Nato-Gipfel Bier trinken mit Obama

  • von Manuela Pfohl
Ein Wochenende lang ist Straßburg im Ausnahmezustand. Zwischen Gipfelprotesten und Polizeisperren versuchen die Bewohner der deutsch-französischen Grenzstadt, die ganz große Nato-Politik und ihren Alltag unter einen Hut zu bringen. Bier trinken mit Obama fänden sie gut.

Das Abenteuer beginnt in O'Brady's Pub am Ende der Avenue de la Paix im nördlichen Zentrum Straßburgs. Hier endet die Absperrung zur gelben Zone. Dem Bereich, der nur von den Bewohnern der Häuser innerhalb der Zone betreten werden darf und natürlich von den Politikern, die drüben im Palais de la Musique et des Congres über die Sicherheit der Welt im Allgemeinen und den Beitrag der Nato dazu im Besonderen debattieren. Die Gendarmerie hat schwere Absperrgitter aufgestellt und ein paar rot-weiße Bänder gezogen, die im Wind an den Stangen ziehen, als wollten sie Widerstand gegen die Teilung der Stadt üben. Straßburg im Gipfel-Ausnahmezustand.

Die Grenze verläuft direkt an der Ecke zum Pub. Vor dem stehen ein paar Minitische, ein paar Plastikstühle und viele Neugierige. Es gibt Bier und manchmal zwei, dann wieder drei oder sogar vier TV-Kameras. Die Objektive sind auf die Straße gerichtet. Denn hier kommen sie alle vorbei: Merkel und Sarkozy und vor allem Barack Obama.

"Ich hab nichts von dem Zauber"

Ein super Platz zum Warten auf die kleine Millisekunde, in der der große amerikanische Traum vielleicht zu sehen ist. Jeder hier weiß genau, was das diplomatische Protokoll für den Tag vorgesehen hat. Wann wer vorbeikommt, mit wem und zu welchem Zweck. Dinner, Konferenz, Damenprogramm, Konzert. Alles ist klar. Da kann die Polizei noch so geheimnisvoll tun.

"Es wird ja seit Wochen von nichts anderem mehr geredet", sagt ein dicker Herr mit abgewetzten Cordhosen und breiten Hosenträgern. "Drüben in Baden-Baden", sagt er, "da haben sie es richtig gemacht. Da verkaufen sie Nato-Wein und Obama-Shirts, haben Zimmer, die an der Protokollstrecke der Gipfelteilnehmer liegen, zu irren Preisen vermietet und ein Riesen Geschäft gemacht. Hier in Straßburg hingegen..." Ein anderer nickt. Es sei halt schlecht geplant, gerade für die Leute, die in unmittelbarer Nähe zum Gipfelgeschehen wohnen.

"Ich hab gar nichts von dem ganzen Zauber. Ich musste mir frei nehmen. Zwei Tage, weil die Schulen geschlossen wurden. Aber erledigen kann ich in der Zeit auch nichts, man kommt ja nirgendwo hin wegen der Absperrungen und des eingestellten Nahverkehrs", erzählt eine Frau. "Immer wieder Kontrollen und die Frage, wohin man will. Das ist ja wie im Krieg", sagt sie und hebt gerade zu einem weiteren Beweis für ihre These an, als sie jäh von den Männern unterbrochen wird.

Lesen Sie auf Seite 2: Warum die Polizei bunte Fahnen als Bedrohung für die Nato einstuft.

Nato-feindliche Meinungsäußerung?

Zu sehen ist noch nichts. Aber zu hören. Sirenenheulen, das sich nähert. Die Kameramänner schauen gespannt in die Ferne und dann kommt er: "Yes we can", ruft ein Gast aus O'Brady's Pub voller Begeisterung und winkt in Richtung der schwarzen Limousine, die mit verdunkelten Scheiben im Eiltempo vorbeiprescht. Da muss Obama drin sitzen. Wozu sonst würde der Wagen von einem Dutzend anderer Karossen und Polizeiwagen begleitet. Der neue amerikanische Präsident selbst soll ja ganz bescheiden sein, der würde das mit der Sicherheit so gar nicht machen, der würde, wenn er könnte, wie er dürfte, aussteigen, im Pub ein Bier trinken und den Leuten ins Gesicht sagen, wie er sich das mit der Nato weiter vorstellt. Da sind sich die Männer bei O'Brady's ganz sicher.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Die Gendarmerie, die ein Stückchen weiter die Nebenstraßen kontrolliert, ist hingegen schwer verunsichert. Im dritten Stock eines Hauses am Place de Bordeaux sind zwei Frauen dabei, bunte Stoffbahnen über die Balkonbrüstung zu hängen. Regenbogenfarben, genau so, wie die Pace-Fahnen, die in der vergangenen Woche von irgendeinem Polizeikommandeur als Nato-feindliche Meinungsäußerung deklariert und folglich für verboten erklärt wurden. In ganz Frankreich hatte es anschließend Zoff gegeben. Und nun hängen da diese Stoffbahnen.

Über Funk fordern die beiden Beamten Klärung der Sachlage an und geben schließlich Entwarnung. Es sei wohl doch nicht so gefährlich, hätte ihr Vorgesetzter erklärt. Viel mehr können sie nicht berichten. In ihrem Bereich sei ja überhaupt nichts los und der Tag noch ewig lang. Von den Aufregungen rund um O'Brady's sind sie weit entfernt. Und was meinen sie zur Nato und ihren Zukunftsplänen? "Kein Kommentar", sagen sie grinsend.

"Da muss man differenzieren"

Hupert, der Taxifahrer, der sich auf verschlungenen Wegen immer wieder fluchend durch die verschiedenen Absperrungen der deutsch-französischen Grenzstadt schlägt, hat keine Bedenken sich zu äußern. "Wissen Sie", sagt er, "da muss man differenzieren." Einerseits mache es durchaus Sinn, möglichst viele Länder in die Nato zu integrieren, um so dem internationalen Terrorismus wirkungsvoll zu begegnen. Deshalb sei es auch richtig, dass Frankreich sich wieder mehr engagieren wolle und das Ganze mit den anderen Partnern auf einer großen Konferenz bespricht. "Andererseits verstehe ich nicht, warum sie dafür ein ganzes Wochenende unsere schöne Stadt lahmlegen müssen. Können die das nicht woanders klären?"

Seine Schwägerin habe einen kleinen Laden, ganz in der Nähe, in der gelben Zone. Am Freitag und Samstag mache sie normalerweise ihre besten Umsätze, meint Hupert. "Jetzt hat sie Bretter vor die Fenster genagelt, aus Angst vor den Steinen der Demonstranten und verdient keinen Cent." Ob das wirklich nötig ist? "Wer weiß", sagt er, "man hört ja einiges von großen Randalen, die geplant sind."

In der Rue de Molsheim will Hupert Pause machen. Eine rauchen, Radio an und mal hören, was es Neues gibt vom Nato-Gipfel und dem Rest der Welt. Doch er kommt nur bis zur nächsten Kreuzung. Polizei, Sperren, Warten. Vielleicht kommt ja Obama hier vorbei.