag, er selbst halte das Projekt "nicht für zwingend richtig". Stuttgart 21 sei aber ein Einzelprojekt und damit kein Thema, zu dem sich sein Amt positioniere.
Die Deutsche Bahn wollte das Gutachten einem Sprecher zufolge "nicht kommentieren". Zudem beteilige sich das Unternehmen nicht an Spekulationen über Kostensteigerungen.
Grünen-Chef Cem Özdemir bezeichnete die Studie dagegen als weiteren "Sargnagel" für Stuttgart 21. Die Verantwortlichen sollten endlich aufhören, "dieses zerfledderte Projekt zwanghaft und gegen alle Vernunft zum Leben erwecken zu wollen", erklärte Özdemir in Berlin.