TV-Kritik "Günther Jauch" Deutschland, deine Kinder

  • von Sylvie-Sophie Schindler
"Kinderzimmer statt Kita" - das Thema Betreuungsgeld birgt reichlich Sprengstoff. Doch statt sachlich zu diskutieren, lieferten sich Günther Jauchs Talkshow-Gäste lediglich einen parteipolitischen Schaukampf.

Es trägt noch Windeln, es nuckelt am Schnuller, es kann noch nicht mal "Angela Merkel" sagen, aber - logisch - es kann Klavier spielen, die ersten Beethovensonaten, auch literarisch ist es fit, Tolstois "Krieg und Frieden" liest es bereits im russischen Original und das Aussehen verheißt eindeutig Topmodelqualitäten - ganz so, dass es in fünfzehn Jahren Gnade finden würde unter Heidi Klums Profi-Blick. Kleinkinder wie dieses könnten bald ins Rennen gehen bei der neuesten TV-Show "DSSK- Deutschland sucht das Super-Krippenkind".

Klingt wie ein böser Witz, und noch ist es einer - aber es ist bereits traurige Realität, dass mancherorts 60 Eltern um einen Krippenplatz wetteifern. Genannt wird das "Krippenkinder-Casting" - auch ohne dass eine Fernsehkamera draufhält. Ein weiterer Beweis, dass das Thema Kinderbetreuung hysterische Ausmaße angenommen hat. Fällt dann noch das Reizwort Betreuungsgeld alias Herdprämie, ist der emotionale Kollaps nahe. Dass Günther Jauch sich ein paar Gäste ins Studio lud, die das alle mal eben bequatschen wollen, half nicht wirklich weiter. "Kinderzimmer statt Kita - die Betreuungslüge der Koalition?", hieß das Thema der Sendung am Sonntagabend.

Auf der ARD-Homepage war außerdem zu lesen: "Glucke contra Rabenmutter: Die Frage nach der Betreuung von Kleinkindern wird schnell zur Grundsatzdebatte." Hilfe, nicht schon wieder diese unerbittliche Hetze gegen Mütter! Einige Online-Leser begehrten auf. Muss es denn immer die Mutter abkriegen, kann man die bitteschön nicht endlich mal in Ruhe lassen? Man kann. In Günther Jauchs Runde fiel dieser ideologische Aspekt dann doch unter den Tisch. Überhaupt war es - mal wieder - eine Sendung des Weglassens. Mit längst bekannten Argumenten drehte man sich im Kreis, keine Chance für weiterführende oder gar überraschend neue Gedanken, wohl auch kein Interesse daran. Die Talkgäste Alexander Dobrint (CSU) und Manuela Schwesig (SPD) stürzten sich dafür mit Verve in parteipolitisches Geplänkel. Dabei wähnte man sich am Rande eines Sandkastens, nur dass es nicht darum ging, wer die beste Burg gebaut hat, sondern um "Die beste Partei, das bin ja wohl ich."

Kitas mangelt es an Fachkräften

Deutschland sucht aber nicht den Super-Politiker - wäre auch schwierig - Deutschland will, dass "seine" Kinder gut betreut werden. Doch, was heißt das: gut? Nicht anzunehmen, dass sich das pauschal sagen lässt. Studiogast Gabi Bauer, Mama von Zwillingssöhnen, versuchte es trotzdem. Die Moderatorin plädierte entschieden für "öffentliche Betreuung". Qualifiziertes Personal allerdings vorausgesetzt. Nicht jede Einrichtung, die einen freien Platz habe, könne man automatisch in Erwägung ziehen. Sie kenne das ja selbst. Als sie sich umgeschaut habe nach dem richtigen Kindergarten für ihre Söhne, da sei sie mancherorts "rückwärts wieder rausgestolpert".

Auch Manuela Schwesig meinte, Kitas müssten "gut gemacht" sein. Doch selbst wenn es ausreichend Kita-Plätze gäbe, der Mangel an Fachkräften sei eklatant und nicht so schnell zu beheben. "Auch wenn die Kommunen wollen, sie kriegen keine Erzieher", bestätigte Stefan Sell. Der Sozialwissenschaftler warnte vor Behelfslösungen, etwa mit ungelernten Mitarbeitern. "Ein- bis Zweijährige sind keine Versuchskaninchen", sagte Sell. Derlei Experimente würden in den "Bereich der Kindeswohlgefährdung" fallen.

