Herr Schmalstieg, am Freitag wollen Sie und der SPD-Bezirk Hannover den Altkanzler Gerhard Schröder ehren. Anlass ist seine 60-jährige Parteimitgliedschaft. Haben Sie Verständnis dafür, dass die Feier umstritten ist?
Nein. Wenn jemand 60 Jahre Mitglied der SPD ist, dann wird er dafür geehrt. Deswegen bin ich zufrieden, dass der SPD-Bezirk die Feier veranstaltet.
Bei vielen Genossen ist Schröder wegen seiner Lobbydienste für Russland und anhaltenden Freundschaft zu Präsident Wladimir Putin in Ungnade gefallen, einstige Weggefährten haben sich von ihm abgewandt. Sie nicht. Wieso?
Warum sollte ich? Schröder hat mehrfach den Überfall Russlands auf die Ukraine verurteilt. Und wenn jemand eine Freundschaft hat, muss er selbst entscheiden, ob er diese Freundschaft aufrechterhält oder nicht. Diese Dinge sollte man voneinander trennen.

Herbert Schmalstieg
…ist seit 1960 Mitglied der SPD und war knapp 35 Jahre lang der Oberbürgermeister von Hannover. Seine Ehefrau Heidi Merk war stellvertretende Ministerpräsidentin in Niedersachsen und Ministerin in dessen Kabinett, als Gerhard Schröder Ministerpräsident war. Schmalstieg ist Schröder freundschaftlich verbunden und hält eine Laudatio auf den Altkanzler.
In der Einladung, die uns vorliegt, heißt es, Schröder habe sich über viele Jahrzehnte "im Sinne der Sozialdemokratie politisch engagiert". Seine verständnisvolle Position gegenüber Putin und Russland werden nicht erwähnt. Holen Sie das in Ihrer Laudatio nach?
Die Einladung habe ich nicht geschrieben, sondern der SPD-Bezirk. Aber ich werde auch die aktuelle politische Lage ansprechen.
Was meinen Sie damit?
Dass ich auch etwas zu dem Ukraine-Krieg sagen werde.
Auch zu Schröders Freundschaft mit Putin, der den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg befohlen hat?
Ich bin mit Schröder völlig einer Meinung: Wir beide haben den Krieg verurteilt. Dabei bleibt es, ob es in der Einladung steht oder nicht.
Trotzdem wollte Schröders Ortsverein die Feier lieber abblasen, ehe man sich doch noch auf eine Lösung geeinigt hat: Nun veranstaltet der SPD-Bezirk Hannover die Feier. Sie sollen interveniert haben, heißt es. Warum ist Ihnen das so wichtig?
Das ist so nicht richtig. Meine Frau, die im Ortsverein Hannover Oststadt-Zoo Mitglied ist, hat interveniert. Aber auch ich war entsetzt über das Verhalten dieses Ortsvereins. Zwei Mitglieder haben die Feier in der Öffentlichkeit kritisiert, das war‘s. Beschlüsse gegen die Ehrung hat es dort nicht gegeben. So wie ich das sehe, sind im Nachhinein die allermeisten froh darüber, dass die Feier stattfindet.
Allerdings findet die Feier nicht öffentlich statt, auch nicht für Pressevertreter.
Die meisten dieser Ehrungen finden nicht öffentlich statt, wenngleich man die örtliche Presse einlädt. Das ist dieses Mal anders. Warum, müssen Sie den SPD-Bezirk Hannover fragen. Ich hätte es bei einem ehemaligen Bundeskanzler für sinnvoll gehalten, auch die Presse einzuladen.

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!
Vielleicht sollen von der Feier für Schröder möglichst wenig Notiz nehmen…
Also die Aufmerksamkeit ist ja da, auch im Vorfeld. Außerdem werden die gehaltenen Reden der Presse zugänglich gemacht.
Für gewöhnlich wird den Jubilaren von ihrem Ortsverein eine Anstecknadel überreicht, ebenso eine Urkunde. Was steht auf Schröders?
Der übliche Text, ich müsste mal auf meiner nachsehen. Auf jeden Fall, dass sich Schröder für die Ideale der SPD eingesetzt und ihr seit sechs Jahrzehnten die Treue gehalten hat. Und die Nadel stecken wir an.
Haben die Bundesvorsitzenden Lars Klingbeil und Saskia Esken unterschrieben?
Das ist so üblich. Es unterschreiben die Parteivorsitzenden, der Bezirksvorsitzende und die Ortsvereinsvorsitzenden.
