Nordrhein-Westfalen hat gewählt – und es zeichnet sich ein klarer Wahlsieg für die CDU ab. Das war nicht unbedingt so zu erwarten gewesen. Mit etwa neun Prozentpunkten liegt die Union vor der SPD. Ein durchaus deutlicher Abstand, wesentlich größer, als letzte Umfragen vermuten ließen.
Der Sieger des Abends heißt Hendrik Wüst, seit sieben Monaten Ministerpräsident von NRW. Er hat seine Partei sympathisch-souverän durch den Wahlkampf geführt, ohne den Menschen an Rhein und Ruhr allzu politische Inhalte zuzumuten. Das hat offenbar gut funktioniert. Vieles spricht dafür, dass Wüst Regierungschef im bevölkerungsstärksten Bundesland bleibt. Auch für eine Ampelkoalition würde es reichen, theoretisch. Vier erste Erkenntnisse aus der Landtagswahl in NRW:
Die CDU hat diese Wahl gewonnen – ein Erfolg für Hendrik Wüst
Im vergangenen Herbst stieg Hendrik Wüst vom Verkehrsminister zum Ministerpräsidenten auf. Das war eher ein Zufall. Weil Armin Laschet schon vor der Bundestagswahl entschieden hatte, auf jeden Fall in die Bundespolitik zu wechseln, brauchte die CDU einen Nachfolger. Und weil der Regierungschef von NRW ein Landtagsmandat braucht, war die Auswahl überschaubar: Nicht viele Minister in Laschets Kabinett saßen auch im Landtag. Wüst war einer der wenigen – und bekam den Posten.
Die sieben Monate danach hat er gut genutzt. Wüst, 46, Jurist, Münsterländer und junger Familienvater, musste Krise um Krise managen. Erst kam Corona zurück, dann der Krieg nach Europa, und mit ihm Sorgen um Arbeitsplätze und Inflation. Wüst hat es in der kurzen Zeit geschafft, bekannter zu werden. Und er kommt offenbar gut an bei der CDU-Parteibasis an Rhein, Ruhr und Lippe.
Die Wahlbeteiligung in NRW ist bei dieser Wahl außerordentlich schwach. Da fällt umso mehr auf, wer die eigene Basis erreichen und mobilisieren konnte. Wüsts Strategie bestand aus drei Botschaften: Sichere Arbeitsplätze, gute Schulen, innere Sicherheit – mit diesem Dreiklang bestritt er den kurzen, aber intensiven Wahlkampf. Olaf Scholz hat mit ähnlich einfachen Botschaften vergangenes Jahr eine Bundestagwahl gewonnen.
Wüst hatte, anders als Scholz, zusätzlich noch einen starken zweiten Mann an seiner Seite, quasi einen Co-Spitzenkandidaten: Herbert Reul. Der beliebte NRW-Innenminister, der gefühlt jede Clan-Razzia in Shisha-Bars persönlich beaufsichtigt, war im Wahlkampf so in erster Reihe präsent, dass man zwischenzeitlich rätseln durfte, ob die Union wohl zum Endspurt noch "Zweitstimme ist Reul-Stimme" auf ihre Plakate kleben würde.
Der Vorsprung der CDU in NRW am Wahlabend ist so deutlich, dass es Wüst, Reul und Co nicht schwerfällt, daraus einen klaren Regierungsauftrag abzuleiten. Wüst holte ein besseres Ergebnis als Armin Laschet vor fünf Jahren, eine Bestätigung für die Regierungspolitik der CDU. Gegen ihn ein anderes Bündnis schmieden zu wollen, wird nicht gerade leicht zu vermitteln sein.
Die Grünen feiern ihr Super-Ergebnis – und werden zur entscheidenden Partei
Die zweite Gewinnerin an diesem Abend heißt Mona Neubaur, Spitzenkandidatin der Grünen. Sie beschert ihrer Partei nach ersten Hochrechnungen ein Traumergebnis von etwa 18 Prozent, das Beste in der Geschichte der Grünen in NRW, eine Verdreifachung im Vergleich zur Wahl 2017.
Dabei ist Neubaur in NRW auch nach ein paar Wochen Wahlkampf immer noch weitgehend unbekannt. Bei ihren Auftritten setzte sie auf prominente Unterstützung aus der Bundespolitik. Außenministerin Annalena Baerbock brachte die Erfolge der Grünen in der Regierung auf Marktplätze in NRW. Jetzt stärkt das Düsseldorfer Ergebnis auch die Ampel-Grünen in Berlin.
Neubaur und die Grünen entscheiden nun, wer Ministerpräsident wird. So einfach das klingt, so schwierig könnte es werden – oder sieht es zumindest aus. Neubaur hat im Vorfeld der Wahl immer betont, eine Zweier-Koalition zu bevorzugen. Eine Ampelregierung wäre demnach eher unwahrscheinlich, auch wenn es dafür eine Mehrheit gibt. Schwarz-Grün ist in jedem Fall möglich und nun die neue Wunschkoalition von Hendrik Wüst, der seit seinem Amtsantritt besonders gerne und ausführlich über die nachhaltige Transformation des Industrielandes NRW spricht. Auch Neubaur hätte keine größeren Probleme mit der CDU als Partner, sie gehört zum bürgerlichen Flügel der Grünen.
Wahrscheinlicher ist: Gestärkt von ihrem grandiosen Ergebnis ringen die Grünen der CDU einige Verhandlungserfolge ab, bevor sie Hendrik Wüst zum Ministerpräsidenten wählen. Und die Menschen in NRW werden fünf Jahre lang viel von "Ökologie und Ökonomie versöhnen" hören.
