Der Bundestag hat das gigantische Schuldenpaket abgesegnet. Falls der Bundesrat noch zustimmt, steht der Kanzlerschaft von Friedrich Merz fast nichts mehr im Wege. Vier Lehren eines historischen Tages.
Der Bundestag hat abgestimmt – und das milliardenschwere Schuldenpaket abgesegnet. Die vier wichtigsten Erkenntnisse des Tages hat das stern-Hauptstadtbüro für Sie zusammengetragen:
Macht geht vor
Wer hätte das gedacht? Viel war zuletzt geunkt worden, ob Union, SPD und Grüne überhaupt die Zweidrittelmehrheit schaffen würden. Theoretisch lag die informelle Schuldenkoalition am Tag der Entscheidung 31 Stimmen über dem Durst für die fällige Grundgesetzänderung. Würde das reichen? Aber dicke. 513 Abgeordnete stimmten mit Ja. Damit fehlten zur vollen Stimmzahl aller drei Fraktionen nur sieben Abgeordnete.
Wirklich knapp war’s also nicht. Das hat drei Gründe. Erstens: Die Union hat die Macht in den Genen. Wozu sie ein Kanzler nutzt, ist erst mal egal, Hauptsache, er hat sie. Das bekommen Unions-Abgeordnete nicht aus den Kleidern, selbst wenn sie in der neuen Legislaturperiode gar nicht mehr dabei sind. Zweitens: Die SPD sieht das Investitionspaket und das Schleifen der Schuldenbremse als Erfolg, weil sie es immer schon forderte, aber nicht durchsetzen konnte. Nun nehmen auch die ausscheidenden Sozialdemokraten ihre letzte Rache an Christian Lindner. Und die Grünen sind sowieso zufrieden: Noch nie stand für Klima-Investitionen so viel Geld bereit. Opposition ist Mist? Kommt drauf an, was man daraus macht.
Das Milliarden-Schuldenpaket ist beschlossen – aber wie wird das Geld eingesetzt? Friedrich Merz spricht über Verteidigung, Haushaltslage und langfristige Schuldenplanung.
Merz relativiert Schuldenpaket: "Noch haben wir keinen Cent ausgegeben"
Für seine Fans muss Merz jetzt erst recht liefern
Ja, Friedrich Merz hat eine riesige Hürde auf dem Weg zur Kanzlerschaft genommen. Fast die gesamte CDU/CSU-Fraktion ist ihm dabei gefolgt. Doch wie es in vielen emotional aussah, belegt eine persönliche Erklärung von Tilman Kuban: Hinter ihm lägen Tage "des innerlichen Ringens", schreibt er darin. Er stimme nur zu, um eine "schwere Staatskrise" zu vermeiden.
Merz mutet mit dem Schuldenpaket ausgerechnet seinen größten Fans in der Partei und im Land viel zu. Merz, der Schuldenkanzler? Hilfe! – schreien sie in der Union. Der CDU-Chef machte deshalb in seiner Rede klar, dass er das Geld nicht mit vollen Händen ausgeben werde. Die Kassenlage zwinge "zu erheblichen Einsparungen", mahnte er.
Merz muss in den Koalitionsverhandlungen dringend Erfolge liefern: Bei der Reduzierung der Migration, der Wirtschaftspolitik und dem Bürokratieabbau müsse eine christdemokratische Handschrift erkennbar sein, heißt es intern. Wohl auch deshalb rückt Merz von seinem straffen Zeitplan für die Verhandlungen ab.
Wenn auch im Koalitionsvertrag der Eindruck entstehen sollte, dass der CDU-Chef die Politik von Rot-Grün umsetzt, dann könnte Merz richtige Probleme bekommen. "Er hat seinen Kreditrahmen als Kanzlerkandidat eigentlich ausgenutzt", sagt ein erfahrener Unionspolitiker.
Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
Klingbeils erster Coup im Bundestag – aber jetzt wird's schmerzhaft
Nachdem die SPD bei der Wahl regelrecht zurechtgestutzt wurde, kann sie nun wieder mit etwas breiterem Kreuz auftreten. Die Sozialdemokraten haben der Union einen milliardenschweren Schuldenschwur abgetrotzt, der maßgeblich ihre Handschrift trägt. Ein erster Achtungserfolg für Parteichef Lars Klingbeil, der mit seinem beherzten Griff nach dem Fraktionsvorsitz – nur kurz nach der Wahlniederlage – auch in den eigenen Reihen für Irritationen sorgte. Doch das Machtmanöver hat sich für die Genossen ausgezahlt. Erst einmal jedenfalls.
Denn jetzt geht’s in die Koalitionsverhandlungen – und die könnten noch schmerzhaft für die SPD werden. Wahrscheinlich-Kanzler Friedrich Merz hat erhebliche Einsparungen und weitreichende Reformen angekündigt. Schon am Vorabend erinnerte er seinen voraussichtlichen Koalitionspartner daran, dass die Wähler für die SPD die Juniorrolle in einer Koalition vorgesehen hätten. Ein Machtwort – und ein Reality-Check. Den Ton gibt die CDU an, sollte das heißen. Und Klingbeil wird es seinen Genossen vermitteln müssen. Seine Bewährungsprobe als Führungsfigur der SPD steht noch bevor.
Jetzt muss über die Wehrpflicht diskutiert werden
Wer A sagt, muss auch B sagen. Übersetzt auf den heutigen Tag heißt das: Wer die Möglichkeit unbegrenzter Verteidigungsausgaben beschließt, um Deutschland "kriegstüchtig" zu machen, der muss auch Deutschland als Militärmacht neu definieren.
Dazu gehört als Erstes der endgültige Abschied vom bisherigen Selbstverständnis, dass man politisch zwar ein Riese sei, militärisch aber zugleich ein Zwerg bleiben kann. Zur Wahrheit gehört zweitens: Wenn das Land – oder ein Bündnispartner – verteidigt werden soll, muss es dafür auch genügend Soldatinnen und Soldaten geben. Versuche, dies über einen freiwilligen Wehrdienst zu erreichen, sind gescheitert. Wir brauchen die Wehrpflicht zurück, für Männer und Frauen. Flankiert mit der Alternative eines Dienstes im Zivilschutz. Schweden hat bereits beides – weil man sich als unmittelbarer Nachbar von Russland der Gefahr viel stärker bewusst ist.
Wenn sich Friedrich Merz in diesem Punkt nicht ehrlich macht, dürfte es ihm gehen wie seinem Vorgänger Olaf Scholz (SPD). Dessen "Zeitenwende" verpuffte nach großer Ankündigung wieder.
Die schärfsten Beobachtungen und Momente des Abstimmungstages können Sie hier im Blog nachlesen:
Wichtige Updates
Julius Betschka
BundestagspräsidentinBas und ihr Dank ans Handwerk
Das (nahezu) letzte Wort dieser Sitzung gilt nicht der Politik, sondern dem deutschen Handwerk, wenn man so will. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) sagte zum Schluss der Debatte, sie wolle insbesondere den Bauarbeitern danken, die ab jetzt den Saal für die erste Sitzung des neuen Parlaments in der kommenden Woche umbauten. "In Überstunden und am Wochenende", betonte Bas.
Es ist nur eine kleine Anekdote. Aber sie zeigt, warum sich Bas in den vergangenen drei Jahren überparteilich Respekt verdient hat in ihrem Amt. Mal mit Umsicht, mal mit einem lockeren Spruch. Es war heute auch ihre letzte Sitzung als Parlamentspräsidentin. Ihre Nachfolgerin wird voraussichtlich Julia Klöckner (CDU). Klöckner wurde einst mit dem Orden "wider den tierischen Ernst" ausgezeichnet. Es kann also heiter werden!
Während die meisten Abgeordneten den Plenarsaal bereits verlassen haben, nimmt Gregor Gysi (Die Linke) dort Platz, wo eben noch Bärbel Bas gesessen hat, und lässt sich erklären, wie man das Mikrofon bedient. Als Alterspräsident wird er am Dienstag, 25. März, die konstituierende Sitzung des 21. Deutschen Bundestages eröffnen.
