Was will Pegida? "Wir wollen, dass die Menschen ernst genommen werden"

Die Pegida-Bewegung wird in Deutschland größtenteils kritisch gesehen. Dabei fühlen sich die Demonstranten falsch verstanden. Eine Begegnung mit dem Kögida-Veranstalter Sebastian Nobile.

Um 19 Uhr dürfen sich die Kögida-Demonstranten freuen. Eine Stunde lang hatte das kleine Grüppchen von etwa 250 Abendland-Rettern auf dem Vorplatz des Deutzer Bahnhofs ausgeharrt. Eingekessselt in der Wagenburg aus Polizeiautos, die Stoßstange an Stoßstange stehen. Zu beiden Seiten bedrängt von Gegendemonstranten, die ihren Marsch über die Deutzer Brücke auf den verdunkelten Kölner Dom stoppen wollen.

Nun aber tritt Sebastian Nobile ans Mikrofon, ein bekannter Kölner Rechtspopulist. Neben ihm stehen Claus Cremer, der Landesvorsitzende der NPD und Markus Wiener, Ratsmitglied von pro Köln.

"Halt die Fresse, Lügenpresse"

Der untersetzte 35-jährige Nobile mit der schwarzen Kastenbrille, den langen schwarzen Koteletten und dem Kinnbart begrüßt seine Zuhörer mit dem Dresdensound "Wir sind das Volk", der bei den gidas dieses Landes zur Erkennungsmelodie geworden ist und ein glückliches Echo auslöst. Dann nimmt er sich Bundeskanzlerin Angela Merkel vor: "Wir können sie nicht zwingen über uns die Wahrheit zu sagen, aber wir können sie zwingen, immer dreister zu lügen."

Niemand sei hier rechtsextrem, "oder seht Ihr irgendwo Nazis? Ich sehe keine Glatzen, vielleicht den ein oder anderen, der Haarausfall hat." Applaus, "Schland"-Rufe, Nobiles Tremelo steigert sich, überschlägt sich fast, er lobt die Aufrechten, die hier stehen und trotz der "Lügen", die über sie in den mainstream-Medien verbreitet würden, "das Licht der Wahrheit" nach Köln gebracht hätten.

Einmal in Fahrt, vor allem, wenn es um Lügen und Medien geht, brüllt er das nächste Schlüsselwort ins Mikrofon der kleinen Beschallungsanlage vor dem weißen Lieferwagen mit polnischen Kennzeichen: "Lügenpresse". Jawoll! "Halt die Fresse, Lügenpresse", ertönt der Refrain aus der kleinen Kögida-Gemeinde, die ein eigenes Ordner-Kommando mit weißen Armbinden mitgebracht hat.

Unter den Kögida-Demonstranten sind viele Ältere, aber auch Mitzwanziger sowie schwarz gekleidete Vertreter des AFD-Kreisverbandes, die, wie der 28-jährige AFD-Jurist mit messerscharfen Seitenscheitel, der seinen Namen nicht nennen will, "grundsätzlich Sympathie" für Pegida hätten.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!

"Polizei ist nicht in der Lage, für Sicherheit zu sorgen"

Die Menschen hören Nobile zu, dessen Stimme zwar überdreht ist, aus der viele aber offensichtlich Freude und Begeisterung heraushören. Wofür, wird nicht klar. Eindeutig ist, dass der ehemals führende Kopf der rechtsextremen "German Defence League" nun als Lokal-Tribun einer neuen Volksbewegung ein neues Betätigungsfeld gefunden zu haben scheint.

Nach politischen Inhalten, stringenter Argumentation, Benennung von Missständen und Lösungsmöglichkeiten sucht man vergebens. Bei ihm ebenso wie bei der Mitorganisatorin Melanie Dittmer, einer NRW-bekannten Neonazi-Aktivistin. Andreas spricht am Mikrofon von der Kögida als "Graswurzelbewegung" und davon, dass man "ernst genommen" werden will. Die Redner klatschen sich ab, freuen sich, dass sie ein Publikum gefunden haben, das sie puschen können.

Erschreckend ist trotz des scheinbar machtlosen Häufleins, das man sich in der Domstadt unter dem Namen Kögida versammelt hat, dass Nobile und Co. ihnen alles erzählen könnten. Der aufgekratzten Melodie der Hauptredner steht eine dumpfe Tonlage der Zuhörer gegenüber, die, so scheint es, auch beim Wort "Currywurst" den Slogan "Wir sind das Volk" skandieren würden.

Das fröhliche Fahnenschwenken aus dem letzten Fußballjahrzehnt steht jetzt plötzlich in einem schlechten Licht. Rentner, Jugendliche Sozialpädagogen, AFD-Aktivisten, Kindergärtnerinnen, Lehrer, sie könnten genauso gut auf der anderen Seite stehen. Nun würden sie aber mit ihren Fahnen gerne ihren Volkstribunen folgen, vor allem zum dunklen Dom. Als Nobile den Marsch auf Anraten der Polizei, die mit einem Großaufgebot von 1.500 Beamten nach Köln gekommen ist, absagt, ist Wut und Enttäuschung zu spüren. Der 73-jährige Wilfried ist sauer und "enttäuscht, dass die Polizei nicht in der Lage ist, für Sicherheit zu sorgen."

"Die Leute sollen die Wahrheit erfahren"

Dafür bleibt Gelegenheit zum Versuch eines Interviews mit Sebastian Nobile:

stern: Herr Nobile, um was geht es Ihnen heute Abend?

Nobile: Das ist doch klar, das habe ich doch jetzt eine Stunde gesagt.

stern: Bringen Sie es doch bitte für unsere Leser nochmal auf den Punkt.

Nobile (kurze Pause, verlegenes Lächeln): Wir wollen, dass die Menschen ernst genommen werden.

stern: In welcher Hinsicht? Nobile: Ich weiß ja gar nicht, wer Sie sind und was Sie schreiben wollen.

stern: Ich arbeite für den stern und berichte über diese Veranstaltung.

Nobile: Aha, wir wollen, dass die Leute die Wahrheit erfahren und nicht dass, was sie in der veröffentlichten Meinung hören. Wir haben in diesem Land viel für die Menschen getan.

stern: Sie haben die Bezeichnung "Lügenpresse" gebraucht. Wo und wann wurde denn falsch berichtet?

Nobile: Als es damals um Libyen ging zum Beispiel.

stern: Ich meinte, was die aktuelle Berichterstattung über Pegida betrifft.

Interview endet abrupt

In diesem Moment kommt eine Frau, etwa Ende 50, auf Nobile zu: "Das ist doch eine Sauerei, dass wir nicht laufen dürfen. Ich war schon bei HoGeSa dabei, das kann ich nicht verstehen, das ist das letzte."

Bevor Nobile antworten kann, nimmt mich dessen Kumpel Andreas zur Seite: "Das ist jetzt wieder ein typischer Fall, der uns in ein schlechtes Licht bringt. Wir können ja mal einen Café trinken, wenn du mir deine Karte gibst, rufe ich dich an." Leider habe ich keine dabei.

Sebastian Nobile ist im Pulk seiner Kameraden verschwunden. Das Interview erfährt an dieser Stelle ein abruptes Ende, vielleicht ergibt sich ja kommende Woche in Düsseldorf eine neue Gelegenheit.

Frank Gerstenberg