Es war ein Tag, der aussah, als könnte er die Republik verändern: Bei der bayerischen Landtagswahl am 28. September 2008 holten Hubert Aiwanger und seine Freien Wähler sensationelle 10,2 Prozent. Plötzlich hatte die CSU, an die Alleinherrschaft gewohnt, Konkurrenz im bürgerlich-konservativen Lager. Meinungsforscher sahen eine "Volkspartei von unten" entstehen, eine neue Kraft, ausgestattet mit höchster Glaubwürdigkeit dank jahrelangem Engagement in den Kommunen.
Und dann? Immer wieder Negativ-Schlagzeilen. Gabriele Pauli, Femme Fatale Edmund Stoibers, heuerte an, warf hin und gründete eine eigene Partei. Mit den Gesinnungsgenossen in Baden-Württemberg stritten sich die Bundesvereinigung vor Gericht um die Namensrechte an den "Freien Wählern".* Und nun das: Die Führungsspitze beharkt sich wechselseitig wegen einer unbezahlten Rechnung. Von Intrigen ist die Rede, von Parteiausschluss und Verleumdung.
Klage und Anzeige
Doch der Reihe nach. 2009 beauftragt der Bundesverband der Freien Wähler (FW) die Medienagentur "Konzept" im bayerischen Faulbach, eine neue Homepage inklusive eines eigenen sozialen Netzwerks zu entwickeln. Das Ergebnis überzeugte die Führungsspitze nicht: Zu hoch der Preis, zu mies die Qualität, hieß es, die Rechnung blieb unbezahlt. Also trafen sich Konzept und Freie Wähler vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth wieder.
Das Urteil vom 26. Oktober 2010: Sieg für Konzept, inklusive des Rechts auf sofortige Zwangsvollstreckung von knapp 56.000 Euro plus Zinsen. Zwar gingen die Freien Wähler in die nächste gerichtliche Instanz, aber das setzt nicht die Vollstreckung aus. Das Problem für die Kläger: Auf dem Parteikonto befanden sich plötzlich nur noch etwa 270 Euro. Also erstattete die Konzept-Anwältin Anja Kleinschmidt Ende März 2011 Anzeige wegen "Vereitelung der Zwangsvollstreckung". Das ist kein Kavaliersdelikt, bei einem Schuldspruch muss der Beklagte mit bis zu zwei Jahren Haft rechnen.
Von stern.de mit den Vorwürfen konfrontiert, sagt Bundesgeschäftsführerin Cordula Breitenfellner, die auch Bundesschatzmeisterin ist, sie habe nichts Unrechtes getan, sondern nur ein neues Konto eröffnet und die strittige Summe dorthin überwiesen. Ausgezahlt habe sie das Geld noch nicht. Weil "Konzept" erstmal selbst 120 Prozent der Forderung hinterlegen müsse - für den Fall, dass die Agentur die Berufung verliere. Konzept selbst wollte keine Stellungnahme abgeben.
Politische Intrige?
Im Übrigen, so sagt Breitenfellner, sei da eine "politische Intrige" im Gange, darauf angelegt, die Freien Wähler zu "diskreditieren und demontieren". Auch der Parteivorsitzende Aiwanger vermutet hinter der Anzeige eine "politische Dimension", um die Freien Wähler zu beschädigen. "Es ist frappierend, was da für Schweinereien laufen", sagt Aiwanger zu stern.de. Die Anzeige, da ist er sich sicher, werde letztlich zeigen, welche Intrigen die Union aus Angst vor den Freien Wählern spinne.
Das Indiz, das Breitenfellner und Aiwanger nennen: Konzept-Anwältin Anja Kleinschmidt arbeitet in der Kanzlei von Wolfgang Reinhart. Der Jurist ist CDU-Parteimitglied und war zu Zeiten von Stefan Mappus Bevollmächtigter des Landes Baden-Württemberg beim Bund. Von stern.de dazu befragt, sagte Reinhart, er wisse gar nichts von einem Verfahren gegen die Freien Wähler. Kleinschmidt selbst will sich nicht äußern. Ob und wer hier wen vor den Karren spannt - es ist nicht eindeutig zu eruieren.
Breitenfellner versus Gläsker
Doch Breitenfellner und Aiwanger gehen noch weiter. Sie verdächtigen auch ihren Parteifreund Eckard Gläsker, ehemaliger Bundesrechtsreferent und Vorstand der Freien Wähler, an der Intrige beteiligt zu sein. In einem Schreiben von Breitenfellners Anwalt, das stern.de vorliegt, heißt es: "Auch der Rechtsreferent (…) scheint in dem Umfeld der unberechtigten Anzeigeerstattung eine mögliche Rolle zu spielen." Breitenfellner erläutert stern.de am Telefon, Gläsker habe die Partei in Sachen Konzept schlecht beraten. Er solle nun aus der Partei ausgeschlossen werden. Aiwanger bezeichnet Gläsker gar als einen "offensichtlichen Maulwurf", der die Freien Wähler beschädigen wolle. Gläsker selbst bestreitet die Vorwürfe, zur Wahl des neuen FW-Vorstands Ende Mai trat er allerdings nicht mehr an - aus beruflichen Gründen, wie er beteuert. Die Wahl sei allerdings sowieso ungültig, so Gläsker zu stern.de, der Landesverband Sachsen-Anhalt wolle dagegen vorgehe.
Zuvor, nämlich Ende April, hatte Gläsker versucht, Breitenfellner auszustechen. In einem internen Schreiben, dass stern.de vorliegt, fordert er die sofortige Suspendierung Breitenfellners von ihren Parteiämtern, "um Schaden von der Bundesvereinigung " abzuwenden. Die Parteiführung schmetterte den Antrag ab.
Schlechte Umfrage-Ergebnisse
Die Querelen kommen zu einem ungünstigen Zeitpunkt, denn die Partei soll sich nach dem Willen ihres Vorsitzenden Hubert Aiwangers auf die Frage vorbereiten, ob sie bei der Bundestagswahl 2013 antreten will. Noch in diesem Jahr soll darüber entschieden werden.
Doch der Vorstoß ist umstritten: Viele Mitglieder sträuben sich, weil sie glauben, die Freien Wähler würden dann ihre kommunale Identität verlieren und zur Allerweltspartei verkommen. Große Chancen werden den Freien Wählern ohnehin nicht eingeräumt. Selbst der Wiedereinzug in den bayerischen Landtag ist fraglich. Derzeit liegen die Freien Wähler in den Umfragen nur noch bei sieben Prozent, Anfang des Jahres waren es schon einmal vier Prozent.
* In der ursprünglichen Version dieses Textes hieß es, die Bayern hätten sich mit den Baden-Württembergern gestritten. Wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen, Red.