Rasmus Blasel / stern
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Jan Rosenkranz
Jetzt ist Schluss
"Diesmal bin ich sicher", sagt Bundestagspräsidentin Bärbel Bas am Ende ihrer letzten Sitzung. Die SPD-Politikerin wird das Amt dann bald an die CDU-Abgeordnete Julia Klöckner abgeben, die von der Union gestern für dieses Amt nominiert worden ist. Vielleicht hat Bas darum heute einen Blazer gewählt, dessen Farbe auffallend gut mit den fliederfarbenen Sitzpolstern im Saal korrespondiert – als wollte sie mit ihrem Amt verschmelzen.
Dann verabschiedet sie jene 333 Abgeordnete, die heute ihren letzten Tag im Parlament verbracht haben und schickt schon mal einen Dank raus an die Handwerker, die die Bestuhlung im Saal ab sofort umbauen, in Überstunden und auch am Wochenende, damit alles bereit ist für die konstituierende Sitzung des 21. Bundestages am kommenden Dienstag. Der neue Bundestag hat nicht nur andere Mehrheitsverhältnisse, sondern wegen der Wahlrechtsreform auch 100 Abgeordnete weniger als der alte.
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Florian Schillat
Nach der – für Union und SPD – erfolgreichen Abstimmung stecken die führenden GroKo-Verhandler nochmal kurz die Köpfe zusammen: Wahrscheinlich-Kanzler und CDU-Chef Friedrich Merz, CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, Verteidigungsminister Boris Pistorius und der Partei- und Fraktionschef der SPD Lars Klingbeil.
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Florian Schillat
"Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung", sagt Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, und auch am Ende der letzten Sitzung des 20. Bundestags. "Diesmal bin ich mir sicher", scherzt Bas auf einige "Naaa jaaa…" aus den Fraktionen. Hat kürzlich ja einige Sondersitzungen gegeben.
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Jan Rosenkranz
Bundestag segnet milliardenschweres Schuldenpaket ab
Union und SPD können aufatmen: Der Bundestag hat das Schuldenpaket angenommen. Die Zweidrittelmehrheit steht. 513 Abgeordnete stimmten für den Antrag zur dreifachen Änderungen des Grundgesetzes. 207 stimmten dagegen, keine Enthaltungen. Für den angehenden Kanzler Friedrich Merz und die GroKo-Verhandler ist das ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einer gemeinsamen Regierung. Das Bündnis aus Union und SPD hat damit eine finanzielle Geschäftsgrundlage.
Für Verteidigungsausgaben oberhalb der Höhe von einem Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) gilt fortan eine Ausnahme von der Schuldenbremse. Für Investitionen in die Infrastruktur wird zudem ein Sondervermögen von 500 Milliarden Euro eingerichtet, davon werden 100 Milliarden für die Bundesländer reserviert. Die dritte Grundgesetzänderung erlaubt den Ländern mehr Spielraum bei der eigenen Verschuldung: Auch sie dürfen künftig Kredite in Höhe von 0,35 Prozent des BIP aufnehmen.
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Rasmus Blasel
Nicht jeder Besucher hat das Glück, zur richtigen Zeit im Plenarsaal zu sitzen. Viele versuchen deshalb, das Geschehen von draußen zu verfolgen. In wenigen Minuten wird Bärbel Bas das Ergebnis verkünden.
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Nico Fried
Es lohnt sich immer mal, in den Sitzungspausen in die Interviews auf Phoenix reinzuhören. Hans-Peter Friedrich, CSU, Ex-Innenminister und Ex-Vize-Präsident, der aus dem Bundestag ausscheidet, hinterlässt ein bemerkenswertes Vermächtnis: Er findet die Brandmauer zur AfD "undemokratisch" und wünscht sich, dass sie in den nächsten Jahren abgebaut werde. Guck an. Gibt's da in der Union noch mehr davon?
