Jeder hat das Recht, über seine Persönlichkeit sowie sein Handeln und Tun selbst zu entscheiden.
Verfassungsrechtlich wird dieser Grundsatz durch das Allgemeine Persönlichkeitsrecht garantiert. Es ist Kernelement unserer Verfassung und unseres täglichen Zusammenlebens. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt unter anderem das „sich Zurückzuziehen“, das Alleine Sein, die Kenntnis über die eigene Abstammung und das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Auf den Punkt gebracht: Es schützt die freie Entfaltung der eigenen Persönlichkeit, sein Leben so zu leben, wie man möchte.
Die Freiheit der perönlichen Entfaltung ist begrenzt
Den Inhalt des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu erfassen, mag erst einmal einfach klingen. Bei genauerem Hinsehen ist es das aber nicht. Denn die Freiheit der persönlichen Entfaltung ist begrenzt: Sie währt nur, solange die Freiheit eines anderen nicht über Gebühr eingeschränkt wird oder durch die Ausübung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts die freiheitlich-demokratische Grundordnung verletzt wird – es kann durch ein Gesetz, das einen legitimen Zweck verfolgt, im Rahmen des Verhältnismäßigen beschränkt werden. Nicht umsonst beschäftigt das Allgemeine Persönlichkeitsrecht daher Gesellschaft, Politik und Gerichte.
Im Fokus der gesellschaftlichen und politischen Diskussion über Inhalt und Weite des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts stehen oft ethische Debatten, die nicht nur rechtlich, sondern auch gesellschaftlich unterschiedlich bewertet werden. Es geht oft um Fragen, die an den Kern der eigenen Persönlichkeit, an grundlegende Werte- und Moralvorstellungen gehen.

Die wohl relevanteste aktuelle Frage, deren Dreh- und Angelpunkt die Reichweite des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist und jeden von uns in seinen intimsten Ängsten und Wünschen trifft, ist die nach einer legislativen Einkleidung des Rechts auf einen selbstbestimmten Tod in Würde und dabei auch das Recht, die Hilfe eines Dritten in Anspruch zu nehmen. Auch wenn die Akzeptanz dessen je nach Überzeugung, Herkunft oder Religion manchem persönlich schwerfallen mag: Dass das Recht darauf, selbstbestimmt die Entscheidung zu treffen, sein Leben eigenhändig bewusst und gewollt zu beenden und sich dabei helfen zu lassen, durch das Allgemeinen Persönlichkeitsrecht gewährleistet ist, ist spätestens seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 nicht mehr bestreitbar.
Recht auf Suizidhilfe ist ein Grundwert unserer Geselschaft
Das Bundesverfassungsgericht hat mit dieser bahnbrechenden Entscheidung nicht lediglich als nur die Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Sterbehilfe beseitigt, sondern dieses Recht auch als Grundwert unserer Gesellschaft erfasst. Wie dem einzelnen jedoch - ganz praktisch - Zugang zu diesem Recht in Deutschland gewährt werden soll, ist bisher – zum Leidwesen eines nicht unerheblichen Bevölkerungsanteils - ungeklärt. Diesen Status quo, – keine Strafbarkeit, aber keine weitere Regelung - beizubehalten wäre denkbar, würde den Betroffenen jedoch nicht gerecht.
Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber außerdem konkrete Hinweise gegeben, wie es sich einen verfassungsgerechten Zugang zum assistierten Suizid, um den es im Kern bei der Diskussion geht, vorstellt. Das Recht auf einen selbstbestimmten Tod in Würde erfordere, dass die Entscheidung für den Suizid selbstbestimmt gefasst wird, das heißt frei und unbeeinflusst ist. Auch müsse der Betroffene die Möglichkeit erhalten, alle entscheidungserheblichen Gesichtspunkte inklusive Handlungsalternativen zu kennen. Der freie Wille müsse außerdem von einer inneren Festigkeit getragen sein und dauerhaft bestehen.