Die SPD fährt das schlechteste Ergebnis ein – und hofft dennoch
Man kann das kurz machen: Die SPD hat das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte in NRW eingefahren, weniger als 27 Prozent nach ersten Hochrechnungen. Sie landet weit hinter der CDU. Und Thomas Kutschaty, der Wüst-Herausforderer, kann daraus eigentlich kaum den Anspruch stellen, neuer Ministerpräsident von NRW zu werden. Eigentlich. Versuchen werden sie es dennoch. Das haben die Sozialdemokraten vorher schon angekündigt: Man müsse nicht die meisten Stimmen bekommen, um eine Regierung zu bilden, hatte Kutschaty vor der Wahl gesagt. Da sah es noch so aus, als würde es knapp werden. Wurde es aber nicht.
Sieben Jahre, von 2010 bis 2017, war Kutschaty als Justizminister Teil der rot-grünen Landesregierung von Hannelore Kraft. Er hat, wenn man so will, mehr Regierungserfahrung als Hendrik Wüst, der nur fünf Jahre vorzuweisen hat. Die Sache ist nur: Es half ihm nicht. Als sympathischer Kümmerer und Zuhörer inszenierte sich Kutschaty im Wahlkampf. Er absolvierte ähnliche viele Termine wie Wüst, wurde bekannter. Aber ihm fehlte die Präsenz eines Amtsinhabers.
Kutschaty gehört zum linken Flügel der SPD, er war nicht immer unbedingt ein Fan von Olaf Scholz. Im Wahlkampf aber versuchte er nun plötzlich mit der Nähe zum Kanzler zu punkten. Den könne er immer anrufen, sagte Kutschaty. Und das wirkte schon deshalb als Wahlargument wenig überzeugend, weil man Wüst als Vorsitzender der Ministerpräsidenten doch zuletzt so oft neben Scholz im Fernsehen gesehen hatte.
Kutschaty wird wohl versuchen, mit Grünen und Liberalen ins Gespräch zu kommen. Aber was soll dabei schon Substanzielles rumkommen, jetzt, wo das Gesamtergebnis in NRW die Ampel in Berlin noch weniger als ein erstrebenswertes Modell erscheinen lässt. Grün ist die Farbe der Erfolgreichen, mal wieder, wie schon in den vergangenen Wochen und Monaten der Ukraine – und Energiepolitik. Rot und Gelb fallen deutlich ab.
Die Liberalen werden abgestraft – das erhöht den Druck auf die Bundes-FDP
Für die FDP ist es ein besonders bitterer Abend. Die Liberalen haben fünf Jahre lang mit der CDU regiert. Sie haben ihre Freiheiten unter Armin Laschet genossen, wurden aber mit Wüst nicht wirklich warm. Der Neue will nach ihrem Geschmack zu viel selbst glänzen – mit dem "jönne könne", so erzählen sie es, hat es der Münsterländer offenbar nicht so. Im Rheinland hingegen, da wo Vize-Ministerpräsident Joachim Stamp von der FDP wohnt, ist das Staatsräson.
Das Wahlergebnis gibt nun Wüst recht. Er hat die FDP kannibalisiert und bürgerliche Wechselwähler für die CDU gewinnen können. Und die Liberalen können offenbar froh sein, dass sie es überhaupt so gerade wieder in den Landtag geschafft haben. Dabei galt die Regierung bei beiden Parteien als erfolgreiche Zusammenarbeit. Nur gelang es der Union äußerst gut, den Ideenreichtum der FDP als eigene Leistung zu verkaufen – und die wiederum hatte dem wenig entgegenzusetzen.
Man kann verschiedene Gründe für das schlechte Abschneiden finden – und fängt am besten in der Landespolitik an. Vor fünf Jahren kandidierte ein gewisser Christian Lindner als Spitzenkandidat in NRW. Der Erfolg der FDP mit 12,6 Prozent damals war vor allem ein Lindner-Erfolg. Stamp hat als Minister zwar durchaus Erfolge vorzuweisen, und man nimmt ihm ab, dass ihm vor allem die Migrationspolitik ein zutiefst persönliches Anliegen ist. Aber seine Auftritte kamen nicht an die Lindner-Kampagne von damals heran, die Wähler jenseits des klassisch-liberalen Milieus überzeugt hatte.
Doch trotz der besonderen landespolitischen Umstände, bleibt das Ergebnis nicht folgenlos für die Bundes-FDP in Berlin. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich die Fragen vorzustellen, die Christian Lindner nun erreichen. Ist das die erste Quittung der liberalen Stammwählerschaft für die Ampel? Für zu viele Tricksereien beim Bundeshaushalt?
Diese Fragen kann man stellen, aber sie sind nicht unbedingt fair. Denn bislang war der FDP häufig eher das Gegenteil vorgehalten worden: Dass sie in Zeitenwendezeiten noch zu viel der reinen liberalen Lehre vertritt, etwa bei der Schuldenbremse. Oder dass ihr Freiheitsverständnis die Coronapolitik der gesamten Bundesregierung bestimmt. Die Liberalen galten daher eher als Gewinner der Ampel. Auch die Umfragewerte sind stabil.
Viel spricht also dafür, die Gründe eher in der Landespolitik zu suchen. Aber so ist das eben, am Abend und im Nachgang dieser "kleinen Bundestagswahl": Was hier passiert, hat Folgen jenseits von Düsseldorf. Und Christian Lindner wird schnell Antworten finden müssen. Sonst ist es vorbei mit der Ruhe in der FDP.