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Rasmus Blasel
Auch für Bundestagsabgeordnete ist es nicht alltäglich, über eine Grundgesetzänderung abzustimmen. Der eine oder andere hält den Moment mit dem Handy fest.
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Veit Medick
Jetzt gilt's, die Abstimmung für das milliardenschwere Schuldenpaket hat begonnen
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) ruft die Abgeordneten zur entscheidenden Abstimmung auf: der Grundgesetzänderung für neue, milliardenschwere Schulden. Bis 15.50 Uhr sind die Urnen geöffnet – danach wird ausgezählt.
Rasmus Blasel/stern
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Florian Schillat
Eine (!) der Abstimmungen ist durch: Gesetzentwurf der FDP verfehlt Mehrheit
Bundesratspräsidentin Bärbel Bas teilt mit, was hier niemanden überrascht: Der Gesetzentwurf der FDP verfehlt (sehr deutlich) eine Mehrheit, so auch ein Änderungsantrag der Liberalen.
Worum ging's? Die FDP wollte eine Aufstockung des Bundeswehr-Sondervermögens um 200 Milliarden. Die Vorlage bekam in zweiter Lesung in namentlicher Abstimmung nur 87 Ja-Stimmen, 627 Abgeordnete votierten dagegen, drei enthielten sich. Damit entfiel auch die Schlussabstimmung über diese Vorlage. Die FDP hatte den Gesetzentwurf als Alternative zu dem geplanten Finanzpaket von Union, SPD und Grünen eingebracht.
Auch eine weitere namentliche Abstimmung über einen FDP-Änderungsantrag zum Finanzpaket ist gescheitert – bei nur 85 Ja-Stimmen, 631 Nein-Stimmen und zwei Enthaltungen.
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Lisa Becke
Mitarbeiter, schlecht gelaunt: "Wo ist die Polizei, wenn man sie mal braucht?"
Dass die Abgeordneten mehrmals hintereinander namentlich abstimmen, ist offensichtlich auch eine logistische Herausforderung. Ein Bundestagsmitarbeiter fährt die grauen Kisten, in die die Zettel eingeworfen werden, auf einem Wägelchen hin und her. Mit denkbar schlechter Laune: “Sie müssen schon mal Platz machen”, raunzt er alle, die im Weg stehen, an. “Wo ist die Polizei, wenn man sie mal braucht?”
Hier wird abgestimmt….Stern
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Anna Aridzanjan
Nutzen wir doch die Abstimmungszeit für einen Blick auf die jüngste teilnehmende Person: Das kleine Baby der Abgeordneten Hanna Steinmüller (M, Bündnis 90/Die Grünen).
Steinmüller fiel bereits kurz vor der Bundestagswahl mit ihrer kleinen Begleitung auf: Mit Baby vor der Brust kämpfte sie in Berlin-Mitte um ihr Bundestagsmandat und verzichtete dafür auf ihren Mutterschutz.
Michael Kappeler/dpa
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Julius Betschka
Das steht in der persönlichen Erklärung von Tilman Kuban
Ein umstrittener Punkt im Schuldenkompromiss von Grüne, SPD und Union: die Aufnahme des Begriffs der "Klimaneutralität bis 2045" ins Grundgesetz als EINER der Verwendungszwecke für das Sondervermögen. Dazu sagt der Klimaexperte der Union, der Konstanzer Bundestagsabgeordnete Andreas Jung (CDU) dem stern: „Mit der Aufnahme des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen ins Grundgesetz 1994 zu Zeiten einer schwarz-gelben Bundesregierung unter Helmut Kohl ist auch Klimaschutz Staatsziel."
Allerdings müsse man jetzt einen "grundlegend" neuen Weg einschlagen: "Klimaschutz, Wirtschaftskraft und soziale Akzeptanz gehören unbedingt zusammen." Auch brauche es einen Neustart der Energiewende: "Sie muss strikt auf Kosteneffizienz getrimmt werden." Energiepreise dürften nicht noch mehr zur sozialen Frage werden.