Rechtssicherheit schaffen und Betroffene nicht alleine lassen
Es ist nun am Gesetzgeber, eine Regelung zu finden, die diese individuelle Entscheidung eines Jeden absichert. Das Bundesverfassungsgericht hat den Gesetzgeber ausdrücklich dazu aufgefordert, Sorge dafür zu tragen, dass der Entschluss zum Suizid auf einem freien Willen beruht. Dies – aber eben auch nicht mehr - gebietet die Pflicht des Staates, Leben zu schützen. Es ist also ein Verfahren zu schaffen, das Rechtssicherheit bietet und weder Betroffene noch Helfende allein lässt. Eine Beratungsstruktur zu entwickeln, die nicht bevormundet, sondern zuhört, das ist es, was es für eine konsequente gesetzgeberische Umsetzung des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben im Einklang mit dem Bundesverfassungsgericht braucht. Es braucht eine liberale Neuregelung, die an die Fähigkeit des Einzelnen glaubt, für sich selbst die beste Entscheidung treffen zu können - auch wenn es um den eigenen Tod geht.

Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes ist es schlicht nicht vereinbar, die Suizidhilfe wieder unter Strafe zu stellen, wie dies einige Entwurfe vorsehen. Das Bundesverfassungsgericht hat unmissverständlich klargestellt, dass Eingriffe in das Recht auf selbstbestimmtes Sterben durch ein Verbot der Hilfe zur Selbsttötung verfassungsrechtlich nur verhältnismäßig sind, wenn hierdurch die Möglichkeiten einer assistierten Selbsttötung nicht so sehr verengt werden, dass dem Einzelnen faktisch kein Raum mehr zur Wahrnehmung seiner verfassungsrechtlich geschützten Freiheit verbleibt. Lebensschutz mit Mitteln des Strafrechts ist nur zulässig, wenn die freie Entscheidung des Einzelnen über die Beendigung seines Lebens lediglich geschützt und nicht unmöglich gemacht wird. Eine faktische Entleerung der autonomen Entscheidung durch eine „umfassende“ Strafbarkeit wäre damit schlicht verfassungswidrig.
Eine organisierte Beratungsstruktur ist nötig
Ebenso wenig kann es nach der Entscheidung des höchsten Gerichts einen Unterschied machen, ob der Sterbewillige schwerkrank ist oder nicht, auch wenn in ersterem Fall der Suizidwunsch leichter nachvollziehbar scheint. Entscheidend ist lediglich der dauerhafte, ernst zu nehmende autonome Entschluss, den es staatlicherseits zu überprüfen und abzusichern gilt. Dem wird am besten durch eine organisierte Beratungsstruktur und durch das Schaffen von Rahmenbedingungen entsprochen, durch die Suizidwillige ihren eigenverantwortlichen und selbstbestimmten Entschluss zum Suizid schmerzfrei und sicher umsetzen können, indem sie in einem geordneten Verfahren Zugang zu entsprechenden Medikamenten erhalten. Wichtig ist die Feststellung der Freiwilligkeit und Ernsthaftigkeit, die letztlich Beratung und Arzt absichern müssen. Dies ist insbesondere bei psychisch Erkrankten von großer Bedeutung.
Zusammenfassend: Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben besteht. Es ist im Allgemeinen Persönlichkeitsrecht verankert. Dieses Recht ist Ausgangspunkt jeglicher Debatte um die Suizidhilfe. Die Diskussion um eine Neuregelung ist ohne Frage dringend zu führen - nicht lediglich für uns als Gesellschaft, sondern vor allem auch für Betroffene und Helfende. Wo ein Recht besteht, ist jedoch für ein strafrechtliches Verbot keinen Raum. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht ist damit Grund für die Suizidhilfedebatte, gleichzeitig aber auch ihre Grenze.
Rat und Hilfe
Sie haben suizidale Gedanken? Hilfe bietet die Telefonseelsorge. Sie ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr unter (0800) 1110111 und (0800) 1110222 erreichbar. Auch eine Beratung über E-Mail oder Chat ist möglich. Eine Liste mit bundesweiten Hilfsstellen findet sich auf der Seite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention.