Am Tag danach rieben sich einige Genossen erstaunt die Augen. Von einer "Wutrede" ihres Vorsitzenden lasen sie im Blatt mit den ganz großen Buchstaben. "Da muss ich auf einer ganz anderen Veranstaltung gewesen sein", wundert sich der SPD-Linke Hermann Scheer. "Kurt Beck hat doch ganz locker und entspannt geredet", sagt er im Rückblick auf die Sitzung des SPD-Vorstands am Montagabend.
So war es. Auch aus dem rechten Flügel des SPD-Vorstands wird bestätigt, dass es auf der ersten Sitzung nach der Osterpause keineswegs geknallt hat. Gewundert hat man sich in diesem Lager allerdings schon. Sehr klug sei es nicht, in diesem Gremium, das alles andere als "dicht" ist, einmal mehr darüber zu räsonieren, weshalb man ihn, den Ministerpräsidenten von Mainz, immer wieder auch in den eigenen Reihen einen "Provinzling" nenne. Und wenn Beck schon fordere, den "Spaltpilz" in den eigenen Reihen nicht zu hätscheln, sondern ihn "auszudörren", dann müsse man sich schon fragen, wer denn damit angefangen habe. Überhaupt: Seine Forderung "Wir müssen die Linie halten" müsse doch wohl an die eigene Adresse gerichtet gewesen sein.
Alles wie gehabt bei der SPD
Die Beck-Kritiker lächelten still vor sich hin. Die Beck-Anhänger beschworen im Nachgang der Sitzung im Willy-Brandt-Haus wieder einmal den Pfälzer Helmut Kohl. Der sei doch zu Beginn seiner bundespolitischen Karriere ebenfalls sträflich unterschätzt worden und habe sich dann als Machtfaktor allerersten Ranges entpuppt. Noch einmal Scheer: "Man soll die Pfälzer niemals unterschätzen."
Der Steinmeier-Steinbrück-Flügel antwortet darauf nur süffisant, Kohl habe immerhin den Mumm gehabt, Mainz zu verlassen und voll in die Bundespolitik zu gehen. Die Rede des Parteichefs mit den katastrophalen Umfragewerten habe lediglich einmal mehr die "desaströse Selbstwahrnehmung" Becks dokumentiert. Noch immer sei nicht einmal der Hauch eines glaubwürdigen strategischen Ansatzes für den künftigen SPD-Kurs bei ihm zu erkennen.
Also alles wie gehabt bei der SPD. Die Partei entzweit. Die Stimmung nahe Null. Die Großen belauern sich. Das Fußvolk lauscht den jüngsten Gerüchten und spekuliert. Unverändert nimmt Beck übel, dass in der Führung offen diskutiert wird, ob man mit ihm als Kanzlerkandidaten überhaupt 2009 antreten solle und könne. Dass sein Stellvertreter Peer Steinbrück ihn nach seiner Rückkehr im "Spiegel" attackiert hat wegen seiner Kehrtwende in Sachen Linkspartei, ist nicht verziehen. Immerhin verdächtigt der SPD-Chef den Finanzminister wenigstens nicht, selbst Ambitionen in der K-Frage zu haben. "Ich bin zu alt", wehrt der 62-Jährige intern ab.
Umso intensiver das Misstrauen, mit dem Beck den Vize Frank-Walter Steinmeier beobachtet. Der ist erst Anfang 50 und stünde 2013 erneut zur Verfügung, wenn es im ersten Anlauf nicht klappte - wovon in der SPD ohnehin keiner mehr ausgeht. Dass der Außenminister das Wohlwollen des konservativen Seeheimer Kreises der SPD-Fraktion in dieser Frage besitzt, ärgert Beck. Deren Sprecher Johannes Kahr hat ihm bereits das Recht auf die Kanzlerkandidatur öffentlich abgesprochen.
Beck habe in Wahrheit eine Gürtelrose gehabt
Der Rest ist Gerüchteküche. Aus der rheinland-pfälzischen SPD wird geflüstert, Beck habe bei seiner Halsentzündung in Wahrheit eine Gürtelrose gehabt. SPD-Sprecher Lars Kühn: "Davon haben wir keine Kenntnis." Und fügt an, selbst wenn es so gewesen sein sollte, wäre das "nicht so tragisch." Das ist zwar medizinisch betrachtet richtig. Aber die Beck-Anhänger schmerzt das Getuschel dennoch. Schließlich sind Stress und psychische Probleme der häufigste Auslöser dieser Krankheit - und vor allem hatte sie schon den kurzzeitigen Beck-Vorgänger Matthias Platzeck heimgesucht, ehe dieser den SPD-Vorsitz hinwarf.
Noch mehr für Unruhe sorgt in der SPD die Spekulation um Franz Münteferings Rückkehr in eine führende Position in der Partei. Nur der sei in der Lage, die Partei wieder auf klaren Kurs zu bringen. Die SPD brauche einen "Moderator" wie ihn, der Respekt in der gesamten Partei genieße. Dies wird mit banger Hoffnung vor dem Hintergrund diskutiert, dass die SPD sich noch dieses Jahr zu einer klaren Position im Umgang mit der Linkspartei zusammen raufen muss. Ende Mai steht in Nürnberg eine Funktionärskonferenz bevor. Dort könnten Linke und Rechte erneut ungebremst aufeinander prallen, wird befürchtet. Steinmeier und Steinbrück wollen dort auf jeden Fall einen klaren Trennungsstrich ziehen, bei dem eine inhaltliche Kooperation mit den Linken auch über 2009 ausgeschlossen wird. Ohne diese Positionsbestimmung werde die SPD im kommenden Bundestagswahlkampf an der von Beck geschaffenen Glaubwürdigkeitslücke scheitern.

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Nicht bestritten wird, dass Steinmeier und Steinbrück engsten Kontakt zu Müntefering pflegen, der zuhause seine krebskranke Frau pflegt. Bei diesen Kontakten wird sehr wohl die Frage ventiliert, ob Müntefering unter Umständen nicht doch noch vor 2009 wieder aktiv werden könnte. In dem Zusammenhang wird sogar über eine Rückkehr an die Fraktionsspitze spekuliert, da Peter Struck erhebliche gesundheitliche Probleme habe. Eine wie auch immer geartete Rückkehr Münteferings wiederum gilt als Voraussetzung dafür, dass Steinmeier, der sich wie Steinbrück der Agenda 2010 Gerhard Schröders voll verpflichtet fühlt, eine Kanzlerkandidatur überhaupt nur in Erwägung zieht.