Lange ist Wolfram Prieß auf der Party nicht geblieben. Jenem rauschenden Fest im Kreuzberger Club "Ritter Butzke", auf dem die Berliner Piratenpartei ihr Wahlergebnis feierte. Tosender Jubel brach aus bei der ersten Hochrechnung, am Schluss waren es fast neun Prozent für die Netzpartei, deren zumeist junge Anhänger es krachen ließen bis spät in die Nacht. "Für mich war schon um ein Uhr Schluss", erzählt Prieß, "denn wir hatten am Montag ja eine Menge zu erledigen." So viel Enthaltsamkeit ist lobenswert, zumal für einen künftigen Volksvertreter: Denn Prieß ist einer derjenigen, die bald für die Piratenpartei in das Berliner Abgeordnetenhaus einziehen werden.
Rechnen konnte der 44-Jährige aus Berlin-Mitte damit nicht. Er war lediglich die Nummer 15 auf der Landesliste der Piraten, der letzte Platz. "Letzte Woche hatte ich schon mal mit Hoffen angefangen, als uns die Prognosen bei neun Prozent sahen", sagt Pries. "Aber Vorhersagen sind nun mal keine Ergebnisse." Als reiner Auffüllkandidat für die Parteiliste hat er sich von Anfang an nicht gesehen: "Ich bin angetreten, weil ich gewählt werden wollte – und jetzt werde ich auch als Abgeordneter Politik machen."
"Arbeit gesucht, Arbeit gefunden"
Beruflich kommt ihm die Wahl sehr gelegen, daraus macht der Diplom-Physiker keinen Hehl: "Arbeit gesucht, Arbeit gefunden", kommentiert er seinen Erfolg trocken. Schließlich war der gebürtige Berliner, der viele Jahre in Thüringen lebte und als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität in Jena arbeitete, zuletzt mal wieder ohne Job. Mit "prekären Arbeitsverhältnissen im sozialpädagogischen Bereich" habe er sich in den letzen Jahren herumgeschlagen, im Juni hatte er seinen letzten Tag bei einem Theaterprojekt. Das erwies sich im Nachhinein als Glücksfall: Nun konnte Prieß sich stärker in Parteiarbeit und Wahlkampf einbringen.
Mit Politik hatte der künftige Abgeordnete früher nicht viel am Hut. "Ich hatte durchaus Sympathien für die Linke und die Grünen und habe beide auch mal gewählt", erzählt er. Aber so richtig überzeugte ihn keine Partei. Er engagierte sich mal bei einer Bürgerinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Doch so richtig wohl fühlt Prieß sich erst bei den Piraten.
Die Netzpartei hat er zum ersten Mal 2009 auf dem Wahlzettel für die Europawahl entdeckt. "Mein Kreuz habe ich woanders gemacht, aber nachdem ich geschaut hatte, was die Piraten eigentlich machen, bin ich schnell Mitglied geworden." Damals war der Kampf der Netzbürger gegen Vorratsdatenspeicherung und vor allem die Netzsperren der damaligen Familienministerin Ursula von der Leyen voll entbrannt. Für viele "Netzbürger" ein Erweckungserlebnis. Inzwischen hat "Zensursula" das Ministerium gewechselt, und von Netzsperren spricht keiner mehr. Doch die Piraten sind immer noch da – und schicken nun erstmals ihre Vertreter in ein deutsches Länderparlament.
Alles andere als arbeitslos
Im Internet ist Prieß seit Mitte der 90er Jahre unterwegs, aber als ein "typischer Pirat" mit MacBook und Nickelbrille, geht der gebürtige Berliner sicher nicht durch. Mit seinen 44 Jahren ist er zu alt für einen "Digital Native", und Sätze anderer Piraten, die sich von der Politik in ihrem "angestammten Lebensraum, dem Netz, angegriffen fühlen", kämen ihm nicht so schnell über die Lippen. Sein Thema im Wahlkampf war Stadtentwicklung, Prieß machte sich auch Gedanken über die Bezirksuntergliederung in der Hauptstadt.
Noch ist nicht raus, womit genau er sich künftig im Parlament befassen wird. Bis zur konstituierenden Sitzung, voraussichtlich Ende Oktober, geht es für ihn und die andern Piraten darum, die Aufgaben in den Ausschüssen zu verteilen und sich mit parlamentarischen Gepflogenheiten vertraut zu machen. Mit den vielen Presse- und Gesprächsterminen hat der Eben-noch-Arbeitslose einen kleinen Vorgeschmack auf seine künftige Tätigkeit bekommen. Zunächst aber gilt es, ganz handfeste Parteiarbeit zu verrichten: Denn selbstverständlich muss bei den Piraten auch ein Abgeordneter in spe mitanpacken, wenn es darum geht, die Plakate aus dem Wahlkampf wieder abzuhängen.