Presseschau "Mr. Bush, ziehen Sie wieder ab"

Trotz gegenteiler Beteuerungen seitens des Pentagons, gestaltet sich der Vormarsch der US-Truppen auf Bagdad schwieriger als erhofft. Der Krieg entwickelt sich unterdessen immer mehr zur Schlacht um die Wahrheit.

«Berliner Kurier» zu Irak

Der Plan eines «sauberen» und schnellen Krieges - erdacht im Pentagon in Washington - ist gescheitert. Es gibt keine «sauberen» Bomben, keinen schnellen Sieg. Die Iraker jubeln nicht, sie schießen. Die Weltbörsen haben als erste reagiert. Sie stürzten gestern mächtig ab. Kapital ist wie ein scheues Reh, es wittert die Gefahren lange bevor andere überhaupt daran denken. Die Gefahr heißt: Niederlage. US-Präsident Bush wittert derzeit nichts. Und seine Militärs tun das, was sie immer tun: Mehr Truppen, mehr Gewalt, mehr Bomben ins Land bringen. Sie werden in einigen Tagen den ganzen Irak besetzt haben, vor Bagdad aber stehen bleiben. Und dann fragt sich die ganze Welt: Was nun, Herr Bush? Wie wird Bagdad in die Knie gezwungen werden können? Durch eine Belagerung mit Hunger und Gewalt? Oder mit einem Blutbad? Dieser Krieg war von Anfang an sinnlos. Mr. Bush, zeigen Sie Mut zur Wahrheit, ziehen Sie wieder ab.

«Der Tagesspiegel» (Berlin)

Vergessen sind all die wohlklingenden Begriffe wie Präzisionswaffen, Schock und Ehrfurcht, Befreiung, Demokratisierung. Stattdessen sind unschuldige Opfer zu sehen, Tragödien durch «friendly fire», Kriegsgefangene, Tote, Verletzte, weinende Kinder. Die US-Militärführung jedoch gibt sich gelassen. Nach knapp einer Woche stehen die amerikanisch-britischen Truppen vor Bagdad. Es gab bislang keinen Einsatz von biologischen oder chemischen Waffen, keine Flüchtlingswelle, keine humanitäre Katastrophe. Die Zahl der angezündeten Ölfelder ist minimal, weder wurden Brücken gesprengt, noch Dämme eingerissen und weite Gegenden überflutet. Aus Sicht des Pentagons ist das keine schlechte Bilanz. Dennoch ist vielen Amerikanern mulmig zumute. Das liegt auch daran, dass zu rosige Hoffnungen geweckt worden waren. Demokratien sind im Kriegsfall nicht sehr belastungsfähig. Das macht sie ungeduldig. Warum dauert das so lange? Müssen wirklich so viele Raketen abgeschossen werden? Je medialer ein Krieg, desto unruhiger die Bevölkerung. Dieser Irak- Krieg ist der medialste, den es je gab. Das macht ihn riskant, weil in hohen Maße stimmungsanfällig.

«Frankfurter Rundschau»

Die Grenzen zwischen unangemessener «öffentlicher Neugier» und notwendigem öffentlichen Interesse mögen fließend sein, sie je im Einzelfall zu ziehen, stehen die Medien in der Pflicht. Wie es ihre Aufgabe ist, die Dimensionen in ihre Größenordnung zu rücken. Die öffentliche Aufzeichnung eines Gefangenenverhörs mag Anstoß erregen als eine widerwärtige Inszenierung, die den einzelnen Soldaten seiner persönlichen Würde beraubt. Aber es ist doch der Krieg selbst, der die Einzigartigkeit und Unverletzlichkeit der Menschen angreift. Nicht erst die Bilder vom Krieg.

«Süddeutsche Zeitung» (München)

Die Macht der Bilder könnte für diesen Kreuzzug des Weißen Hauses gegen den Tyrannen von Bagdad gefährlicher werden als die Republikanischen Garden im Häusermeer der irakischen Hauptstadt. Die Planer des Krieges haben, als sie ihre Nation darauf einstimmten, eine gefährliche Illusion geweckt. Es war die Illusion, wie in den drei vergangenen Kriegen seit 1990 ließe sich selbstverständlich ein weiterer Sieg ohne größere Opfer unter den eigenen Soldaten und der Zivilbevölkerung des Gegners erringen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

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«Westfälischer Anzeiger» (Hamm)

Die Bilder von gefangenen US-Soldaten, wie sie um die Welt gingen, sind in ihrer Wirkung bedenklich: weil der Zuschauer beim Blick in die verängstigten Gesichter schnell vergisst, dass es diesen Menschen noch vergleichsweise gut geht. Im Gegensatz zu den vielen armen Kerlen, die gleichzeitig im Wüstensand krepieren. Auf beiden Seiten übrigens. Aber um irakische Opfer kümmert sich das westliche Fernsehen ohnehin eher selten obwohl doch jeder weiß, dass die strikte Unterscheidung zwischen guten Soldaten und bösen Soldaten auch in diesem Krieg nicht funktioniert. Den wirklichen Krieg bekommen wir Zuschauer nicht zu sehen. Wir müssen es nicht beklagen. Wir müssen es uns aber immer wieder bewusst machen.

«Rhein-Neckar-Zeitung» (Heidelberg)

Der gezielte Enthauptungsschlag gegen das Terror-Regime in Bagdad, ist fehlgeschlagen. Der Diktator, die einzige Identifikationsfigur in der Krise, bleibt medial präsent. Und so lange das so ist, erübrigt sich auch die Spekulation, ein führerloses Land würde sich praktisch von selbst ergeben. Die Angreifer müssen sogar den Plan aufgeben, die punktuell gut verteidigten Städte bis nach Bagdad zu erobern. Dafür ist ihre Expeditionsarmee viel zu klein. Die «Befreiung» des Irak, sprich: die Bereitschaft zum Regimewechsel von innen heraus kann in einer so lückenlos überwachten Diktatur überhaupt nur mobilisiert werden, wenn die zahlreichen Regimegegner vollkommen sicher sein können, dass Saddam mitsamt seine Clique stürzen wird. Das weiß auch der Diktator, der deshalb den Zermürbungskampf um Bagdad, den die Amerikaner kaum durchhalten können, als Ausweg einkalkuliert.

«Bild-Zeitung» (Hamburg)

Im Krieg wird nicht mit Geld gerechnet. Im Krieg zählt nur der Sieg. Danach jedoch wirds bitter. Je länger sich ein Krieg hinzieht, desto bitterer. Ersatz von Kriegsgerät, Wiederaufbau des Irak. Dafür werden 200 Milliarden kaum reichen. Jeder Tag der Waffen bedeutet Unsicherheit, noch mehr verlorene Umsätze, Steuerausfälle, höhere Defizite, noch mehr Geld für noch mehr Arbeitslose. Nicht nur die Armen und Schwachen geraten in die gnadenlose Maschinerie von schwindenden Geldern und Hilfen. Die Aktienmärkte brachen gestern durch den Boden. Tagesverlust: mindestens 10 Milliarden Euro weltweit. Öl wird auch schon wieder teurer. Fachleute sehen eine Verdoppelung des Rohölpreises erst noch kommen. Nach diesem Krieg könnte eine Wirtschaftskrise herankriechen, wie es sie noch nie gegeben hat. Was kosten die vielen, vielen Toten, Verwundeten, Verstümmelten? Das kann Gott allein bewerten.