Ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Christ- und Sozialdemokraten hatten Wahlforscher vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen prophezeit. Und dann kam es ganz anders. Die Union behauptete sich schon in den ersten Prognosen als klarer Wahlsieger, auch die Grünen konnten punkten und überraschten vor allem mit einem großen Stimmzuwachs. Und die SPD erlebte ein Debakel.
Auch für die Liberalen und die AfD sieht es nicht gut aus. Beide mussten um den Einzug in den Landtag zittern – während es die Linken bei der dritten Wahl in Folge nicht schafften. Nun steht fest: Eine Groko wird es nicht mehr geben, ebenso wenig ein Bündnis aus CDU und FDP. Dafür können sich die Grünen nun ernsthafte Chancen auf eine Regierungsbeteiligung ausrechnen. Die SPD könnte dagegen leer ausgehen.
Das sagt die Presse zu dem Wahlergebnis in NRW:
Konservatismus und Öko-Politik müssen sich nicht mehr ausschließen
"Augsburger Allgemeine": "Das Motto des Kanzlers für die nächsten Monate und über die nächste Landtagswahl in Niedersachsen hinaus muss lauten: mehr Führung wagen. Während die Grünen in NRW Schub von den beiden stärksten Ampel-Ministern, Robert Habeck und Annalena Baerbock, bekommen haben, kann die NRW-FDP das nicht behaupten. Sie musste um den Wiedereinzug in den Düsseldorfer Landtag lange bangen. 'Miteinander' ist ein viel gebrauchtes Scholz-Wort. Das gilt nach der NRW-Wahl mehr denn je."
"Kölner Stadtanzeiger": "Für das Land wäre Schwarz-Grün eine neue, unverbrauchte Option, möglicherweise ein neues Erfolgsmodell. Gemeinsame Basis könnte das Bekenntnis beider Parteien für einen frühzeitigen Ausstieg aus der Kohle 2030 sein. Auch bei anderen Themen wie Schule und Bildung, Gesundheit und Sicherheit, ÖPNV und Bürokratieabbau gibt es genügend Schnittmengen. Scheitern könnten die Verhandlungen, wenn die Grünen den Bogen überspannen und die CDU an den Rand der Selbstverleugnung treiben."
"Reutlinger General-Anzeiger": "Spannend zu beobachten, wie sich die althergebrachte Links-Rechts-Lager-Symmetrie in Auflösung befindet. In NRW will das Wahlvolk ganz klar Schwarz-Grün. Kurz und bündig übersetzt: In der momentanen Lage von Nation und Welt setzen die Wähler auf eine stabile CDU und pragmatische Grüne mit überzeugenden Galionsfiguren. Es gibt sie, die Klammer für konservative Schöpfungsorientierung und ehedem "linke" Öko-Politik. Die Fusion im Kopf von Wirtschaftspolitik und Nachhaltigkeit beim Kampf gegen den Klimawandel ist kein Paradoxon mehr. Verteidigungsfähigkeit – Kriegsbereitschaft, um ehrlich zu sein – wird nicht ideologisch verteufelt, sondern als integraler Bestandteil von Friedenspolitik begriffen, auch wenn das in der Seele richtig weh tut."
"Nordwest-Zeitung": "Die CDU hat die Landtagswahl in NRW gewonnen und den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten. Ein Erfolg für Noch-Kurzzeit-Ministerpräsident Hendrik Wüst. Wie viel Wüsts Sieg am Ende wirklich wert ist, zeigt der Blick nach links. Es muss koaliert werden, das große 'Wer mit wem?' läuft seit den ersten Prognosen und offenbart, wer wirklich über die Regierungsbildung entscheidet. Und das wird nicht der Amtsinhaber sein, denn eine Große Koalition scheint ausgeschlossen – allein, weil sich für beide großen Volksparteien attraktivere Alternativen anbieten. Die Grünen haben ihr Ergebnis wie erwartet fast verdreifacht und damit ihren Platz in der künftigen Landesregierung fast sicher. An wessen Seite das sein wird, kann sich Spitzenkandidatin Mona Neubaur nahezu frei aussuchen. Ob Schwarz/Grün oder analog zum Bund eine Ampelkoalition – alles ist möglich. Die Rolle der Königsmacherin fällt ihr zu und nicht dem nominellen Wahlsieger selbst."
