Die Flugblatt-Affäre um Hubert Aiwanger hat eine heftige Diskussion ausgelöst. Der stellvertretende Ministerpräsident von Bayern soll in den 80er-Jahren ein antisemitisches Pamphlet in seiner Schultasche besessen haben. Laut Aiwanger sei sein Bruder der Verfasser gewesen. Er bereue diese Tat mittlerweile jedoch.
Den Inhalt des Flugblatts bezeichnete Markus Söder als "menschenverachtend und geradezu eklig". Dennoch hielt er an seinem Vize fest. Eine Entlassung wäre "nicht verhältnismäßig", da es keine Beweise gibt, ob Aiwanger das Schreiben verfasst oder verbreitet habe. Außerdem liege der Vorfall zu lang zurück und seitdem seien keine vergleichbaren Vorwürfe bekannt geworden.
Von der Vergangenheit eingeholt: Wie deutsche Politiker mit ihren Jugendsünden umgingen

Ist es richtig, dass Söder seinen Stellvertreter nicht entlassen hat? Warum gewinnen die Freien Wähler trotz der Vorwürfe gegen Aiwanger an Zustimmung? Und was sagt die Flugblatt-Affäre über Rechtspopulismus und Antisemitismus in Deutschland aus?
Darüber diskutierten am Abend bei "Anne Will" folgende Gäste:
- Günther Beckstein – Ehemaliger Ministerpräsident und ehemaliger Innenminister von Bayern
- Florian Streibl –Vorsitzender Fraktion im Bayerischen Landtag
- Nicole Deitelhoff – Politikwissenschaftlerin
- Marina Weisband – Publizistin, Kolumnistin und Parteimitglied B90/Die Grünen
- Roman Deininger – Chefreporter Süddeutsche Zeitung
Günther Beckstein ist der Meinung, dass Aiwanger keine gute Figur gemacht hat. Sein Umgang sei "alles andere als vernünftig und professionell". Trotzdem findet er es richtig, dass Aiwanger im Amt geblieben ist. Schließlich müssten sich andere Menschen sonst auch fürchten, dass ihre "Jugendsünden" bekannt werden, wenn sie eine bestimmte Stelle haben. Dass Beckstein in diesem Zusammenhang von "Jugendsünden" spricht, zeigt, dass er die Tragweite der Flugblatt-Affäre überhaupt nicht verstanden hat.
Hubert Aiwanger auf den Spuren von Putin und Trump
Die Publizistin Marina Weisband kritisiert den Umgang von Aiwanger mit den Vorwürfen in der Flugblatt-Affäre: "Hätte ich so einen Vorwurf gehabt, hätte ich mich nicht als Opfer dessen dargestellt." Aiwanger selbst sprach von einer "politischen Kampagne" gegen sich. In einem Interview mit der "Welt" war sogar die Rede von der "Instrumentalisierung der Shoa". Weisband hat dafür überhaupt kein Verständnis, "nachdem in seiner Schultasche ein faschistisches Hasspamphlet gefunden wurde". "Das ist keine verjährte Jugendsünde." Wichtig sei, dass Aiwanger die Öffentlichkeit um Entschuldigung bittet und nicht nur die Juden: "Antisemitismus ist kein Problem der Juden, Antisemitismus ist ein Problem der deutschen Kultur", sagt Weisband.
Weisband analysiert die Strategie von Aiwanger in der Flugblatt-Affäre messerscharf. Aiwanger würde sich aus dem "Playbook von Donald Trump" bedienen. "Nicht nur hat er sofort gesagt, ich bin das Opfer, sondern er hat auch gesagt, ‚eigentlich bin nicht ich das Opfer, es geht gegen euch – die normalen Menschen‘", sagt Weisband. Aiwanger würde damit eine ähnliche Geschichte erzählen wie Trump, Putin und andere Populisten: "Ihr seid alle hilflose Opfer und könnt nichts dafür, aber wenn ihr mich wählt, den starken Onkel, werde ich es denen da oben zeigen."

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Sind die Medien schuld?
Florian Streibl, bayrischer Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler, hat scheinbar nichts von dem verstanden, was Marina Weisband gesagt hat. Er drückt auf die Tränendrüse. Hubert Aiwanger sei nicht nur Politiker, "sondern auch ein Mensch". "Da steckt auch eine Familie dahinter", sagt Streibl melodramatisch. Er versucht, Aiwanger aus der Schusslinie zu nehmen und dafür die Medien – insbesondere die Süddeutsche Zeitung, die als erstes die Vorwürfe gegen Aiwanger öffentlich machte – an den Pranger zu stellen. Es würde so aussehen, als würde die Süddeutsche Zeitung einen direkten Einfluss auf die Landtagswahl in Bayern nehmen wollen. Ihn stört vor allem der Zeitpunkt der Berichterstattung, da die Landtagswahl unmittelbar bevorsteht. "Man hätte es zu einem anderen Zeitpunkt bringen können", sagt Streibl und tut damit so, als hätten Journalisten eine Verantwortung gegenüber dem Wahlerfolg der Freien Wähler.