Bravo, Angie, bravo! 94,83 Prozent der Delegierten auf den Parteitag in Stuttgart wählten sie zur Parteivorsitzenden - das Ergebnis ist noch einen Prozentpunkt besser als vor zwei Jahren in Dresden. Angela Merkel bekam einen großen Blumenstrauß, winkte den Kameras zu, und legte die Blumen schnell zur Seite. Mission completed. Nächster Tagesordnungspunkt, bitte.
Die Beobachter rieben sich verwundert die Augen. Moment mal: Hat sich die CDU nicht wochenlang über Merkels Wirtschaftskurs gestritten? Und hat Merkel nicht gerade eine völlig uninspirierte Rede gehalten? Hat sie die Partei nicht faktisch aufgefordert, ihr einen Blankoscheck für die Regierungsarbeit ausstellen? Ja, so war es. Der Applaus während ihrer Rede war matt. Als Generalsekretär Ronald Pofalla kurz danach auftrat, um den Leitantrag zu präsentieren und Merkels Position noch mal zu verdeutlichen, drohten die Delegierten wegzunicken.
Auf den ersten Blick war Merkel alles andere als der Darling dieses Parteitags. Der Eindruck verschärfte sich, als Friedrich Merz ans Pult trat und Merkel mal eben die Hausaufgaben diktierte. Zwingen Sie die Banken per Gesetz unter den Rettungsschirm! Fusionieren Sie die Landesbanken mit den Sparkassen! Quälen Sie die Industrie nicht mit dem CO2-Zertifikatehandel! Schaffen Sie die kalte Progression ab! Berufen Sie einen Wirtschaftsexperten der CDU! Jetzt! Merz bekam viel Beifall, er sprach dem Wirtschaftsflügel, den Merkel machtpolitisch an die Wand gedrückt hat, aus der Seele.
Doch Friedrich Merz ist ein Solist, ein letzter Aufrechter, der offen für seine Meinung kämpft. Weil er damit schon vor Jahren an Merkel gescheitert ist, wird er nicht mehr für den nächsten Bundestag kandidieren. Die wirklich wichtigen Player, vor allem die CDU-Ministerpräsidenten, hat Merkel schon vor dem Parteitag auf Linie gebracht. Egal, ob sie Jürgen Rüttgers, Günther Oettinger, Roland Koch oder Christian Wulff heißen - auf dem Parteitag gaben sie Merkel Rückendeckung. Auch weil sie wussten, dass es zum eigenen Schaden sein kann, sich gegen die Principessa zu profilieren. Auf dem Parteitag in Dresden 2006 waren sie dafür bei der Wahl zum stellvertretenden Parteivorsitz abgestraft worden.
Nun, bei der Wiederwahl in Stuttgart, wurden sie für ihren Opportunismus reichlich belohnt. Koch bekam 88,76 Prozent (plus 20 Prozent), Wulff 78,92 Prozent (plus 12 Prozent), Jürgen Rüttgers 77,51 Prozent (plus 20 Prozent). Nur Annette Schavan schnitt mit 73,95 Prozent etwas schlechter als vor zwei Jahren ab (minus 4,5 Prozent).
Sofort waberten Interpretationen durch den Raum, diese Ergebnisse seien als Votum gegen Merkel zu verstehen. Immerhin hat ihr alter Rivale Roland Koch, der seit Jahrzehnten auf Kanzler lernt, am besten abgeschnitten. Und ihre Vertraute Annette Schavan am schlechtesten. War dies ein Ventil, um die Unzufriedenheit mit Merkel auszudrücken, ohne sie direkt zu beschädigen? Möglich, aber nicht wahrscheinlich. Plausibler ist die Erklärung, dass die Delegierten Roland Koch mit einem satten Vertrauensvotum in den hessischen Wahlkampf schicken wollten. Und Schavan wegen des erfolglosen Bildungsgipfels einen auf die Mütze gaben.
Merkel jedenfalls kann mit diesem ersten Tag des Stuttgarter Treffens vollauf zufrieden sein. Die Partei hat wie gewünscht reagiert. Sie hat ihr ein blendendes Ergebnis beschert und einen völlig verwaschenen Leitantrag abgenickt, der nicht darauf angelegt ist, die Linien künftiger CDU-Politik zu definieren, sondern der Bundeskanzlerin Angela Merkel möglichst großen Handlungsspielraum zu belassen. Damit begibt sich die CDU in einen Zustand, den sie schon zu Zeiten Helmut Kohls angenommen hat - sie mutiert zum Kanzlerwahlverein.
Das mag der Kanzlerin Angela Merkel kurzfristig helfen. Der CDU jedoch wird es langfristig schaden. Denn wofür die Partei steht, ist seit heute noch weniger zu erkennen.