Vom eiskalten Kapitalisten zum Wohltäter: stern-Gespräch mit dem Milliardär George Soros über Markt, Moral und Europas Zukunft
Ihr Name, Mr. Soros, ist zu einem Markenzeichen geworden. Wofür steht er Ihrer Meinung nach, wofür sollte er stehen?
Ich bin ein komplexer Charakter. In einigen Teilen der Welt bin ich bekannt als der Mann, der die Bank von England in die Knie zwang, der Malaysia ruiniert hat – als ein Spekulant und Teufel eben. In anderen Teilen der Welt dagegen gelte ich als Verfechter der »offenen Gesellschaft«.
Dort, wo Ihre Stiftungen Bildung und Demokratiebewegungen unterstützen?
Ja. Ich habe beispielsweise in Russland ein völlig anderes Image als in Malaysia. Einerseits bin ich Spekulant mit Profitinteresse. Andererseits, weil ich viel Geld verdient habe, kann ich nun meinen humanistischen Anliegen nachgehen. Es ist wichtig für mich, zwischen beidem zu unterscheiden. Und ich hoffe, dass auch andere diese Unterscheidung machen. Als Bürger sollte man sich um die Gesellschaft sorgen, als Marktteilnehmer um seinen Profit. Ich praktiziere also, was ich predige – oder vielleicht predige ich auch, was ich praktiziere.
Hat der Bürger in Ihnen jemals die Praktiken des Spekulanten Soros bedauert?
Nein. Ich war an den Finanzmärkten tätig. Für Profit musste ich mir nie die Hände schmutzig machen. Da ich stets die Marktregeln befolgt habe, glaube ich nicht, dass etwas Unmoralisches in meinen Aktivitäten lag.
Aber Finanzspekulationen können besonders für kleinere Volkswirtschaften von Schwellenländern sehr schädlich sein.
Stimmt. Aber ich glaube nicht, dass ich das mit meiner individuellen Anlagepolitik verändern könnte.
Wie wäre es, wenn Sie mit gutem Beispiel vorangegangen wären?
Es würde nichts nützen. Es gäbe genug andere, die die Geschäfte machen würden. Allein kann ich die Krankheiten der Finanzwelt nicht heilen. Und wir müssen uns von der falschen Vorstellung trennen, dass wir uns auf die Disziplin der Marktteilnehmer verlassen können.
Wir fragen also – mit Verlaub – den Meisterdieb, wie man Beute besser schützt?
Ich empfehle Maßnahmen und Kontrollen, die mich als Investor deutlich beschränken würden.

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Sie empfehlen beispielsweise, eine Steuer auf Devisengeschäfte zu erheben. Kämen solche Vorschläge von einem Politiker, würde man ihn in eine ultralinke Ecke stellen. So etwas will die SED-Nachfolgepartei PDS.
Ich will ja nicht das Kapital beschneiden, ich will es doch nur disziplinieren. Es gibt einen großen Unterschied zwischen Finanzmärkten und, sagen wir, Fischmärkten. Fischmärkte handeln mit bekannten Mengen. Es bildet sich ein Marktpreis, ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage. Finanzmärkte dagegen handeln mit Zukunftserwartungen. Viele glaubten, dass die Finanzmärkte das echte Wirtschaftsgeschehen widerspiegeln. Nach dem Crash wissen wir, dass das ein großer Irrtum war. Das einzig Fundamentale an Finanzmärkten ist die Unsicherheit und ihre potenzielle Instabilität.
Es kann an den Finanz- und Aktienmärkten also jederzeit wieder krachen? Eine neue Asienkrise etwa?
Ja, deshalb muss man die Märkte kontrollieren. Das Ärgerliche ist, dass manche Kontrolleure das künftige Marktgeschehen noch schlechter steuern können als der Markt selbst. Daher wäre eine zentrale Kontrolle falsch. Besser wären Institutionen, die in die Märkte hineinhören, die zwischen Zentralbanken und dem Markt eine Art Vermittler sein könnten.
Wer verhindert diese neue Finanzarchitektur?
Marktfundamentalisten, die glauben, der Markt regle alles perfekt.
Aber war das Platzen der globalen Internet-Blase nicht der beste Beweis dafür, dass die Märkte sich selbst regulieren?
Das gebe ich gern zu. Ich bin ja auch nicht gegen Märkte. Aber die Klüfte zwischen Allgemeininteressen und Marktdenken wachsen ebenso wie die Schere zwischen Arm und Reich. In Ländern und zwischen Ländern. Der Kapitalismus bevorzugt sein Zentrum, USA, Europa, Japan. Es muss aber ein System geschaffen werden, das die Randregionen auch am Erfolg teilhaben lässt. Profitieren diese Staaten nicht, wird das negative Rückwirkungen auf das Zentrum haben. Wir stehen also schlicht vor der Wahl zwischen einer besseren oder einer schlechteren Welt.
Zuweilen glaubt man dem Stifter Soros die Uneigennützigkeit nicht – ein Dilemma?
Natürlich ist die Öffentlichkeit misstrauisch. Und das soll sie auch sein.
Wie wollen Sie denn dieses Misstrauen abbauen?
Wir helfen nur in Ländern, in denen wir keine Investments haben. In den ersten Jahren hat das bestens funktioniert. Das Problem trat auf, als sich der Markt in Russland entwickelte. Ich versuchte dort beides – und verlor einen Haufen Geld.