NRW-Wahl: Der eigentliche Verlierer ist Olaf Scholz
"Weser Kurier": "Das schlechteste Wahlergebnis für die SPD in der Geschichte Nordrhein-Westfalens ist in erster Linie eine schallende Ohrfeige für Bundeskanzler Olaf Scholz. Im Gegensatz zu den vorherigen Landtagswahlen im Saarland und in Schleswig-Holstein ist das Ergebnis in Düsseldorf nicht landespolitisch motiviert, sondern in erster Linie der Enttäuschung der Wähler über den zögerlichen und zaudernden Kurs des Bundeskanzlers in der Ukraine-Frage zuzuschreiben. Das Resultat zeugt mehr von der Schwäche des Kanzlers als von der Stärke des CDU-Ministerpräsidenten."
"Mitteldeutsche Zeitung": "Das Ergebnis der NRW-Wahl ist eine Klatsche für Kanzler Olaf Scholz (SPD), die man bis nach Berlin hört. Der Urnengang gilt als "kleine Bundestagswahl", denn an Rhein und Ruhr leben 18 Millionen Deutsche. Und die Bundespolitik hat einen großen Einfluss gehabt, Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) konnte keinen nennenswerten Amtsbonus in die Waagschale werfen – der 46-Jährige regiert erst ein gutes halbes Jahr. Während die Berliner und Düsseldorfer Regierungspartei FDP klar zu den Verlierern des Abends zählt, sind die Grünen hingegen die strahlenden Gewinner. Der Höhenflug dürfte maßgeblich damit zu tun haben, dass das Spitzenduo Annalena Baerbock und Robert Habeck von Tag eins der Bundesregierung an ohne nennenswerte Wackler agiert und im Ukraine-Krieg einen konsequenten, pragmatischen Kurs fährt – während Scholz sich Zaudern und Zögern vorwerfen lassen muss."
"Neue Osnabrücker Zeitung": "An diesem Ergebnis lässt sich aus SPD-Sicht nichts schönreden: Die beiden klaren, strahlenden Sieger des Wahltages in NRW heißen CDU und Grüne. Nachdem die CDU in Schleswig-Holstein vorlegte, haben sich die Parteikollegen in NRW allen Umfragen zum Trotz klar von der SPD abgesetzt. Das ist nicht nur bitter für die Landes-SPD; auch Bundeskanzler Olaf Scholz gilt als angezählt. Der erneute Sieg der CDU stärkt Kritiker inner- und außerhalb der Regierungskoalition. Die Wahl in NRW, dem bevölkerungsreichsten Bundesland, wird nicht umsonst als kleine Bundestagswahl bezeichnet."
"Stuttgarter Nachrichten": "Wahlen in NRW sind ein Seismograf für die Gesamtstimmung in Deutschland. Sie haben das Potenzial, die Verhältnisse in Berlin zum Schwingen zu bringen. Nach einer SPD-Schlappe an Rhein und Ruhr rief Kanzler Gerhard Schröder 2005 Neuwahlen im Bund aus. Vergleichbare Erschütterungen wird diese NRW-Wahl nicht auslösen. CDU-Chef Friedrich Merz ist nach holprigem Start stabilisiert. Er hat gezeigt, dass die Union unter seiner Führung Wahlen gewinnen kann. Olaf Scholz aber wird NRW schwer zu denken geben. Ausdrücklich hatten seine Genossen mit ihm als Bundeskanzler geworben und die angeblich guten Kontakte ihres Spitzenmannes Thomas Kutschaty nach Berlin als Wahlkampfargument eingesetzt. Nun muss sich Scholz auch persönlich das katastrophale Ergebnis zurechnen lassen."
