Schill als Zeuge Schaukampf mit Pirouetten

  • von Sebastian Christ
Mehrere Dutzend Fotografen keilen sich um den besten Platz, die Mikrofonangeln der Kamerateams stehen wie Lanzen in der Luft. Wenn sich der Zeuge bewegt, dann quetscht sich die Meute wie eine Rugbymannschaft durch den Saal. Hat Ronald Barnabas Schill überhaupt so viel Aufmerksamkeit verdient?

Die Szene droht in die Lächerlichkeit abzugleiten: Wie viel Bedeutung hat dieser nach Brasilien geflüchtete Ex-Richter, Ex-Senator und Ex-Wahlabendschreck im Jahr 2007 noch? Was hat er überhaupt zu sagen? Programmatisch gesehen hat er den Gefahrenfaktor eines alten Tanzbären ohne Krallen und Zähne. Seine Partei hat abgewirtschaftet, und dass der heute 48-Jährige noch einmal in den Senat gewählt wird, ist ungefähr so wahrscheinlich wie ein Kometeneinschlag in Hagenbecks Tierpark.

Doch die SPD hat bis zuletzt darauf bestanden, dass Schill vorgeladen wird. Dafür hat man sogar einen schon abgeschlossenen Untersuchungsausschuss wiederbelebt: Es geht um Kinderheim an der Feuerbergstraße, in dem notorisch straffällige Jugendliche weggesperrt werden sollten. Immer wieder waren Kinder dort ausgebrochen, außerdem gab es Beschuldigungen gegen Mitarbeiter des Heims. Es hieß, einigen Kindern seien Psychopharmaka ohne das Wissen der Eltern verabreicht worden. Die Sozialdemokraten im Ausschuss hoffen insgeheim, dass Schill sich kritisch zur Rolle des Ersten Bürgermeisters Ole von Beust (CDU) äußert. So könnte er ihnen indirekte Schützenhilfe im Vorfeld der kommenden Bürgerschaftswahl leisten. Genau genommen stand also hinter dem Termin von Anfang an nichts weiter als: ein Schaukampf.

Schill hat verstanden. Er schüttelt Hände, hält Smalltalks, ständig umringt von Dutzenden Kameras, die sein zerfurchtes, rotes Gesicht merkwürdig leuchten lassen. Endlich am Platz angekommen, dreht Schill eine Pirouette. Langsam. Ganz, ganz langsam. Damit auch jeder Fotograf sein Bild bekommt. Einen Augenblick lang ist er wieder da, wo er hin will. Passend dazu, seine ersten Sätze in Bond-Manier: "Mein Name ist Schill, Ronald Barnabas Schill". Auf die Frage nach seinem Beruf sagt er: "Ich habe früher mal als Taxifahrer gearbeitet." Als er dann noch seinen Wohnort ins Mikrofon nuschelt, und einige anstatt "Itzehoe" die wenig geistreiche Bemerkung "im Zoo" verstehen, scheint de Anfang zu einem reichlich grenzwertigen Auftritt gemacht.

Doch Schill überrascht in der Folge durch bemerkenswerte Souveränität. Er kritisiert zwar immer wieder die Sozialsenatorin und Zweite Bürgermeisterin Birgit Schnieber-Jastram (CDU), seinen ehemaligen Chef nennt er jedoch fast freundschaftlich "Ole". Im Saal wird das jedes Mal mit einem erstaunten Raunen quittiert. Der Impuls zur Einrichtung des Heims sei von ihm gekommen, so Schill, aber für die Ausführung der Pläne sei die Sozialbehörde zuständig gewesen. "Ich glaubte, dass die Sache bei einer CDU-Sozialsenatorin in guten Händen sei", so Schill. Immer wieder hätte er nachgefragt, wie der Stand der Arbeiten sei. "Die Diskussionen mit Frau Schnieber-Jastram verliefen nie kontrovers. Sie räumte aber ein, dass dies in einer von Sozis durchsetzten Behörde schwierig sei." Nach mehrfachem Insistieren habe er sich in einer "nächsten Stufe des Drucks" an Ole von Beust gewandt. Der habe sich auch mit Schnieber-Jastram über die Sache unterhalten, doch auch auf diesem Weg sei die Sozialsenatorin nicht dazu zu bewegen gewesen, ihre Bemühungen um die schnelle Umsetzung der Heimpläne zu forcieren. Im Jahr 2003 wurde dann, aus Sicht Schills, ein "viel zu kleines" Heim eröffnet, das Sicherheitslücken aufzuweisen hatte. Es kam zu über geglückten 30 Fluchtversuchen. "Frau Schnieber-Jastram hat kein geschlossenes Heim geschaffen, sondern ein Haus der offenen Tür." Daraufhin habe sich Schill an von Beust gewandt: "Ich habe gedroht, dieses Fehlverhalten öffentlich zu machen, was unser gutes Verhältnis nicht unbedingt verbessert hat. In der Folge kam es dann zu meinem Sturz."

In Wahrheit ist Schill vor vier Jahren wohl

zu allererst über die Drohung gestolpert, Details aus dem Sexualleben des Ersten Bürgermeisters publik zu machen. Aber Schill ist heute auch hier, um an seiner eigenen Legende zu stricken. Die Mitglieder der Oppositionsparteien fragen hartnäckig nach den Gesprächen Schills mit von Beust. Drei-, viermal. Es wird sogar aus dem Protokoll der Vernehmung von Beusts zitiert. Doch so bekommt man den studierten Juristen Schill nicht zu fassen. Er bleibt bei seiner milden Betrachtung der Geschehnisse. Die Opposition beißt sich die Zähne aus. Ronald Schill sitzt am offenen Ende des Hufeisentisches vor seinem Einzeltischchen. Und genießt seinen Auftritt.