Anzeige
Anzeige

Ministerpräsidentenwahl in Thüringen Lieberknechts Taufe im Stahlbad

War’s die Strafe für ihren Mini-Putsch gegen Althaus? Oder hat sie zu viele Zugeständnisse an den Koalitionspartner gemacht? Thüringens neue Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht wurde bei ihrer Zitter-Wahl offenbar von den eigenen Leuten bestraft. Am Ende kam ihr die Opposition zur Hilfe.

Dem Schicksal einer Heide Simonis entgeht sie nur knapp. Zwei demütigende Niederlagen muss Christine Lieberknecht bei der Wahl zur Thüringer Ministerpräsidentin über sich ergehen lassen. Erst im dritten Wahlgang haben die Abtrünnigen in der CDU/SPD-Koalition ein Einsehen und stellen sich geschlossen hinter sie. Die Opposition spricht von einem Fehlstart. Am Freitagmorgen werden in Erfurt Erinnerungen an den März 2005 wach, als Heide Simonis in Kiel in vier Durchgängen keine Mehrheit für ihre Wahl zur schleswig-holsteinischen Ministerpräsidentin bekam. Ein bis heute unbekannter Abgeordneter aus den eigenen Reihen verweigerte Simonis damals die Zustimmung.

Strafe für den Althaus-Putsch?

Überrascht wirkt Lieberknecht nicht. Bereits bei der ersten Stimmenauszählung macht die 51-Jährige ein Zeichen in Richtung Wahlkommission: Daumen runter - mit fragendem Schulterzucken. Offenbar ist ihr klar, dass ihr kleiner Putsch gegen ihren Vorgänger Dieter Althaus nicht ungestraft bleiben würde. Immerhin sind unter den 30 CDU-Abgeordneten etliche seiner Getreuen. Auf den Fluren des Landtags sind sich alle Beobachter, darunter auch CDU-Mitglieder, schnell einig, dass die Abtrünnigen unter den Christdemokraten zu suchen sind.

Die CDU um den nach seinem schweren Skiunfall angeschlagenen Althaus verlor bei der Landtagswahl am 30. August nach zehn Jahren ihre absolute Mehrheit. In den folgenden Koalitionsverhandlungen mit der SPD musste sie etliche liebgewonnenen Positionen aufgeben. Dadurch ist Unmut entstanden, weiß Lieberknecht. "Das ist auch in der Wahlkabine deutlich geworden." Nicht zuletzt könnte auch eine Rolle gespielt haben, dass die bislang katholisch geprägte Partei jetzt von einer protestantischen Pfarrerin geführt wird.

Viele Sympathien bei der Opposition

Dass es im dritten Wahlgang doch noch ein deutliches Votum wird, hat Lieberknecht ihrem Konkurrenten Bodo Ramelow von der Linken zu verdanken, der sie zu einer Kampfabstimmung herausfordert. Dadurch schließen sich die Reihen. In der Sitzungspause vor der entscheidenden Wahl drückt Ramelow Lieberknecht herzlich die Hand. Fast könnte der Eindruck entstehen, der taktische Schachzug sei abgesprochen. "Frau Lieberknecht hat meinen Respekt", sagt Ramelow auch nach der Entscheidung.

Diese Szene macht deutlich, wie beliebt Lieberknecht ist - zumindest bei der Opposition. Die Achtung hat sie sich vor allem in ihrer Zeit als Landtagspräsidentin verdient, als sie für einen fairen Umgang der Fraktionen untereinander sorgte. Hätte nur ihre Person und nicht die Koalition zur Wahl gestanden, wäre ihr eine breite Mehrheit sicher gewesen. Im Vorfeld etwa hatte FDP-Fraktionschef Uwe Barth erklärt, die Nein-Stimmen seiner Partei hätten mit der Person Lieberknecht nichts zu tun.

"Jetzt wird nach anderen Regeln gespielt"

Die neue Ministerpräsidentin muss nun mit dem Makel leben, nur holprig in die Staatskanzlei gekommen zu sein. Aber nach 20 Jahren in der Politik ficht sie das nicht an. "Wir haben es gerade erlebt: Nichts ist selbstverständlich, und man muss immer auf alle Fälle vorbereitet sein", sagt sie in ihrer Rede nach der Wahl. Ihre Stimme ist brüchig. Später kündigt sie an: "Jetzt wird nach anderen Regeln gespielt." Gemeint ist, dass bei Sachentscheidungen im Parlament anders als bei der Wahl offen abgestimmt wird. Aber die unterschwellige Drohung ist nicht zu überhören.

In den kommenden Tagen wird die neue Ministerpräsidentin ihr Kabinett zusammenstellen. Diesen Schritt hatte sie wohlweislich von ihrer Wahl getrennt - auch in der Hoffnung, mit der Unsicherheit die Fraktion zu disziplinieren. Vier der acht Ressorts gehen an die SPD, über vier entscheidet sie. Auf diesem Weg könnten schon bald weitere Rechnungen beglichen werden.

Ingo Senft-Werner, DPA DPA

Mehr zum Thema

Newsticker