Beim Wort genommen "Massenentlassungen bei gleichzeitig hohen Gewinnen werden genehmigungspflichtig." (100-Punkte-Programm der Linkspartei)
Die Sicht der Linken
Dass es Unternehmen gibt, die Gewinne erwirtschaften und trotzdem massenhaft Leute entlassen, um künftig noch mehr Geld zu verdienen, macht
Werner Dreibus
, stellvertretender Vorsitzender und gewerkschaftspolitischer Sprecher der Linkspartei, zornig. Im Gespräch mit stern.de sagt er: "Massenentlassungen trotz hoher Renditen haben verheerende Folgen für die Betroffenen. Sie müssen nicht nur den Verlust ihres Arbeitsplatzes hinnehmen, sondern auch die Zerstörung ihrer sozialen Beziehungen sowie die Entwertung ihres erworbenen Wissens. Belegschaften stehen dem relativ machtlos gegenüber. Aus diesem Grund will die Linkspartei den Kündigungsschutz stärken und die Unternehmensmitbestimmung ausbauen. Im Kündigungsschutzgesetz sollen Kündigungen trotz anhaltender positiver Ertragssituation, die offensichtlich lediglich der weiteren Gewinn- und Renditesteigerung dienen, als rechtsmissbräuchlich eingestuft werden. Im Aktiengesetz wollen wir die Mitbestimmung des Aufsichtsrats und damit auch der Arbeitnehmervertreter stärken. Bei tiefgreifenden Veränderungen im Unternehmen, also auch bei Massenentlassungen, muss die Zustimmung des Aufsichtsrats erforderlich sein."
Holger Schäfer
Institut der deutschen Wirtschaft, Köln
"Der technische Fortschritt bewirkt, dass manche Qualifikationen weniger gebraucht werden als früher. Dies ist eine vollkommen normale Begleiterscheinung des Strukturwandels, die schon die schlesischen Weber im 19. Jahrhundert schmerzlich erfahren mussten. Den Betroffenen ist aber nicht damit geholfen, wenn ein allmächtiger Staat ihre Arbeitsplätze per Gesetz zementiert. Dies wäre mit der Marktwirtschaft generell unvereinbar und würde in die staatliche Zwangswirtschaft führen - mit den bekannten wirtschaftlichen Folgen. Gäbe es ein solches Gesetz, würden auf den ICE-Zügen immer noch Heizer mitfahren, solange nur die Eisenbahngesellschaft einen Gewinn macht. Erforderlich ist vielmehr ein flexibler Arbeitsmarkt, in dem Menschen, deren Kenntnisse durch den Fortschritt entwertet wurden, schnell einen neuen Arbeitsplatz finden können."
Gustav Horn
Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung in der Hans-Böckler-Stiftung
"Populismus pur. Abgesehen von der unscharfen Begrifflichkeit, 'Massenentlassung' und 'hohe Gewinne', die Schlupflöcher provoziert, wird hier unterstellt, der Staat könne einzelwirtschaftlichen Entscheidungen regulieren - auch wenn sie moralisch noch so fragwürdig sind. Eine völlige Illusion. Welche Beschäftigungskontrollbehörde wäre hierzu in der Lage? Was ist zum Beispiel, wenn die Entlassungen dann nicht im Inland, sondern im Ausland stattfänden? Nennt man dies internationale Solidarität?"
Thomas Keller
Fachanwalt für Arbeitsrecht, München
"Das Kündigungsschutzgesetz sieht derzeit eine reine Anzeigepflicht für Massenentlassungen vor. Kaum vorzustellen, dass bei oftmals eiligen Restrukturierungen und Massenentlassungen eine weitreichende inhaltliche Prüfung durchaus komplexer Sachverhalte erfolgen soll. Was bedeutet schließlich 'die offensichtlich lediglich der weiteren Gewinn- und Renditesteigerung dienen'? Soll ein Sachbearbeiter bei der Bundesagentur dies beurteilen können? Was ist, wenn in einem Konzern an einer Stelle Gewinne, an anderer Verluste entstehen? Es dürfte zudem kaum mit dem Grundgesetz zu vereinbaren sein, einem Unternehmer zu untersagen, seinen möglicherweise Gewinn bringenden Betrieb schlicht einzustellen. Auch europäisches Recht würde es nicht zulassen, die Niederlassungsfreiheit in dieser Weise zu beschränken. Im Ergebnis ist es obendrein zweifelhaft, ob der Schutz der Arbeitnehmer gewährleistet ist, wenn ein Unternehmen bei versagter Zustimmung in das Insolvenzverfahren gezwungen wird."
Schlechte Realisierungschancen
Ohne das System der freien Marktwirtschaft aufzugeben, bleibt der Politik nicht viel anderes übrig, als an das soziale Gewissen der Unternehmer und Manager zu appellieren.
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