Beginnen wir philosophisch, weil das alles schon tiefe Einblicke in die menschliche Seele gewährt, was sich da heute in München zutrug. Es gibt also, philosophisch betrachtet, Menschen, die geraten plötzlich ins Scheinwerferlicht. Sie erscheinen auf der ganz großen Bühne. Frisch. Unverbraucht. Das Publikum giert nach ihnen, weil sie etwas Unbekanntes zeigen. Es lechzt nach den neuen Helden. Von der Begeisterung aufgeputscht wachsen die über sich hinaus, getragen vom euphorischen Geklatsche der Massen. Man will nur noch sie sehen, hören, begaffen. Die alten Helden, sie werden gefeuert oder in den Hintergrund gedrängt. Erst nach einer Weile, nach der dritten, der vierten, der vierzigsten oder der vierhundertsten Aufführung der neuen Helden zeigt sich, was sie wirklich können, ob ihr Können, ihr Glamour, Farce ist oder echte Fähigkeit.
Eine Tragödie im Bierkeller
An diesem Mittwochmittag ist Gabriele Pauli wohl zum 500. Mal aufgetreten, zum 500. Mal seit ihrem kometenhaften Aufstieg im Winter des vergangenen Jahres. Gut eine Woche ist es noch hin, dann verabschiedet der CSU-Parteitag in München den alten Chef Edmund Stoiber und kürt dessen Nachfolger: Erwin Huber, Horst Seehofer, oder eben Pauli. Und weil jeder Kandidat vorab sagen muss, wie er oder sie sich die Zukunft der CSU vorstellt, hat Pauli diesen Termin im Münchner Löwenbräukeller anberaumt, um ihr Programm vorzustellen, ihre Partei der Zukunft auszumalen. Lauschte man den Worten der einstmaligen Heldin, konnte man sich des Gefühls nicht erwehren, dass hier eine Heldenfigur in der Pose erstarrt ist, in der Pose, die ihr einst das Jubelgeschrei eingebracht hat, in der Pose, die jetzt, fast ein Jahr danach, als Farce erscheinen muss. Es ist fast eine Tragödie.
Die CSU und Mandela
Pauli, ganz in Weiß, mit einer großgliedrigen Goldkette, inszenierte sich an diesem Mittwoch zunächst wieder als Frau der Bürger. Sie wetterte gegen Politiker, die das Volk vergäßen, sich von den Bürgern durch eine unverständliche Sprache abgrenzten, und die so die Politikverdrossenheit der Wähler beflügelten. "Das Verständnis von Politik müsste sich nicht nur in der CSU, sondern generell ändern", sagte Pauli - und verwies auf ihr "Programm", das sie, so sagte sie, selbst geschrieben habe. Zunächst versuchte sie etwas nebulös, ihr Menschenbild zu skizzieren, ihre Vorstellung von den Fähigkeiten, die jeder Mensch habe, die er sich aber nur trauen müsse, voll zur Entfaltung zu bringen. Erst, so die Paulinische Philosophie, müssten sich Menschen selbst schätzen, dann könnten sie auch Verantwortung übernehmen. In diesem Zusammenhang bediente sich Pauli sogar eines Zitats von Nelson Mandela, bislang auch kein steter Kronzeuge des bayerisch-christlichen Selbstverständnisses der CSU.
Landrätin lehnt Betreuungsgeld ab
Richtig faszinierend wurde Paulis philosophisch-programmatischer Exkurs aber erst, als sie sich an das derzeit wohl heißeste Thema bei konservativen Selbstbetrachtungs-Übungen heranwagte: Die Familienpolitik. Familie sei für sie, so Pauli, grundsätzlich immer dort, wo Kinder aufwüchsen, nicht nur dort, wo es eine Ehe mit Kindern gebe. Da unterscheide sie sich von dem bisherigen Selbstverständnis der CSU. Das Betreuungsgeld, und das war Hammer Nummer eins im Paulinischen Programm, lehne sie ab. Es sei nicht klar, ob es, pauschal gezahlt, den Zweck erfülle, jungen Familien, die ihre Kinder zu Hause erziehen wollten, tatsächlich zu helfen.
Angesichts der Tatsache, dass das Betreuungsgeld derzeit wohl als das einzige Projekt gilt, mit dem die gegenwärtige CSU-Spitze versucht, gegenüber der Schwesterpartei und deren Familien-Queen Ursula von der Leyen zu Punkten, war das schon ein recht kühner Vorstoß für eine Frau, die gerne Stoiber-Nachfolgerin werden möchte. Auch das Ehegattensplitting lehne sie auf dieser Basis ab, sagte Pauli. Sie wolle es umwandeln in ein Familiensplitting.
"Die Ehe dokumentiert die Liebe zwischen zwei Menschen"
Noch gewagter allerdings war Paulis zweiter Vorstoß, denn er stieß in das Herz des bisherigen konservativ-christlichen Selbstverständnisses: "Für mich ist eine Ehe nicht dazu da, Sicherheit zu bieten, sondern die Liebe zwischen zwei Menschen zu dokumentieren", sagte Pauli, selbst geschieden. Und weil ihrer Meinung offenbar nichts im Leben sicher ist, zumal nicht die Liebe, schlug sie vor, Ehen grundsätzlich zu befristen. "Ehen sollen nach sieben Jahren auslaufen", sagte Pauli - natürlich mit der Möglichkeit, sie verlängern zu können. Danach könnten die Partner zu einer Verlängerung um einen bestimmten Zeitraum aktiv Ja sagen, schlug sie vor. "Es kann also auch lebenslange Ehen geben." Durch Ehen auf Zeit könnten Scheidungskosten gespart werden.
Spätestens mit dieser Idee dürfte sich Pauli im CSU-Universum in ein ewiges Nirwana geschossen haben, denn selbst die liberalste CSU-Klientel dürfte sich mit dem Konzept der Ehe mit siebenjähriger Befristung kaum anfreunden dürfen. Jenseits der biblisch-bedeutungsschwangeren Zahl sieben, die sich Pauli ausgesucht hat - schließlich gibt es sieben Todsünden, sieben fette und dürre Jahre, dürfte sie, im Gegenteil, bei der katholischen Klientel einen gellenden Aufschrei der Empörung erzeugen.
Provokation um der Provokation Willen
Aber einerlei. Schon vor dem Parteitag, der nächste Woche in München über die Stoiber-Nachfolge entscheidet, gilt Pauli als chancenlos in Sachen CSU-Vorsitz. Die Frage ist lediglich, welchen Aufruhr der Auftritt der gefallenen Rebellin erzeugen wird im Rahmen der leicht geheuchelten Servus-Edmund-Show. Beim Politischen Aschermittwoch in der Frühphase dieses Jahres war Pauli gnadenlos ausgepfiffen worden von der anwesenden CSU-Anhängerschaft. Sie hatte Mut bewiesen, hatte sich dem wütenden Geschrei gestellt. Diesmal könnte es noch lauter werden, auch wenn noch offen ist, ob das wütende Geschrei nicht in hysterisches Hohngelächter übergehen wird. Das hängt davon ab, ob Pauli den Mut haben wird, auch auf dem Parteitag die Befristung der Ehe zu fordern.
Einiges deutet darauf hin, dass es so kommen wird. Es scheint als provoziere die einstige Heldin nur noch um der Provokation Willen, in der vagen Hoffnung, die Emotionen noch einmal hochzupeitschen, als grelle Kulisse einer immer grelleren Farce.