Lars Klingbeil ist eigentlich ein halbwegs ausgeglichener Sozialdemokrat, es muss schon einiges zusammenkommen dafür, dass der SPD-Chef einmal lauter wird. Am Donnerstag war es soweit.
Grund ist der neue Zoff in der Ampel-Koalition. Die Bundesregierung macht nach der Sommerpause einfach dort weiter, wo sie vor der Sommerpause aufgehört hat: Sie streitet, blockiert sich. Die grüne Familienministerin Lisa Paus verweigert dem "Wachstumschancengesetz" von Finanzminister Christian Lindner (FDP) die Zustimmung.
Neustart? Versemmelt.
Für Klingbeil ein Unding, er kritisiert den neuerlichen Streit im Kabinett scharf. Ungewöhnlich scharf. Man befinde sich in historischen Umbrüchen, warnte er. Der Krieg, die Transformation - all das werde in 20 oder 30 Jahren "in den Geschichtsbüchern stehen".
Die Aufgabe der Regierung sei es, in dieser Situation Sicherheit, Stabilität und Orientierung zu geben. "Ich dachte eigentlich, dass alle das verstanden haben", so Klingbeil. "Das ist nicht passiert." Dass jetzt einfach mit Streit weitergemacht werde, "das hat mich fassungslos gemacht".
Er habe die klare Erwartung, dass das Kabinett auf seiner Klausur Ende August in Meseberg auch über die Zusammenarbeit spreche und das bereinige. Man brauche ein wirtschaftliches Entlastungspaket, aber alle müssten "noch einmal in sich gehen und sich auch überlegen, wie man künftig solche öffentlichen Auseinandersetzungen vermeiden kann".
Am Mittwoch hatte Familienministerin Paus das Gesetz zu Steuererleichterungen für Unternehmen blockiert und mehr Mittel für die Kindergrundsicherung gefordert. Klingbeil betonte, in der Ampel-Regierung sei Platz, "sowohl wirtschaftspolitisch stark zu sein als auch die Kinderarmut zu bekämpfen".
Streit um Industriestrompreis deutet sich an
Klingbeils Intervention deckt sich mit der Stimmungslage in der SPD. Bei vielen Sozialdemokraten wächst der Frust über die Performance der Ampel-Regierung. Auch die Kanzlerpartei hat zuletzt an Zustimmung verloren, der öffentliche Rückhalt für Olaf Scholz hat stark gelitten. Einige in der Partei hatten darauf gehofft, dass die Bundesregierung zu einem halbwegs ruhigen, geschäftsmäßigen Arbeiten zurückkehrt. Das Gegenteil scheint der Fall.

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Mittlerweile wird hinter vorgehaltener Hand in der SPD auch Kritik am Kanzler laut. Er müsse besser führen und kommunizieren, heißt es. Die Moderationsrolle, die er seit dem Start der Ampel-Regierung einnehme, schade inzwischen der SPD. Es sei immer weniger erkennbar, wofür die Sozialdemokratie eigentlich stehe.
Nach dem Streit um das so genannte "Wachstumschancengesetz" rollt auf die Koalition bereits der nächste Konflikt zu: Die Frage, ob die Industrie mit einem subventionierten Strompreis gestützt werden soll oder nicht. Die SPD ist dafür, auch in der Fraktion gibt es flügelübergreifend die Forderung, einen Industriestrompreis einzuführen. Das Problem: Die FDP weigert sich. Auch der Kanzler bremst bislang.
"Er wird sich da jetzt bewegen müssen", sagt einer der prominenten Sozialdemokraten in der Fraktion.