Was hat Priorität: Investmentchancen oder Hilfe?
Ich bin eine öffentliche Figur, also kann ich einige Investments nicht mehr machen. Gegen den südafrikanischen Rand kann ich nicht spekulieren, da wir dort eine Stiftung haben. Die Stiftungsarbeit limitiert das Spekulieren.
Teilen Sie die Sorge mancher Deutscher über den Euro?
Längerfristig gibt es keinen Binnenmarkt ohne gemeinsame Währung. Denn feste Wechselkurse können zusammenbrechen, variable Kurse können zu stark variieren. Die beste Lösung ist die Einheitswährung. Die Art und Weise, wie der Euro gemanagt wurde, lässt allerdings zu wünschen übrig. Aber alles in allem ist der Euro ein großer Schritt vorwärts. Das wird mich aber nicht daran hindern, die Europäische Zentralbank auch weiterhin zu kritisieren.
Was macht die EZB falsch?
Die starke Betonung der Inflationsbekämpfung ist zu wenig. Die Zentralbank hat eine Rolle in der europäischen und der weltweiten Wirtschaft. Wachstumsimpulse und Anregung in Zeiten der Rezession zu geben, sollte Teil ihrer Mission sein. Man hat den Eindruck, die EZB hinkt mit ihren Zinsentscheidungen der Marktwelle immer ein wenig hinterher. Dagegen ist die US-Notenbank der Marktentwicklung oft einen Schritt voraus.
Was erwarten Sie von der neuen US-Regierung? Worauf müssen sich die Europäer einstellen?
Ich bin sehr beunruhigt. Die neue US-Regierung will zurück in die Tage des Kalten Krieges: Das Raketenabwehrsystem im Weltraum soll unter US-Kontrolle stehen. Motto: Wir verteidigen, was wir wollen, und verteidigen nicht, was wir nicht wollen. Und genau das ist die alte Militärorientierung.
Bush verweist auf neue Bedrohungen.
Ich bin nicht völlig gegen Militär. Aber die Betonung von militärischer Stärke und Dominanz ist falsch, weil man damit eine sich selbst erfüllende Prophezeiung schafft. Wer nach Feinden Ausschau hält, wird sie finden und auch bekämpfen.
Überspitzen Sie jetzt nicht und trommeln für die Demokraten?
Ich habe auch die Clinton-Administration kritisiert. Ich habe nun mal eine andere Vision für die USA und die Welt, nämlich die der Krisenprävention durch die Schaffung offener Gesellschaften. Bush hat diese Idee verworfen, setzt auf US-Dominanz. Das mag kurzfristig ein gangbarer Weg sein, kann aber langfristig verheerende Folgen haben. Amerika ist durch eigene Interessen geleitet, die nicht die der restlichen Welt sein müssen. Also wird der Rest seine Interessen verteidigen, es kommt wieder zum Konzept des Machtgleichgewichts. Ich glaube nicht, dass wir uns das leisten können. Deshalb finde ich die Bush-Vision sehr beunruhigend.
Wie sollen wir in Europa damit umgehen?
Sie sollten ein höheres Maß an Gleichgewichtigkeit und Unabhängigkeit gegenüber den USA anstreben. Europa sollte enger zusammenrücken. Die jüngsten Vorschläge von Bundeskanzler Schröder weisen in diese Richtung. Es besteht nur die Gefahr, dass die Entwicklung zu einer deutschen Dominanz in der EU führen könnte. Gerade weil Schröder der erste deutsche Regierungschef ohne persönliche Erfahrungen aus der Nazi-Zeit ist, sollte er sensibel mit den Erinnerungen der anderen umgehen. Er ist auf dem richtigen Weg, aber es bleibt für Deutschland schwierig, die EU zu führen.
Bei manchen Deutschen gibt es Vorbehalte gegen die Osterweiterung der EU. Können Sie diese Sorgen nachvollziehen?
Die Alternative hieße »Festung Europa«. Das wäre keine wirkliche Alternative für eine offene Gesellschaft.
BIOGRAFIE GEORGE SOROS
1930: in Budapest als Sohn eines jüdischen Rechtsanwaltes geboren
40er Jahre: Versteckt vor den Nazis, mit falschen Papieren überlebt, dann Flucht vor den Kommunisten
50er Jahre: Studium der Volkswirtschaft und Philosophie (unter anderem bei Karl Popper) in London
60er Jahre: Analyst für Devisenmärkte in New York, 1969 Gründung von Soros Fund Management mit Sitz in New York
70er Jahre: Entwickler und Manager seiner eigenen Makro-Hedgefonds (Investmentfonds, die u. a. mit großen Summen gegen Währungen spekulieren). Seine Quantum-Fonds-Gruppe schaffte bis heute eine jährliche Durchschnittsrendite von rund 35 Prozent
80er Jahre: Beginn der Stiftungsarbeit; bis heute förderte die Soros Foundation Projekte in 30 Ländern – darunter die Gründung der Central European University Budapest – für insgesamt rund eine Milliarde Dollar aus Soros? Privatvermögen
90er Jahre: Rückzug aus dem aktiven Fondsmanagement, Chairman (Aufsichtsrat) der Fund Management und der Foundation, Konzentration auf Stiftungsarbeit
Das Interview führten die stern-Redakteure Frank Donovitz und Rico Carisch