Özdemir zum Unfragehoch der Grünen "Das kann alles sehr flüchtig sein"

Hochmut kommt vor dem Fall. Dieses Sprichwort kennt offenbar auch Cem Özdemir. Angesichts des anhaltenden Umfragehochs hat Grünen-Chef seine Partei zu Besonnenheit und Pragmatismus gemahnt.

Die Grünen bereiten sich angesichts ihres Höhenflugs in Umfragen auf mehr Regierungsverantwortung vor. Grünen-Chef Cem Özdemir rief seine Partei mit Blick auf die gestiegenen Wahlchancen zu Pragmatismus auf. In den anstehenden Wahlkämpfen müsse die Linie lauten: "Lieber weniger versprechen und das dann auch umsetzen", sagte Özdemir im Interview mit der Nachrichtenagentur dapd in Berlin. Alle Konzepte würden derzeit durchgerechnet. Bei einem Bundesparteitag in Freiburg wollen die Grünen am Wochenende an ihrem Programm weiterarbeiten und ihre Führungsspitze neu aufstellen.

Die Grünen stehen in Umfragen derzeit besonders gut da. Bundesweit erreichten sie zuletzt Zustimmungswerte von bis zu 24 Prozent, in Berlin und Baden-Württemberg sogar bis zu 30 und 32 Prozent. In beiden Ländern haben sie große Chancen, bei den anstehenden Landtagswahlen 2011 an die Macht zu kommen. Bislang regieren sie in Nordrhein-Westfalen, Bremen, Hamburg und im Saarland in verschiedenen Konstellationen mit. Auch die Mitgliederzahlen der Grünen gehen nach oben.

"Programm nicht abschleifen"

Özdemir mahnte, es wäre absurd, sich von den guten Umfragewerten verschrecken zu lassen. "Wir wollten immer, dass die Gesellschaft grüner wird. Das tut sie gerade", sagte er, "wie grün, das werden wir bei den Wahlen sehen. Und dafür müssen wir noch eine Menge tun." Wichtig sei zuzuhören, was die Menschen von der Partei erwarteten und das eigene Programm nicht abzuschleifen.

"Wir unterschätzen die Aufgabe nicht, die auf uns zukommt", sagte er. "Das hat auch viel mit Respekt und Demut zu tun." Vertrauen sei schnell zu verspielen. "Wir sind uns dieser Verantwortung bewusst", betonte er, "wir wissen, das ist wie hochprozentiger Schnaps - das kann alles sehr flüchtig sein."

Arbeit an inhaltlichen "Baustellen"

Die Grünen rechneten derzeit alle ihre Konzepte durch. "Wir wissen, dass sie noch stärker als in der Vergangenheit von den Gegnern unter die Lupe genommen werden. Und die Zahl unserer Gegner ist nicht geringer geworden", sagte Özdemir. Inhaltlich gebe es bei den Grünen noch "die eine oder andere Baustelle", räumte er ein. Daran arbeite die Partei jedoch.

Dazu soll auch das Delegiertentreffen am Wochenende in Freiburg dienen. Ab Freitagabend beraten die rund 730 Delegierten zunächst über die Energiepolitik. Am Samstag diskutieren sie unter anderem über die Kommunalfinanzen und den Nahen Osten, am Sonntag über die Gesundheitspolitik. Zur Sprache kommen außerdem das umstrittene Bauprojekt "Stuttgart 21" und das Thema Integration.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!

Am Samstag stehen außerdem etwa sechsstündige Wahlen an, um die Führungsgremien der Partei neu zu besetzen. Die bisherigen Parteichefs Özdemir und Claudia Roth stellen sich zur Wiederwahl. Gegenkandidaten gibt es nicht. Auch der restliche Bundesvorstand wird neu bestimmt, ebenso wie der sechszehnköpfige Parteirat der Grünen. Mehrfachkandidaturen liegen lediglich für die Beisitzerposten im Vorstand vor.

Die Bundesgeschäftsführerin der Grünen, Steffi Lemke, kündigte einen engagierten Arbeitsparteitag an. "Wir werden nicht zusammenkommen, um uns im Schein von irgendwelchen Umfragen zu sonnen", sagte sie. Die wachsende Zustimmung in Umfragen und bei Mitgliederzahlen sei vielmehr ein Ansporn für die Grünen, um die besten Lösungen zu ringen. "Das ist ein Auftrag", betonte sie.

Weiter Attacken von CDU

Die politischen Gegner beäugen den Höhenflug der Grünen argwöhnisch. Besonders scharfe Attacken kamen zuletzt von der CDU. Deren Parteichefin, Bundeskanzlerin Angela Merkel, hatte den Grünen eine permanente Dagegen-Haltung und Doppelmoral vorgeworfen. CDU-Vize Annette Schavan legte am Mittwoch nach und stichelte, beliebt seien die Grünen vor allem dort, wo sie nicht regierten. Sie seien in den vergangenen Jahren zu einer reinen "Verweigerungspartei" geworden.

Lemke entgegnete, den "Fehdehandschuh", den die CDU ihrer Partei hingeworfen habe, griffen die Grünen gerne auf. Dies sei jedoch "kein Kampf Schwarz gegen Grün", sondern "Gestern gegen Heute". Die CDU betreibe eine rückwärtsgewandte Politik, während sich die Grünen um die drängenden Fragen der Gegenwart und der Zukunft kümmerten.

APN
APN