Im November ist es wieder so weit. Da feiern sie im SPD-Ortsverein Hannover Oststadt-Zoo ein Fest. Wie jedes Jahr werden bei dem Termin Sozialdemokraten geehrt, die lange dabei sind und ein rundes Jubiläum ihrer Mitgliedschaft begehen. Manche sind schon Jahrzehnte in der Partei.
"Die Ehrung ist immer ein Highlight bei uns – da lassen wir alte Genossen hochleben", sagt Jörg Purschke, der im Ortsverein den Kontakt nach außen managt.
In diesem Jahr ist die Stimmung im Ortsverein ein wenig anders, sie ist schlechter, manchen graut regelrecht vor dem Termin. Denn bei der Sause im November müsste eigentlich auch jemand geehrt werden, den die Partei kürzlich noch loswerden wollte: Gerhard Schröder, 79, Altkanzler der Bundesrepublik, guter Freund des russischen Präsidenten.
Schröder ist 1963 in die SPD eingetreten, 60 Jahre ist das her, für ein solches Jubiläum gibt es in Hannover in der Regel das volle Programm: Große Urkunde, Anstecknadel, obendrauf eine Willy-Brandt-Medaille. Aber geht das? Einen ehren, der eigentlich hochkant rausfliegen sollte wegen seiner Geschäfte in Russland?
Der Ortsverein bestellt nichts
Nein, jedenfalls sieht das Jörg Purschke so und viele andere Sozialdemokraten des Ortsvereins auch. "Herr Schröder mag 60 Jahre in der SPD sein. Aber wir können ihn nicht wie einen stinknormalen Genossen behandeln", sagt er. "Wir werden ihn nicht ehren. Das ist für uns vorbei. Wenn er irgendeine Nadel bekommen soll, dann muss das die SPD in Berlin machen. Wir bestellen für ihn jedenfalls nichts. Keine Nadel, keine Urkunde, keine Willy-Brandt-Medaille."
Wer Purschke zuhört, ahnt, dass sich ein bisschen was aufgestaut hat.
Die Sache mit der Ehrung ist ein weiteres Kapitel in der tragischen Geschichte zwischen Schröder und der SPD. Der Kanzler war mal ein Held für die Partei, zwei Mal gewann er die Bundestagswahl, beerdigte die Ära von Helmut Kohl, modernisierte das Land mit seiner rot-grünen Regierung, stieß Teile der SPD mit den Agenda-Reformen aber auch vor den Kopf.
Sein Erbe war unter Sozialdemokraten immer umstritten. Mit dem Ukraine-Krieg und Schröders Männerfreundschaft zum Machthaber im Kreml kam es zum offenen Bruch zwischen dem Altkanzler und seiner SPD.
Man lud ihn vom Parteitag aus, stellte sich öffentlich gegen ihn. Ein Ausschlussverfahren überstand Schröder in diesem Jahr. Zwei Schiedsgerichte sahen nicht ausreichend stichhaltige Gründe, um ihm das Parteibuch zu nehmen. In der Parteispitze in Berlin hoffen einige, dass Schröder irgendwann einfach von selbst geht.
"Wir wollen das jetzt abräumen"
In Hannover ist das Verhältnis zu Schröder ambivalent. Er ist noch bestens vernetzt, in Wirtschafts-, auch Kulturkreisen. Selbst in der SPD sehen ihn manche noch als Teil der Partei, würdigen die Politik in seiner Zeit als Kanzler, halten eine Nicht-Ehrung für kleinliches Verhalten, nach dem Motto: Soll er doch eine Urkunde kriegen - wo ist das Problem?
In seinem Ortsverein aber ist es schwierig. Dort sind die Enttäuschungen besonders groß, man hat ihn schon lange nicht mehr gesehen, er gilt eher als Karteileiche.
Geht es nach Purschke, kann das ruhig so bleiben. "Wir wollen das jetzt abräumen", sagt er. "Mit seiner starren Haltung zum Krieg und seiner Freundschaft zu Wladimir Putin gehört er nicht mehr zu uns."
"Duzen ist für mich vorbei"
Purschke selbst hat schon lange mit Schröder gebrochen. "Duzen ist für mich vorbei. Ich spreche nur noch von Herrn Schröder. Wir nehmen auch seine Mitgliedsbeträge nicht mehr an. Alles, was von seinem Konto kommt, landet in der Ukraine-Hilfe."
Die Nicht-Ehrung muss von den Mitgliedern des Ortsvereins noch offiziell beschlossen werden, bei einem solch sensiblen Thema will man auf Nummer sicher gehen. Der Beschluss sei eine Formalie, glaubt Purschke. "Er war lange einer von uns, aber die Sicht auf ihn hat sich einfach sehr verändert."
Eine Befürchtung aber hat der Sozialdemokrat: Dass Schröder einfach trotzdem erscheint, die Ehrung einfordert, rein formell hätte er schließlich Anspruch darauf. Dann könnte es zu einem Eklat kommen, fürchtet Purschke. "Gerade unter den Senioren bei uns gibt es großen Widerstand gegen ihn", sagt er. "Sollte er im November zu der Ehrung einfach erscheinen, dürften viele von uns den Saal verlassen. Da bin ich mir recht sicher."
Dass das so kommt, ist eher unwahrscheinlich. Schröder ist nicht einmal zu den Terminen des Ausschlussverfahrens gegen ihn aufgetaucht, macht auch ansonsten nicht den Eindruck, als seien ihm Parteiangelegenheiten noch sonderlich wichtig. Er werde politisch immer Sozialdemokrat bleiben, hatte er im vergangenen Jahr betont – egal, wie die Partei mit ihm umgehe.