Anzeige
Anzeige

"Ungeheuerlicher Vorgang" Sachsens Verfassungsschutz sammelte illegal Daten von Abgeordneten – Vize-Ministerpräsident Dulig darunter

Martin Dulig (SPD), Wirtschaftsminister von Sachsen, steht während eines Pressestatements vor dem Sächsischen Landtag
Martin Dulig (SPD), Wirtschaftsminister von Sachsen, steht während eines Pressestatements vor dem Sächsischen Landtag
© Sebastian Kahnert / DPA
Der sächsische Verfassungsschutz hat illegal Daten von Landtagsabgeordneten gesammelt. Unter ihnen befindet sich der stellvertretende Ministerpräsident Martin Dulig. Er sprach von einem "ungeheuerlichen Vorgang".

Das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) hat illegal Daten des stellvertretenden Ministerpräsidenten und SPD-Chefs Martin Dulig sowie weiterer Landtagsabgeordneter gesammelt. Laut einem Bericht der für die Geheimdienstaufsicht zuständigen Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) des Landtags vom Dienstag, der der Deutschen Presse-Agentur vorlag, speicherte der Geheimdienst kritische Äußerungen Duligs zum Umgang der sächsischen CDU mit dem Thema Rechtsextremismus. Dulig taucht mit der Äußerung auf, dass "die CDU eine Verantwortung dafür trägt, welche Zustände heute in Sachsen hinsichtlich Rechtsextremismus und Rassismus herrschen".

Auch habe der Verfassungsschutz die Kritik von Dulig dokumentiert, wonach die CDU denen mit Misstrauen begegne, die sich stets gegen Rechtsextremismus und Rassismus engagiert haben. 

"Speicherung ist jedenfalls klar rechtswidrig"

Eine Rekonstruktion, auf welchem Wege diese Informationen an den Verfassungsschutz gelangt sind oder aus welchen Motiven heraus sie erhoben wurden, sei der PKK nicht möglich, wird in dem Bericht ausgeführt. "Ihre Speicherung ist jedenfalls klar rechtswidrig", wird jedoch unmissverständlich festgestellt.

Neben Äußerungen Duligs seien auch Aussagen des Linken-Abgeordneten Rico Gebhardt festgehalten worden, heißt es in dem Bericht. So habe Gebhardt Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) vorgeworfen, dieser habe sich als "Verlautbarungsorgan des Militärs" betätigt. Ebenfalls in dem Bericht namentlich erwähnt sind auch Valentin Lippmann und Christin Melcher (beide Grüne) sowie Marco Böhme (Linke).

Die Kontrollkommission stellte klar, dass es sich um ein illegales Vorgehen handle. Die gespeicherten Informationen seien weder dazu geeignet, "im Rahmen einer Prüf- oder Verdachtsfallbearbeitung den Nachweis zu führen, dass sich die betroffene Person einer Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung angeschlossen hat oder für eine fremde Macht geheimdienstlich tätig ist". Noch seien diese Informationen im Rahmen einer Sicherheitsüberprüfung der Betroffenen erhoben worden. 

"Querdenken"-Kundgebung in Wiesbaden

Zuvor Daten von AfD-Politikern gesammelt

Dulig sprach im "Tagesspiegel" von einem "ungeheuerlichen Vorgang". "Mir fehlen dafür die Worte", sagte der SPD-Politiker. Die über ihn gesammelten Informationen seien überwiegend belanglos und "eher peinlich für die Agenten". Konkrete Bedrohungen wie ein Angriff auf sein Bürgerbüro seien dagegen vom Verfassungsschutz nicht aufgeführt worden. "Es kann nicht sein, dass Menschen, die sich demokratisch engagieren, kriminalisiert werden", sagte der SPD-Politiker in Dresden. Er verwies zugleich darauf, dass der neue Verfassungsschutzchef Dirk-Martin Christian angeordnet habe, diese Praxis des Datensammelns einzustellen. 

Hintergrund sind Untersuchungen der Parlamentarischen Kontrollkommission zur Sammlung und Speicherung von Daten sächsischer AfD-Abgeordneter. Daraufhin richteten zahlreiche Landtagsabgeordnete verschiedener Fraktionen Auskunftsersuchen an das LfV.

Im Juni vergangenen Jahres hatte der damalige Verfassungsschutzchef Gordian Meyer-Plath seinen Posten räumen müssen. Kritiker warfen Meyer-Plath, der seit 2012 im Amt war, unter anderem vor, er habe den Fokus zu wenig auf rechtsextreme Netzwerke gerichtet.

Kurz darauf wurde bekannt, dass der Verfassungsschutz Daten von AfD-Abgeordneten gespeichert hatte. Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) und der neue Verfassungsschutzchef Dirk-Martin Christian nannten die Datenspeicherung rechtswidrig und verwiesen auf den Schutz des freien Abgeordnetenmandats durch das Grundgesetz. Die Parlamentarische Kontrollkommission wurde mit einer Untersuchung beauftragt.

Landesamt erfasst Schriftgut automatisch

"Seit meinem Amtsantritt hat die Rechtmäßigkeit der Speicherung von Abgeordnetendaten im LfV oberste Priorität", erklärte Christian am Dienstag. Er habe eine Reihe von rechtlichen und organisatorischen Maßnahmen auf den Weg gebracht, die künftig eine rechtssichere Vorgehensweise sicherstellen sollten.

Durch eine im LfV eingeführte elektronische Datenverarbeitung wird demnach sämtliches Schriftgut zunächst automatisch erfasst – und zwar unabhängig davon, ob es geheimdienstliche Relevanz hat. Diese Relevanzprüfung erfolgt im Regelfall erst später und bis Mitte 2020 nicht fristgemäß. So ist dem Landesamt zufolge auch die Speicherung der Daten von Dulig und anderen Abgeordneten zu erklären. Diese Daten hätten bereits unverzüglich mit Posteingang gelöscht werden müssen.

rw DPA AFP

Mehr zum Thema

Newsticker

VG-Wort Pixel