Also dann die Kleinsten doch lieber zuhause betreuen? Weil es Mama und Papa sowieso am besten können? Und wer kann es besser - die Akademiker oder die Hartz-IV-Empfänger? Allein die Frage ist menschenverachtend - in Jauchs Runde wurde sie trotzdem ohne Skrupel diskutiert. Zwar mit dem Hinweis, nicht alle Eltern aus sozial schwachem Milieu per se zu verdammen, was es aber dann auch nicht mehr besser machte. Eltern ohne Abitur scheinen verdächtig. Und wenn sie ohne Job sind, dann können sie das geplante Betreuungsgeld ohnehin vergessen: Hartz-IV-Familien müssen draußen bleiben. Laut Sell wären demnach 245.000 Kinder ausgeschlossen vom Betreuungsgeld. Es nicht mal den Ärmsten zu gönnen, das sei, so der Experte, "eine sozialpolitische Schweinerei, eine Zumutung". Trotzdem, die Idee mit dem Betreuungsgeld wäre ohnehin kein Geniestreich. Schweden Finnland und Norwegen hätten sehr schlechte Erfahrungen damit gemacht. "Ich kenne in der Wissenschaft keine relevanten Vertreter dieses Ansatzes", so Sell.

"Herr, schmeiß' Geld vom Himmel"

Manuela Schwesig würde mit den 1,2 Milliarden Euro, die jährlich in die Betreuungsgelder fließen sollen, sowieso etwas anderes machen. "Das Geld würden wir in den Ausbau von Kitas und in die Finanzierung von Fachkräften stecken", sagte die Ministerin aus Mecklenburg-Vorpommern. Christa Müller hingegen, ehemalige familienpolitische Sprecherin der Linken im Saarland, würde beim Betreuungsgeld noch wesentlich aufstocken. Gut 1000 bis 1600 Euro monatlich sollten Eltern für die häusliche Betreuung ihrer Kinder erhalten. Der Grund: Wer ein Kind erziehe, der erbringe Leistung. Zudem wären damit alle Eltern gleich gestellt und hätten eine "echte Wahlfreiheit". Sie könnten sich entscheiden, ob sie mit dem Geld einen Krippenplatz bezahlen, private Betreuungskräfte oder selbst daheim bleiben. "Herr, schmeiß' Geld vom Himmel", kommentierte Gabi Bauer.

Welche Absicht steckt eigentlich tatsächlich hinter dem Betreuungsgeld? Angela Merkel und Familienministerin Kristina Schröder (CDU) sprechen davon, dass es für Familien dadurch "endlich eine Wahlfreiheit" gebe. Gegner bezweifeln das. In einem Online-Kommentar zur Jauch-Sendung war zu lesen: "Jemandem dafür, dass er ein Angebot nicht nutzt, eine Prämie zu bezahlen, ist ein Treppenwitz." Politikerin Schwesig sprach von einer "Fernhalteprämie" der Bundesregierung - um einen "Run" zu vermeiden, wenn ab August 2013 der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz in Kraft trete - und das bei so viel fehlenden Kita-Plätzen.

Kein Wunder, dass Jauch bei Dobrint nachfragte: "Zahlen Sie deshalb so gerne Betreuungsgeld, damit der Platz nicht in Anspruch genommen wird?" Und: "Was machen Sie, wenn nicht genug Plätze da sind?" Dobrint verwehrte sich gegen jegliche Schwarzmalerei. Für die CSU sei das Betreuungsgeld ein Herzensanliegen. Erziehung sei eine enorme Aufgabe, die wahnsinnig viel abverlange, das solle dem Staat etwas wert sein. Punkt. Während die Sendung lief, kamen gut 800 E-Mails in der Redaktion an. "Das ist ein Rekord", sagte Jauch. Bleibt zu hoffen, dass bei allem Pro und Contra in dieser leidenschaftlichen Debatte nicht die vergessen werden, um die es wirklich geht: die Kinder.

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