Reinhard Klimmt ist ein leidenschaftlicher Büchersammler. Sein ganzes Haus in Saarbrücken ist damit voll, und in ein Regal hat er die Werke von Oskar Lafontaine gestellt. Daneben schob er eines Tages einen Interviewband von Gerhard Schröder. "Ich habe sie friedlich miteinander vereint", scherzte Klimmt vor einigen Jahren in der "Zeit" über diese papierne Zusammenführung. Und jetzt ist sie ihm sogar in echt gelungen – im richtigen Leben.
Klimmt, 81, ist der Mann, der den Altkanzler und seinen größten Widersacher nach fast 25 Jahren Sprachlosigkeit wieder an einen Tisch gebracht hat. In diesem Fall war es der Esstisch im Hause Lafontaine in Merzig, direkt an der französischen Grenze. Dort trafen sich der Gerd und der Oskar, der eine noch SPD-Genosse, der andere schon lange nicht mehr, im Mai 2023 und sprachen sich aus. Klimmt hatte das Treffen arrangiert, der stern hat jetzt exklusiv darüber berichtet.
Es entbehrt nicht der Ironie, dass ausgerechnet Klimmt daran gegangen ist, das Zerwürfnis zweier Männer zu kitten, die sich nicht nur gegenseitig bekämpften, sondern auch in Klimmts eigener politischen Karriere bisweilen hinderlich waren. Klimmt, seit 1964 in der SPD, war über Jahrzehnte der Mann hinter Lafontaine gewesen. Angeblich sprach der ihn einst im Bus zur Universität Saarbrücken an, ob man nicht zusammen den Juso-Stadtverband aufmischen wolle: Lafontaine als Vorsitzender, Klimmt als sein Stellvertreter. So kam es und so blieb es.
Reinhard Klimmt: "Ich mag den Kerl noch immer"
Die beiden seien lange "ein Kopf und ein Arsch" gewesen, hat Klimmt mal gesagt, was weniger die jeweiligen Fähigkeiten als vielmehr die innige Loyalität beschreiben sollte. Als Lafontaine 1985 Ministerpräsident im Saarland wurde, übernahm Klimmt die SPD-Landtagsfraktion. Er galt als ewiger Kronprinz, erst 1998, als Lafontaine als Bundesfinanzminister nach Bonn ging, zog Klimmt in die Saarbrücker Staatskanzlei ein. Nachdem aber Lafontaine nach nur wenigen Monaten seinen neuen Job wieder hinwarf, verlor Klimmt wegen des schlechten Erscheinungsbildes der SPD die folgende Landtagswahl. Daraufhin holte Gerhard Schröder ihn ins Bundeskabinett, wo er nach einem Jahr als Bauminister wegen einer Finanzaffäre rund um den 1. FC Saarbrücken zurücktreten musste, auch weil ihm Schröder, der ihn erst zum Durchhalten animiert hatte, ihn letztlich fallen ließ. Es war das Ende von Klimmts politischer Laufbahn.
Obwohl Lafontaines Rücktritt als Finanzminister und SPD-Chef, den sein Freund später als "blöden Blackout" bezeichnete, ihn das Amt des Ministerpräsidenten kostete, sagte Klimmt schon bald: "Ich mag den Kerl noch immer." Obwohl sie politisch bisweilen ganz anders tickten – Klimmt zum Beispiel war ein Befürworter der Agenda-Politik Schröders, die Lafontaine verteufelte – sind die beiden Männer bis heute befreundet.

Offenbar verfügt Klimmt über erstaunliche Fähigkeiten, die eine solche Männerfreundschaft begünstigen: Vor allem kann er Politisches und Privates strikt trennen. Deshalb informierte er Lafontaine auch noch über Steinpilz-Funde, als dieser längst mit der Linkspartei gegen die SPD agitierte. Der "Süddeutschen Zeitung" beschrieb Klimmt das Verhältnis zu Lafontaine vor einigen Jahren so: "Also, wenn er eines Nachts anrufen und sagen würde: Du, ich stehe hier im tiefen Wald und weiß nicht, wie ich wieder wegkommen kann, mein Auto ist verreckt. Kannst du mich abholen? – Was würde ich tun: Ich würde ihn jederzeit sofort wieder abholen."

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Dass auch Lafontaine ihm die Freundschaft erhalten hat, ist umso erstaunlicher, als Klimmt kein Blatt vor den Mund nimmt. "Es ist wie so oft bei Oskar", sagte er zum Beispiel 2012 über das Zerwürfnis zwischen Lafontaine und Gregor Gysi in der Linkspartei: "Was er vorne mit seinen Händen errichtet hat, reißt er mit dem eigenen Hintern früher oder später wieder ein."
Und Klimmt baut es dann manchmal wieder auf. So wie die Beziehung zwischen Schröder und Lafontaine. Klimmt hat dabei keinerlei politische Motive, ihm geht es offenkundig wieder um die menschliche, die emotionale Seite. An dem Abend im Mai sollen sich Schröder und Lafontaine zeitweise zu einem Vier-Augen-Gespräch zurückgezogen haben. Klimmt blieb trotzdem den ganzen Abend da. Nur seine Frau soll von den alten Geschichten irgendwann genug gehabt haben. Sie zog sich zu einem Skatabend mit anderen Freunden zurück.