Sie halten eine Laudatio, ebenso Ihre Frau Heidi Merk, einst im Landeskabinett Schröders acht Jahre Justiz - danach Sozialministerin. SPD-Fraktionsvize und Bezirks-Vorsitzender Matthias Miersch hält die Begrüßungsrede. Wer wird noch zur Feier kommen?
Es werden nicht nur Genossinnen und Genossen da sein, sondern auch andere Persönlichkeiten. Ich weiß aber nicht, wie viele eingeladen worden sind und zugesagt haben.
Die Ehrung findet auf den Tag genau 25 Jahre nach Beginn von Schröders Kanzlerschaft statt. Wie blicken Sie auf seine Amtszeit zurück?
Die war ein großer Erfolg für Deutschland. Schröder hat uns als Kanzler nach 16 Jahren Helmut Kohl neue Impulse gegeben. Er hat das Staatsbürgerrecht modernisiert, uns aus dem Irak-Krieg herausgehalten, um nur zwei Punkte zu nennen. Er hat viel Herausragendes geleistet.
Nichts, was Sie kritisch sehen?
Da fällt mir im Augenblick nichts ein, was ich groß kritisieren könnte.
Sie halten Schröder also für einen makellosen Politiker und Bundeskanzler.
Es gibt keinen Menschen, der makellos ist. Bei jeder Maßnahme gibt es etwas, wo man sagen kann, dieses oder jenes hätte man anders machen können. Aber die Gesamtleistung von Schröder als Ministerpräsident von Niedersachsen und als Bundeskanzler kann sich sehen lassen. Und die wird geehrt.
Der amtierende Bundeskanzler Olaf Scholz gibt sich etwa in der Migrationspolitik zupackender, will mehr Führung demonstrieren. Teile Ihrer Partei haben das vermisst. Sie auch?
Anders als Schröder ist Scholz ein Kanzler, der lange abwägt. Außerdem muss er drei sehr unterschiedliche Koalitionspartner im Zaum halten. Sicherlich wäre es besser, wenn die Differenzen intern geregelt und Entscheidungen erst dann kommuniziert würden, wenn eine Entscheidung steht. So hat Schröder das gemacht. Da hat es Scholz schwerer.
Muss Scholz mehr "Basta!" sagen?
Nicht "Basta" sagen, aber klare Kante zeigen. Weite Teile dieser Koalition, insbesondere von FDP und Grünen, aber auch einige aus der SPD, fallen mit öffentlichen Kommentaren auf, die der Koalition schaden. Sie sollten sich zurücknehmen und erst intern debattieren.
Was kann Scholz von Schröder lernen?
Das müsste er Schröder schon selbst fragen.
Sie würden vermitteln?
Das müssen die beiden ausmachen. Ich fände es richtig und wichtig, wenn auch Teile der SPD-Führung einen Weg suchen würden, Schröder zu kontaktieren.
Glauben Sie noch an eine Versöhnung von Schröder und der SPD?
Ich hoffe darauf.
Sie sind seit 63 Jahren in der SPD, waren knapp 35 Jahre der Oberbürgermeister von Hannover. Wie blicken Sie auf die aktuelle Situation Ihrer Partei?
Mit großer Sorge. Die SPD leistet im Augenblick gute Arbeit in der Koalition, kann das bei all dem Streit aber nicht vermitteln. Außerdem muss meine Partei in vielen Bereichen eine stärkere inhaltliche Position einnehmen, sich etwa mehr um Bildung und den Wohnungsbau kümmern. Der Union oder AfD in der Migrationsfrage nachzueifern, wird uns keine Stimmen bringen. Die SPD braucht Visionen und Persönlichkeiten, die diese verkörpern.
Und diese Persönlichkeiten hat die SPD nicht?
Das Dilemma haben ja alle Parteien. Früher gab es charismatische Persönlichkeiten, hinter denen sich eine breite Mehrheit versammeln konnte. Ich denke da an Herbert Wehner, Willy Brandt oder Helmut Schmidt. Auch an Konrad Adenauer oder Franz-Josef Strauß. Das waren noch Führungspersönlichkeiten, ob man sie mochte oder nicht.
Scholz fehlt in Ihrer Aufzählung. Schröder aber auch.
Das waren andere Zeiten, wollte ich damit sagen, und auch eine andere Parteienlandschaft. Nicht so zersplittert wie heute. Zumal eher die schwierige Situation in der Wirtschaft oder Außenpolitik die Debatten dominieren. Ich könnte auch Schröder nennen, der mit seinem Wahlsieg über Kohl eine richtige Aufbruchstimmung im Land erzeugt hat. Und Scholz hätte vor zweieinhalb Jahren wohl niemand zugetraut, dass er die SPD so nach vorne bringen könnte. Das ist auch aller Ehren wert.