"Frankenpost": "Möglicherweise hat es also eher das Gegenteil bewirkt, dass sich Thomas Kutschaty im Wahlkampf auf Plakaten Seite an Seite mit Olaf Scholz zeigte. Ja, man könnte das Wahlergebnis fast als Misstrauensvotum gegen den Kanzler sehen. Das historisch schlechteste Ergebnis bei einer Landtagswahl in NRW ist es allemal. Ähnlich miserabel lief es für die FDP. Für die Ampel im Bund sind das katastrophale Signale. Sowohl die SPD als auch die FDP sind schwer geschwächt. Vor allem aber muss Olaf Scholz endlich die Zeichen erkennen, dass er seine Politik mehr erklären muss und nicht nur scholzomatig hinter den Kulissen agieren darf. Ein Kanzler muss das Land auf seinem Kurs mitnehmen."
Aufatmen für Friedrich Merz und die CDU
"Rheinpfalz": "Koalitionen sind meist eher eine Frage des Vertrauens denn eine von möglichst vielen inhaltlichen Schnittmengen. Es wird also zuvörderst auf die Grünen ankommen, zu welchem Spitzenpersonal der beiden möglichen Partner – Christ- oder Sozialdemokraten – sie das größere Vertrauen haben. In Nordrhein-Westfalen sind die Grünen traditionell eher links. In jedem Fall könnte es für CDU oder SPD teuer werden. Die Grünen sind in der komfortablen Lage, ihrem künftigen Partner inhaltlich viel abringen zu können."
"Allgemeine Zeitung": "Wenn es in NRW nun eindeutig auf Schwarz-Grün hinausläuft, hat das vielfältige Weiterungen in Berlin. Die Grünen verbessern ihre Verhandlungsposition in der Ampel erheblich. Sie können von nun an darauf verweisen, dass Schwarz-Grün auch für den Bund eine Option ist. Friedrich Merz und die CDU können nach den beiden Wahlsiegen in Schleswig-Holstein und NRW zwar aufatmen. Ihre Wahlerfolge bestätigen aber eher die von Merkel betriebene gesellschaftliche Öffnung der Union als die Sehnsucht nach einer Rückkehr zum Konservativismus. Das macht Merz zu einem Moderator des Übergangs – auch wenn ihm das selbst noch nicht bewusst sein mag. Die SPD muss erkennen, dass Olaf Scholz in NRW keinen Kanzlerbonus einbringen konnte. Wer den Stoiker im Kanzleramt kennt, weiß allerdings, dass die NRW-Schlappe keinen Einfluss auf seine Regierungsarbeit haben wird, in dieser Krisenlage schon gar nicht. Das muss kein Fehler sein."
"Berliner Zeitung": "Wüst hat das CDU-Ergebnis von 2017 übertroffen und ist damit klar Wahlsieger. Das kann auch Friedrich Merz als Erfolg verbuchen. Doch sollte die SPD, trotz Verlusten für Kutschaty, am Ende Rot-Grün erreichen, Olaf Scholz müsste sich nicht verstecken. Es wird eng. Klar sind zwei Dinge: Die Grünen werden für ihre Koalitionsentscheidung fürstlich belohnt. Und der Ukraine-Krieg bleibt das bestimmende Thema auf allen politischen Ebenen."
"Westfälische Nachrichten": "Der Wähler hat in NRW entschieden – und den Parteien trotz eindeutiger Ergebnisse keine leichte Aufgabe übertragen. Die CDU deutlich vor der SPD, die Grünen erwartet stark auf Platz drei, die FDP abgestürzt. Klar ist damit nur: Schwarz-Gelb ist klar abgewählt. Die CDU hat ein Top-Ergebnis hingelegt. 35 Prozent sind eine Ansage. Die politische Zukunft von Ministerpräsident Hendrik Wüst ist damit jedoch nicht gesichert. Ob seine Partei eine neue Mehrheit zustande bekommt, ist ungewiss. So hart kann Politik sein. Die SPD ist weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Der Blick auf die Zahlen lässt Rot-Grün kaum noch möglich erscheinen. Eine Ampel hätte eine satte Mehrheit – sofern die FDP nicht doch noch den Sprung in den Landtag verpasst. Die Liberalen sind die großen Verlierer dieser Wahl. Sie haben ihr Ergebnis aus 2017 mehr als halbiert. Die gerupfte Partei kassiert damit die Quittung für einen konturlosen Spitzenkandidaten, eine inhaltliche Leere und ein von ihr verantwortetes Schulministerium, das zu oft jeder Beschreibung spottete."